Bringt biologisch wirksames Licht positiven Einfluss auf Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit von Lkw-Fahrern? In der finnischen Polarnacht ging ein Daimler Forschungsteam dieser spannenden Frage nach. Insgesamt acht Daimler Testfahrer simulierten deshalb am Standort Rovaniemi zwei typische Trucker-Arbeitswochen. Jeweils eine Woche fuhren die Trucker im Wechsel in einer Lkw-Kabine mit herkömmlicher Beleuchtung beziehungsweise mit einem Daylight+-Modul, das während der Fahrt und in Pausen für zusätzliches Tageslicht in der Kabine sorgt. Um die möglichen Vorteile der Tageslichtapplikation im Lkw- Fahrerhaus zu ermitteln, definierte Projekt- und Versuchsleiter Siegfried Rothe aus der Daimler Forschungsabteilung als Arbeitshypothese die Aussage, dass eine Applikation von biologisch wirksamem Licht mit einer Wellenlänge zwischen 460 und 490 Nanometer positive Auswirkungen hat. Er konzipierte die aufwändige Versuchsreihe, um auf diese Weise abgesicherte Ergebnisse zu erhalten.
Licht strukturiert das Leben
Licht gehört zu den Dingen, über die die meisten Menschen nicht groß nachdenken – jedenfalls so lange sie nicht unter einem Mangel an Licht leiden. Dabei sorgt Licht für die Organisation des Lebens auf der Erde. Unter anderem strukturieren der Wechsel von Tag und Nacht als kurzfristiger Zyklus sowie der Wechsel der Jahreszeiten die Zeit. Die Evolution hat sich diesen Gegebenheiten mit einer Vielzahl von inneren Uhren angepasst, die unseren Lebensrhythmus synchronisieren. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang der regelmäßige Wechsel von Tag und Nacht. Seit vielen Jahren erforschen Wissenschaftler die komplexen Zusammenhänge zwischen der Verfügbarkeit von biologisch wirksamem Licht und der physischen sowie mentalen Befindlichkeit von Menschen. Verschiedene Krankheitsbilder lassen sich in diesem Zusammenhang definieren. Am geläufigsten ist wohl die „Saisonal abhängige Depression“. Lichtmangel ist zum Beispiel in den nordeuropäischen Ländern, in denen es im Winter kaum richtig hell wird, ein ernsthaftes Problem vieler Menschen, das zu schlechter Stimmung, verminderter Leistungsfähigkeit und Antriebslosigkeit führen kann. Als standardisierte medizinische Behandlungsmethode werden diese Symptome mit einer Lichttherapie erfolgreich bekämpft.
Die Fahrer werden nur mit sich selbst verglichen
Die Idee zu Daylight+ entstand im Lauf einer Versuchsreihe im Schlaflabor der Uni Regensburg. In der Folge ermittelte Daimler Forscher Siegfried Rothe, der sich mit zahlreichen Projekten für eine Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Lkw-Fahrern und damit auch für eine bessere Akzeptanz des Berufsbilds einsetzt, dass vor allem aufgrund der Silhouettenform einer üblichen Lkw-Kabine nur ein verhältnismäßig geringer Prozentsatz des natürlichen Tageslichts die Lichtrezeptoren von Fahrerin oder Fahrer erreicht. Für Rothe war dieses Ergebnis Ansporn, über mögliche Lösungsansätze nachzudenken. Die Resultate einer ersten Versuchsreihe mit Ingenieuren aus der Abteilung Fahrversuch waren eindeutig. Das subjektive Befinden aller Probanden verbesserte sich unter dem Einfluss einer zusätzlichen Lichtdosis signifikant, egal zu welchen Tageszeiten. Überraschend war ein weiteres Ergebnis: Die Testfahrer fuhren mit mehr Tageslicht in der Kabine wirtschaftlicher.
Bei den Versuchen in Rovaniemi wurden die Testpersonen immer nur mit sich selbst verglichen. Also wie sich die Performance eines Fahrers verändert, wenn er nach fest definierten Bedingungen zusätzlich biologisch wirksames Tageslicht bekommt. Die zusätzliche Gabe erfolgte in drei Formen mit jeweils unterschiedlicher Intensität:
- Als Dauerlicht während der Fahrt, wobei die Intensität der Außenhelligkeit angepasst wird.
- Als intensive Lichtdusche mit maximaler Intensität während der Tests vor und nach der Fahrt.
- Als Lichtliege ebenfalls mit maximaler Intensität während der Pausen, in denen sich der Fahrer in Power-Nap-Position auf seinem Sitz entspannt.
In den Nachtstunden schliefen die Probanden im normal abgedunkelten Truck. Für die Testfahrer waren die Versuche am Polarkreis eine harte Bewährungsprobe. Die Versuchsergebnisse dokumentierte das Team mit Unterstützung des Forscherkollegen Dr. Michael Schrauf mit Hilfe von Elektroenzephalografie (EEG), Elektrokardiografie (EKG) und Elektrookulografie (EOG) und weiteren physiologischen Messungen sowie mit Speichelproben (zur Ermittlung der Konzentration des Schlafhormons Melatonin). Die mentale Befindlichkeit und, damit eng verknüpft, die professionelle Leistungsfähigkeit wurden über standardisierte psychologische Testverfahren (Daueraufmerksamkeits- und Reaktionstests am Computer) ebenso überprüft wie mit der Aufzeichnung der Fahrzeugdaten durch das Telematiksystem FleetBoard.
Am Ende der Zwei-Wochen-Zyklen fand eine Befragung der einzelnen Fahrer, die zuvor ihre subjektiven Eindrücke festgehalten hatten, statt. Richard Schneider und Philippe Strasser, beide Lkw-Testfahrer bei Daimler, waren zur dunkelsten Jahreszeit kurz vor der Wintersonnenwende am Polarkreis. Beide zeigten sich unabhängig voneinander begeistert von Daylight+. Auch für Siegfried Rothe brachten die Rückmeldungen der Lkw- Testfahrer eine neue Erkenntnis. Die Fahrer berichteten übereinstimmend vom deutlich angenehmeren Raumgefühl in der Kabine mit der zusätzlichen Beleuchtungseinrichtung.
„An den Aspekt einer virtuellen Vergrößerung des Raums haben wir beim Aufsetzen der Testreihe gar nicht gedacht“ gibt der Versuchsleiter zu. Rothe rechnet damit, dass es nach dem Ende der Versuchsreihe am Polarkreis mehrere Monate dauern wird, ehe das umfangreiche Datenmaterial gesichtet und analysiert ist. „Erst dann können wir eine Empfehlung abgeben, ob die Ergebnisse der Testreihe sinnvollerweise in eine veränderte Konzeption der Kabinenbeleuchtung münden sollten.“