Mit der Übernahme der Mehrheit an der Auto Union GmbH im April 1958 bis Ende 1959 auch die übrigen Anteile wurde die Auto Union – aus der sich später die Marke Audi entwickelte – eine hundertprozentige Tochter der Daimler AG. Erst zum 1. Januar 1965 wurden die Mehrheit wieder an Volkswagen abgegeben, vorab wurden aber wichtige Weichen für die Zukunft gestellt: so entstand das Mercedes-Benz Werk Düsseldorf aus einem bisherigen Standort der Auto Union, aber auch bei der Entwicklung der Audi-Modelle der 1960er Jahre leistete Mercedes-Benz wichtige Beiträge.
Entwicklungs-Synergien zwischen der Auto Union GmbH sowie der Daimler-Benz AG
Vier Sitzungen lang berät der Vorstand der Daimler-Benz AG vor weit über 60 Jahren über eine Initiative des Großaktionärs Friedrich Flick: Dieser setzt sich Anfang 1958 für eine Fusion der Daimler-Benz AG und der Auto Union GmbH ein. Die Modellprogramme der beiden Unternehmen werden sich ergänzen, schätzt der Industrielle. So könne man bei künftigen Entwicklungen Synergien nutzen. Flick besitzt zu diesem Zeitpunkt jeweils rund 40 Prozent der Anteile an den beiden Unternehmen. Am 6. März 1958 beschließt die Stuttgarter Konzernführung schließlich, die Mehrheit an dem Ingolstädter Unternehmen mit den vier Ringen als Markenzeichen zu übernehmen.
Übernahme eines der wichtigsten Mitbewerber im Jahr 1958
Am 1. April 1958 genehmigt der Aufsichtsrat der Daimler-Benz AG die Übernahme von knapp 88 Prozent des Stammkapitals der Auto Union GmbH. Die Transaktion gilt rückwirkend zum Jahresbeginn 1958. Vor dem Zweiten Weltkrieg ist die 1932 gegründete Auto Union AG in Chemnitz mit den Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer einer der wichtigen Mitbewerber von Mercedes-Benz. Die Rivalität zeigt sich unter anderem im Motorsport, wo die Stuttgarter Silberpfeile gegen die Rennwagen der Auto Union antreten. Nach der Neugründung der Auto Union GmbH in Ingolstadt im Jahr 1949 werden lediglich die Zweitakt-Fahrzeuge der Marke DKW gebaut sowie wenige Jahre lang der ebenfalls mit Zweitaktmotor ausgerüstete Auto Union 1000 (1958 bis August 1963).
Am 14. April 1958 findet in Stuttgart-Untertürkheim die erste gemeinsame Sitzung der Vorstände der Daimler-Benz AG und der Auto Union GmbH statt. Auf der Tagesordnung stehen wichtige Fragen der technischen Ausrichtung für die Zukunft. Beispielsweise zweifeln die Vertreter der Daimler-Benz AG daran, dass der Dreizylinder-Zweitaktmotor von DKW auch nur wenige Jahre lang eine weitere Chance im Markt für Personenwagen haben wird. Die Sache erscheint ohnehin klar, hat sich die Auto Union doch bereits im Vorfeld dazu bereit erklärt, den Nachfolger des Personenwagens DKW 3=6 mit einem Vierzylinder-Viertaktmotor auszurüsten. Doch sofort will man in Ingolstadt nicht auf den Zweitakter verzichten.
Ende April 1958 reisen die Daimler-Benz Vorstände Professor Dr. Fritz Nallinger und Wilhelm Künkele nach Düsseldorf, um mit der Koordination der Zusammenarbeit zu beginnen. Im August 1958 übernehmen dann Hanns-Martin Schleyer und Oberingenieur Arthur Mischke die Leitung der Verbindungsstelle zwischen Daimler-Benz und Auto Union. Und am 21. Dezember 1959 vereinbart der Stuttgarter Konzern, die restlichen Anteile des Unternehmens aus Ingolstadt zum 31. Dezember 1959 zu übernehmen. Damit ist die Auto Union ab 1960 eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Daimler-Benz AG.
Geburt des Mercedes-Benz Werks Düsseldorf
Im Juli 1958 wird der Grundstein für ein komplett neues Werk der Auto Union in Ingolstadt gelegt. Es nimmt bereits im Jahr 1959 den Betrieb auf. Bereits damit werden Kapazitäten in dem 1950 gegründeten Standort Düsseldorf der Auto Union frei, die für Mercedes-Benz hochinteressant sind. Als dann der Aufsichtsrat der Auto Union am 31. Mai 1961 beschließt, die Produktion ganz aus Düsseldorf nach Ingolstadt zu verlegen, wird eine umfassende Änderung möglich.
Die Daimler-Benz AG pachtet 1961 den Standort, der nach dem Zweiten Weltkrieg auf einem ehemaligen Rheinmetall-Borsig-Werksgelände entstanden ist. Das Stuttgarter Unternehmen verlagert die Produktion des Transporters L 319 und des Dieselmotors OM 636 sowie den Bau von Lenkgetrieben und Schaltgestängen dorthin. 1962 verkauft die Auto Union das Werk Düsseldorf an die Industriemotoren GmbH, ein Tochterunternehmen der Daimler-Benz AG.
Damit ist das Werk Düsseldorf fest im Fertigungsverbund des Unternehmens verankert. Über die Jahre wird es kontinuierlich bis zur heutigen herausragenden Position ausgebaut. Allein in den vergangenen Jahren investiert Daimler rund 300 Millionen Euro an dem Standort. Heute arbeiten im weltweit größten Transporterwerk der Daimler AG in Düsseldorf rund 6.600 Menschen. Es ist das Leitwerk für die weltweite Produktion des Mercedes-Benz Sprinters. Anfang März 2018 findet in Düsseldorf der Bandanlauf für den Bau des Sprinters der neuesten Generation statt.
Audi-Modelle mit Mercedes-Benz Genen
Während Düsseldorf als Leitwerk für die Mercedes-Benz Transportersparte aufgebaut wird, soll die jetzt in Ingolstadt konzentrierte Produktion der Auto Union modernisiert werden. Der Finanzbedarf dafür ist erheblich: Zwischen 1959 und 1964 werden bei der Auto Union mehr als 340 Millionen Mark investiert, dazu kommt der Erlös aus dem Verkauf des Werks Düsseldorf an die Daimler-Benz AG.
Doch die Entwicklung des Unternehmens kommt nur langsam voran. Deshalb entsendet der Stuttgarter Konzern am 8. Oktober 1963 einen seiner fähigsten Ingenieure nach Ingolstadt: Ludwig Kraus, den Leiter der Konstruktion der Mercedes-Benz Vorentwicklung. Kraus hat seit Ende der 1930er-Jahre Schiffsdieselmotoren entworfen, nach 1945 ist er an der Konstruktion des 1,7-Liter-Dieselmotors OM 636 maßgeblich beteiligt, und Anfang der 1950er-Jahre leitet er die Konstruktion des erfolgreichen Mercedes-Benz Formel-1-Rennwagens W 196 R und des Rennsportwagens 300 SLR (W 196 S). Nun soll er die Veränderung der Auto Union forcieren. Kraus genießt dabei quasi einen Heimvorteil, schließlich ist er in Ingolstadt zur Schule gegangen und hat dort sein Abitur gemacht.
Die Personalie wird weitreichende Folgen haben. Denn Ludwig Kraus bringt von Daimler-Benz nicht nur eine Mannschaft hochengagierter junger Techniker mit nach Ingolstadt, sondern auch einen neuen und fast fertig entwickelten Vierzylindermotor mit der internen Bezeichnung M 118 und dem ursprünglichen Codenamen „ Mexico“. Dessen hohe Verdichtung (1:11,2) und die intensive Verwirbelung des Ansauggemischs durch schneckenförmige Ansaugkanäle führen zu einem niedrigen Treibstoffverbrauch. Hinzu kommt ein vibrationsarmer Lauf, der von allen damaligen Tests auch bestätigt wird.
Als sogenannter Mitteldruckmotor hat dieser Mercedes-Benz Vierzylindermotor 1965 im neuen Auto Union Typ Audi Premiere, der intern auch als F103 bezeichnet wird. Das Fahrzeug ist der erste Personenwagen der Auto Union mit Viertaktmotor nach dem Zweiten Weltkrieg und zugleich das erste Modell der Marke Audi, das seit Kriegsende erscheint.
Auch die weitere Fahrzeugentwicklung der Auto Union und ihrer Marke Audi trägt zunächst die deutliche Handschrift von Mercedes-Benz. Denn Ludwig Kraus bleibt als Technischer Direktor in Ingolstadt, als die Daimler-Benz AG zum 1. Januar 1965 die Aktienmehrheit der Auto Union an den Volkswagenkonzern verkauft. Ab 1966 ist das Unternehmen dann eine hundertprozentige Tochter von Volkswagen.
Kraus und die anderen früheren Ingenieure von Mercedes-Benz sind mit der dort ab 1953 erfolgten Entwicklung der Prototypen für die möglichen Stuttgarter Mittelklasse-Baureihen W 122 und W 119 vertraut. Diese haben ein an die SL-Sportwagen der Baureihe W 113 erinnerndes Gesicht, eine modern gezeichnete Karosserie mit niedriger Gürtellinie und eine dynamische Heckgestaltung. So ist es nicht verwunderlich, dass die Karosserie des bei der Auto Union entwickelten ersten Audi 100 Züge des W 119 erkennen lässt. Das Fahrzeug hat ebenfalls den Vierzylinder-Mitteldruckmotor. Kraus arbeitet zunächst im Geheimen an dem Mittelklassefahrzeug, das 1968 Premiere hat – und dem Unternehmen schließlich den großen Sprung in die Zukunft bringt. Auch die Typen Audi 80 (1972) und Audi 50 (1974) entstehen unter der Leitung von Kraus.
Quelle: Daimler AG