Im Jahr 1894 unternahm Baron Theodor von Liebieg eine beeindruckende Fernfahrt von nahezu 1.000 Kilometern mit dem Benz Victoria, einem frühen Automobilmodell, das 1893 mit der neuartigen Achsschenkellenkung ausgestattet wurde. Diese innovative Technik, entwickelt von Carl Benz, revolutionierte die Automobilwelt, indem sie das Fahrzeughandling sicherer und komfortabler machte. Im Gegensatz zur traditionellen Drehschemellenkung, bei der die gesamte Vorderachse um einen Drehpunkt schwenkt, lenkt die Achsschenkellenkung die Vorderräder unabhängig voneinander, was die Fahrstabilität in Kurven deutlich verbessert.
Von Liebieg, ein Fabrikantensohn aus Reichenberg (heute Liberec in Tschechien), erwarb den Benz Victoria direkt bei Carl Benz in Mannheim. Sein Abenteuer begann im Juli 1894 und führte ihn über eine lange Strecke nach Gondorf an der Mosel. Diese Reise, die durch unwegsames Gelände und eine unzureichende Infrastruktur gekennzeichnet war, stellte eine enorme Herausforderung dar. Die Reisenden mussten Benzin in Apotheken und Drogerien kaufen und den Kraftstoff selbst in den Fahrzeugtank füllen. Der Benz Victoria, der eine Leistung von etwa 4 PS aus einem Einzylindermotor schöpfte, hatte einen hohen Kraftstoffverbrauch von mehr als 20 Litern pro 100 Kilometer.
Das Fahrzeug war äußerlich einer Kutsche ähnlich, verfügte jedoch über fortschrittliche Technik wie die erwähnte Achsschenkellenkung und eine aufwendige Konstruktion, die die Fahrstöße von schlechten Straßen abmilderte. Gesteuert wurde das Fahrzeug mit einer Lenkkurbel, die an einer senkrechten Lenksäule befestigt war und über komplexe Mechanismen die Lenkung auf die Vorderachse übertrug.
Die Reise von Liebieg wurde in einem detaillierten Tagebuch dokumentiert, das reich illustriert ist und heute in den Mercedes-Benz Classic Archiven aufbewahrt wird. Dieses Tagebuch gibt umfassende Einblicke in die Erfahrungen und Herausforderungen der Reise. Liebieg und sein Begleiter, Franz Stransky, benötigten für die gesamte Strecke sechs Etappen und 69 Stunden Fahrzeit, bevor sie ihr Ziel erreichten. Bei der Rückfahrt begleiteten sie sogar Carl Benz und seine Familie bis Gernsheim.
Diese Fernfahrt stellte nicht nur einen bemerkenswerten technischen Fortschritt dar, sondern legte auch den Grundstein für die Anerkennung des Automobils als zuverlässiges Transportmittel über große Distanzen. Sie markierte zudem den Beginn einer langen Tradition im Motorsport, da von Liebieg später auch an wichtigen Rennveranstaltungen teilnahm, darunter die erste Automobilwettfahrt durch die Alpen und das erste Internationale Rennen in Wien. Die Reise des Baron von Liebieg steht somit als bedeutendes Beispiel für die Pionierleistungen im Automobilbereich und die frühen Anfänge des Motorsports.
Bilder: Mercedes-Benz Group AG