Der 18. und vorletzte Lauf der Formel 1-Saison 2014 findet in Brasilien auf dem Autódromo José Carlos Pace in São Paulo statt. Interlagos ist eine fordernde Strecke, die stets einige Überraschungen parat hält.
In der Vergangenheit fand hier oft das Saisonfinale statt, was zu ungewöhnlichem Verhalten bei den Fahrern führen kann. Normale Vorgänge wie die Einfahrt in die Boxengasse können dann einige Fahrer eiskalt erwischen. Sie kennen natürlich das Reglement, dennoch ist es nicht ungewöhnlich, dass Strafen für wiederholtes Fehlverhalten bei der Boxeneinfahrt ausgesprochen werden. Denn diese ist auf dieser Strecke etwas ungewöhnlich. Aber auch abseits des Cockpits trägt eine Vielzahl an einzigartigen Charakteristiken zur Unvorhersehbarkeit in São Paulo bei. Das Wetter ist sehr variabel. Oft regnet es stark während der Trainings und ist dann am Sonntag komplett trocken. Das hat uns in den vergangenen Jahren einige faszinierende Rennen beschert, in denen sich die Fahrer und Teams schnell an unbekannte Bedingungen gewöhnen mussten. Aufgrund der Höhenunterschiede läuft das Wasser zu bestimmten Zeitpunkten über die Strecke. Das kann dazu führen, dass die Session unterbrochen wird. Die Streckentemperaturen können ebenfalls stark variieren. Sie können bis zu 48 Grad heiß werden, aber auch bis auf niedrige Werte um die 20 Grad fallen. Diese Schwankungen können nicht nur von Jahr zu Jahr auftreten, sondern auch von Tag zu Tag. Dadurch ist es schwierig, die richtige Setuprichtung für jede Session vorherzusagen.
Die Strecke wurde gerade erst beinahe komplett neu asphaltiert. Das bedeutet eine nicht zu unterschätzende Unbekannte für das Wochenende. Das hat sich bereits in Sotschi gezeigt. Dort verhielten sich die Reifen vor allem während des Rennens ungewöhnlich. Das Ausmaß hängt von der Qualität der Streckenoberfläche ab, wie lange sie schon benutzt wird und welche Materialien verwendet wurden. Ein weiterer Faktor wird sein, wie glatt der Belag ist. Denn dadurch könnten die bisher immer recht starken Bodenwellen ausgeglichen worden sein. Auch das Gripniveau, sowohl zu Beginn des Wochenendes als auch im Verlauf dessen, wird Einfluss darauf haben, wie viele Einstellungen von Run zu Run vorgenommen werden müssen, um mit der Weiterentwicklung der Strecke Schritt zu halten. All diese Fragen müssen so schnell wie möglich beantwortet werden. Dabei könnte es einige Überraschungen geben, ganz besonders mit Blick auf die weichere Reifenwahl mit der weichen und der mittleren Mischung.
Die Höhenlage der Strecke hat schon seit jeher Einfluss auf die Motorleistung. Elektrische Leistung ist davon jedoch nicht betroffen. Das macht die Hybrid-Elemente der Power Unit umso stärker auf diesem Kurs. Eine Runde ist mit gerade einmal 4,309 km Länge recht kurz. Auch das steigert den Einfluss der elektrischen Leistung. Vor allem im letzten Sektor, dem langen Anstieg in Richtung Start/Ziel, müssen die Fahrer sicherstellen, dass sie ausreichend Hybrid Power aufgehoben haben, um ihre Geschwindigkeit zu optimieren. Wer an diesem Punkt zu wenig elektrische Leistung zur Verfügung hat, ist für einen Angriff eines anderen Fahrers anfällig. Das sollte Runde für Runde zu faszinierenden Zweikämpfen führen, indem sich Autos auf den beiden DRS-Geraden fortwährend gegenseitig überholen.
In Brasilien erleben wir häufig eine hohe Anzahl an Überholmanövern – und das nicht immer in Kurven, in denen man es erwarten würde. Die DRS-Zonen vor den Kurven eins und vier sind die offensichtlichsten Überholstellen. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, dass die Fahrer ein mutiges Manöver an einer unerwarteten Stelle probieren. Das wird in diesem Jahr mit Blick auf den frischen Asphalt besonders interessant. Denn jetzt müssen die Fahrer das Gripniveau rund um die Strecke neu herausfinden. In der ersten Kurve kommt es zudem häufig zu Berührungen, ganz besonders auf der ersten Runde. Auch dieser Faktor könnte durch das fehlende Wissen über das Gripniveau gesteigert werden.
Lewis Hamilton zur Strecke in Brasilien: „Zu Beginn der Runde geht es ziemlich flach in die erste Kurve, die über wenig Grip verfügt. Die Kurve fällt relativ steil nach unten ab, wobei man sich sehr leicht verbremsen kann. Man muss sicherstellen, dass man relativ eng aus der Kurve herauskommt, damit man die richtige Linie für Kurve zwei und drei erwischt. Die Positionierung ist extrem wichtig, um den Speed durch die beiden Kurven mitnehmen zu können. Denn danach geht es in die erste DRS-Zone. Eine der besten Überholstellen auf der Strecke befindet sich vor Kurve vier. Man bremst relativ spät – lange nach der 100 m Linie und kurz vor der 50 m Linie – deshalb braucht man maximalen Speed auf dem Weg zur Kurve. Ausgangs der Kurve nimmt man ein wenig den Kerb mit, danach geht es direkt zu Kurve fünf und hinauf zu Kurve sechs. Auch ausgangs dieser Kurve muss man versuchen, so viel Geschwindigkeit wie möglich mitzunehmen. Es geht darum, den Scheitelpunkt richtig zu erwischen. Das Gleiche gilt für Kurve sieben, man fährt mit dem Auto weit hinaus, um den Eingang von Kurve acht zu erwischen. Wie in Kurve neun ist es hier erforderlich, dass man den gesamten Kerb mitnimmt, um die richtige Linie zu erwischen. Es ist verdammt schwierig, es richtig hinzubekommen. Danach geht es zu Kurve 10, die wenig Grip besitzt und ewig zu dauern scheint. Dort hat man extrem wenig Traktion, trotzdem muss man versuchen, bestmöglich durchzukommen. Danach geht es geradewegs zu Kurve 11, wo das Auto konstant auszubrechen droht. Das Anbremsen von Kurve 12, der letzten Kurve, ist extrem hart. Es ist sehr einfach, die Kurve zu überfahren, denn die Charakteristik des Mittelsektors ist von vielen Beschleunigungs- und starken Bremsmanövern geprägt. Deshalb sind die Reifen so heiß, dass das Heck hier leicht ausbrechen kann. Man muss versuchen, den Speed zu halten, da es zum Abschluss der Runde den Hügel hinauf zu Start-Ziel geht. Entscheidend ist, dass man das Lenkrad so gerade und gleichmäßig wie möglich hält.“
Nico Rosberg zur Strecke in Interlagos: „Was Interlagos einzigartig macht, ist die Höhenlage. Da die Luft im Vergleich zu den meisten anderen Rennstrecken sehr viel dünner ist, verliert man sehr viel Motorpower und Abtrieb. Das hat natürlich auf viele Dinge Einfluss, zum einen auf die Autos, zum anderen auf die Abläufe – zum Beispiel fällt die Startperformance auf dieser Strecke stets schlechter aus. Auf dieser Strecke wird gegen den Uhrzeigersinn gefahren, was im aktuellen Kalender recht unüblich ist und vor allem die linke Seite des Nackens beansprucht. Normalerweise wird auf diese Seite nicht so viel Druck ausgeübt. Das spürt man vor allem Richtung Start/Ziel. Denn diese Passage ist keine richtige Gerade, sondern eine kontinuierliche Kurve von Kurve 12 über die Kurven 13 sowie 14 bis zu 15. Dieser Kurs ist bestens zum Überholen geeignet – speziell auf der Geraden in Richtung Kurve 1, die äußerst knifflig ist. Man muss sie absolut richtig erwischen, um das Überholmanöver zu Ende zu bringen. Hier passiert es sehr leicht, dass das innere Rad blockiert und man den Schwung durch die nächste Kurvenfolge verliert. Das Wetter kann das Wochenende in Brasilien sehr interessant gestalten. In Kombination mit den Überholmöglichkeiten haben die Fans vor den TV-Geräten, oftmals extrem aufregende Rennen zu sehen bekommen.“