Daimler, BMW, Ford und Volvo erproben in Zusammenarbeit mit HERE Technologies, TomTom sowie den Verkehrsbehörden sechs europäischer Länder, wie sich Informationen zu akuten Gefahrensituationen in Echtzeit per Car-to-X Technologie weitergeben lassen. Die Projektpartner haben heute im niederländischen Eindhoven ein Memorandum of Understanding (MoU) unterzeichnet. Die Versuchsphase ist auf zwölf Monate ausgelegt und startet in den Niederlanden.
Wie lässt sich die Information zu einer plötzlichen Gefahr – etwa Glatteis oder Unfall – so schnell wie möglich an nachfolgende oder entgegenkommende Verkehrsteilnehmer weitergeben? Daimler nutzt bereits seit 2013 serienmäßig Technologien der mobilen Vernetzung, um Gefahrenhinweise von Fahrzeug zu Fahrzeug („Car-to-Car“) zu übermitteln. Nun arbeiten erstmals führende OEM und Navigationsdienste an einer gemeinsamen, herstellerunabhängigen und EU-weiten Lösung. Die Verkehrs- und Transportministerien aus Deutschland, Spanien, Finnland, Luxemburg, den Niederlanden und Schweden unterstützen das Projekt. Ziel des heute gestarteten Pilotprojekts ist es, technische, wirtschaftliche und rechtliche Fragen rund um „Car-to-X“ weiter zu erforschen. Car-to-X bezeichnet die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander und mit der Verkehrsinfrastruktur.
Sajjad Khan, Executive Vice President, Member of Divisional Board, Mercedes-Benz, CASE: „Car-to-X Kommunikation hat das Potenzial, die Sicherheit auf den Straßen signifikant zu erhöhen. Mit diesem Projekt heben wir die bisherigen Ansätze auf eine neue Stufe: Erstmals sind viele leistungs- und reichweitenstarke Partner an Bord, so dass Gefahrenhinweise nahezu in Echtzeit eine große Anzahl an Verkehrsteilnehmern erreichen. Das kann Leben retten. Das Fundament für diese Entwicklung hat Daimler bereits vor Jahren gelegt: Die Fahrzeuge von Mercedes-Benz verfügen schon heute über die Technologie, die für einen flächendeckenden und datensicheren Austausch von sicherheitsrelevanten Verkehrsinformationen nötig sind.“
Im Einklang mit EU-Zielen
Der Fokus des Projekts liegt auf sicherheitsrelevanten Verkehrsinformationen – auf EU-Ebene unter dem Stichwort „Safety Related Traffic Information“ (SRTI) diskutiert. Mit ihrer Initiative unterstützen die Projektpartner die Bestrebungen der EU-Kommission, die Entwicklung von vernetzten und intelligenten Transportsystemen voranzutreiben. Langfristiges Ziel der EU ist es, die Zahl der Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr bis 2050 deutlich zu senken. Verbesserte Informationsflüsse könnten dazu entscheidend beitragen.
In der EU-Verordnung 866/2013 ist unter anderem festgelegt, dass ein Mindestniveau allgemeiner, für die Straßensicherheit relevanter Verkehrsinformationen allen Nutzern möglichst unentgeltlich zur Verfügung stehen soll. Die heute unterzeichnete Vereinbarung stützt sich auf diese politische Grundlage.
Die Projektpartner setzen grundsätzlich auf eine technologieoffene Erprobung und Weiterentwicklung der Informationsflüsse durch die Car-to-X Technologie. Für das Pilotprojekt werden die bereits verbauten, mobilfunkbasierten Kommunikationssysteme genutzt. Diese sind erprobt und sofort einsatzfähig.
Der Datenfluss: Wie die Informationen übermittelt werden
Nach der Unterzeichnung des Memorandum of Understanding im Rahmen des ITS European Congress in Eindhoven haben die Projektpartner beispielhaft demonstriert, wie die Weitergabe der Informationen per Car-to-X Kommunikation abläuft. Drei Szenarien veranschaulichten die Informationsweitergabe. Dabei simulierte jeweils ein „Sender“ eine Pannen- oder Gefahrensituation:
- Szenario 1: Der Fahrer eines Mercedes-Benz Fahrzeugs betätigt die Warnblinkleuchte.
- Szenario 2: Der Fahrer eines BMW Fahrzeugs setzt über das Bordsystem einen Notruf ab („eCall“).
- Szenario 3: Eine Verkehrsleitbehörde informiert über eine plötzliche Gefahr im Umfeld, etwa eine Wanderbaustelle.
Die beiden Senderfahrzeuge waren entlang einer Strecke vom Stadtzentrum bis zum Evoluon Congress Center in Eindhoven positioniert. Die „Empfängerfahrzeuge“ – Testfahrzeuge der Marken Mercedes-Benz, BMW und Ford – fuhren diese Strecke entlang und simulierten so nachfolgende beziehungsweise entgegenkommende Autos in einer kritischen Verkehrssituation. Unmittelbar nach dem ersten Impuls der „Sender“ erhielten die
Insassen der Empfängerfahrzeuge über die Bordsysteme einen Hinweis.
Das Prinzip der Datenübermittlung funktioniert dabei wie folgt: Jede der Aktionen setzt einen Impuls und damit den Datenfluss in Gang. Eine Meldung wird vom Sender – also dem Fahrzeug oder der Verkehrsbehörde – anonymisiert und in der Regel mobilfunkbasiert an einen so genannten „Aggregator“ übermittelt. Diese Rolle nehmen zum Beispiel die Experten für Navigationssysteme, TomTom und HERE, ein.
Unter Realbedingungen sammelt der Aggregator die Informationen und führt sie zusammen, bis eine kritische Anzahl an Meldungen erreicht ist. Dann wird aus dem „Aggregator“ ein „Service Creator“: Er erstellt eine Warnmeldung. Über die Navigationssysteme beziehungsweise die Kommunikationssysteme der Automobilhersteller wird diese Warnung wiederum an die Empfängerfahrzeuge gesendet, die sich in der Nähe der Gefahrenstelle befinden. Aufgrund der hohen Marktdurchdringung der beteiligten Navigationsdienste kann sich somit eine große Anzahl von Verkehrsteilnehmern frühzeitig auf eine akute Gefahrensituation einstellen.
Ziele und Grenzen des Tests: Datensicherheit im Fokus
Gegenstand der Untersuchung werden in den kommenden zwölf Monaten unter anderem Fragen der Datenkompatibilität und der cloudbasierten Datenverarbeitung sein. Die beteiligten Firmen nutzen zunächst die derzeit verbauten Kommunikationstechnologien und Dateiformate, um sie im nächsten Schritt gegebenenfalls weiterzuentwickeln und zu harmonisieren. Die Zusammenarbeit der Projektpartner startet in den Niederlanden und soll sukzessive auf andere EU-Staaten ausgeweitet werden.
Die Sicherheit der Daten hat zu jedem Zeitpunkt des Projekts oberste Priorität. Der Informationsfluss findet für den Zeitraum des Pilotprojekts innerhalb eines geschlossenen „Ökosystems“ statt, zu dem lediglich die Projektpartner Zugang haben. Daimler setzt für das Projekt ausschließlich die Testflotte ein, Kundendaten werden nicht erhoben. Außerdem senden die beteiligten Mercedes-Benz Fahrzeuge alle Daten in anonymisierter Form: Jede Meldung enthält lediglich die Information zum Ereignis und einen Zeitstempel. Ein Bezug zum Sender-Fahrzeug lässt sich nicht herstellen.
Hintergrund: Car-to-X Technologien bei Daimler
Daimler bringt in das Kooperationsprojekt eine umfassende Expertise zu Car-to-X Technologien ein. Als erster Automobilhersteller der Welt hat Mercedes-Benz 2013 die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation in Serienfahrzeugen auf die Straße gebracht. Seit 2016 werden Car-to-X Kommunikationsmodule serienmäßig verbaut – zunächst in der E-Klasse, mittlerweile in allen Mercedes-Benz Fahrzeugen mit Navigationssystem.
Seit mehr als zehn Jahren engagiert sich Daimler zudem in Forschungsprojekten zum Thema: unter anderem dem größten deutschen Feldversuch zu Car-to-X Kommunikation „sim TD – Sichere Intelligente Mobilität – Testfeld Deutschland“. Von 2008 bis 2013 haben 500 Teilnehmer mehr als 1,6 Millionen Fahrkilometer zurückgelegt, um den Beitrag intelligenter Kommunikationssysteme zur Verbesserung der Verkehrssicherheit und Mobilität zu untersuchen. Schon in diesem Projekt hat Daimler mit anderen Automobilherstellern und Zulieferern zusammengearbeitet. Es konnte gezeigt werden, dass Car-to-X Funktionen signifikant die Sicherheit während der Fahrt erhöhen. Auch Umweltbelastungen ließen sich durch eine effizientere Nutzung der Verkehrswege vermeiden, so die Forscher. Vernetzte, intelligente Kommunikationssysteme könnten dazu entscheidend beitragen.
Bilder: Daimler AG