Der im Jahr 1952 präsentierte Rennsportwagen Mercedes-Benz Typ 300 SL der Baureihe W 194 war eindeutig das Verdienst des Ingenieurs Rudolf Uhlenhaut. Uhlenhaut, einer der wenigen Automobilspezialisten mit großer konstruktiver Begabung, hat ihn geschaffen – und damit den Grundstein für Rennerfolge und auch die Basis für den späteren Seriensportwagen 300 SL (Baureihe W 198) gelegt.
Rudolf Uhlenhaut startet im Jahr 1931 zunächst als Betriebsassistent
Rudolf Uhlenhaut wird nach seinem Studienabschluss 1931 vom damaligen Versuchsleiter Fritz Nallinger zunächst als Betriebsassistent für den Versuch engagiert. Nallinger erkennt rasch Uhlenhauts Begabung als „fahrender Ingenieur“. Denn Uhlenhaut steuert alles, was ihm in die Hände gerät – und das schnell und exzellent, beispielsweise vom monströsen dreiachsigen Geländewagen Mercedes-Benz G 4 bis hin zum Typ 500 K als leichtem Sportroadster bei der Fahrt „2000 km durch Deutschland“ – Uhlenhaut ist zu Hause in allem, was Räder hat. Seine erfolgreiche Karriere als Rennwagenentwickler ab 1936 wird ebenfalls von Nallinger initiiert.
Geboren im Jahr 1906
Doch wie kommt es zu Uhlenhauts genialen Schöpfungen? Die Antwort ist wohl in seiner vielschichtigen Persönlichkeit zu finden. Der 1906 in London geborene Uhlenhaut – Englisch ist seine Muttersprache – ergreift den Beruf des Diplom-Ingenieurs. Wer in ihm aber nun einen am Zeichenbrett stehenden Konstrukteur im weißen Arbeitsmantel erwartet, wie damals üblich, muss umdenken. Denn Uhlenhaut findet man eher in irgendeinem Fahrzeug oder in den Werkstätten, um mit seinen Mitarbeitern Lösungen zu erarbeiten. Berühmt ist die Anekdote aus den 1950er-Jahren, als er zwei junge Ingenieure zu seinem Freund Josef Müller in die Konstruktionsabteilung schickt und beide mit folgendem Satz telefonisch avisiert, um eine Zeichnung anfertigen zu lassen: „Josef, ich schicke dir jetzt zwei junge Leute von mir. Lasse das, was sie dir vortragen, bitte nachzeichnen. Nachzeichnen, nicht neu nachdenken!“
Zwei Dinge sind äußerst typisch für Uhlenhaut. Er entwickelt seine Ideen aus der Praxis heraus, und er verkehrt mit seinen Mitarbeitern stets auf Augenhöhe und nie herablassend, egal ob in der Werkstatt oder in den Büros. Seine Gelassenheit und Souveränität gepaart mit seiner Kompetenz verschaffen ihm auch bei Vorgesetzten stets einen Status der Gleichwertigkeit.
Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt Uhlenhaut sich rasch auch wieder mit Sportfahrzeugen. Er wird vom britischen Colonel Michael McEvoy von den Royal Electrical and Mechanical Engineers engagiert, um für ihn einen kleinen Rennwagen zu bauen. Beide kennen sich aus der Vorkriegszeit, als McEvoy sich um den Einbau von Zoller-Kompressoren in Rennmotoren bemüht. Uhlenhaut sieht für seine Konstruktion des kleinen Rennwagens einen Rahmen aus geschlossenen Rohrdreiecken vor. Die einzelnen Rohrsegmente werden nur auf Druck oder Zug beansprucht. Dadurch kann der Rahmen leicht, aber stabil gehalten werden und garantiert ein hohes Maß an Biege- und Drehfestigkeit. Diese Idee der nur auf Zug und Druck beanspruchten Segmente ist neu; andere Rohrrahmen hat es auch schon vorher gegeben. Doch Uhlenhaut übernimmt die Idee des Gitterrohrrahmens für den Rennsportwagen 300 SL (W 194). Zwischen 64 und 68 Kilogramm wiegt der Rahmen des Fahrzeugs schließlich. Damit ist er nicht nur leichter als der X-Ovalrohrrahmen des Vorkriegsrennwagens W 154, sondern auch verdrehsteifer als dieser.
Da Uhlenhaut für den 300 SL aus Zeit- und Kostengründen unbedingt den Motor der repräsentativen Limousine Mercedes-Benz 300 (W 186) übernehmen muss, überlegt er, wie er den Luftwiderstand des Fahrzeugs verringern kann. Das Resultat: Der Motor wird um 50 Grad nach links geneigt eingebaut und mit einer Trockensumpfschmierung versehen, um die Bauhöhe zu reduzieren. Dadurch erhält der 300 SL eine sehr
niedrige Front und einen geringen Stirnwiderstand.
Uhlenhauts Konzept ist erfolgreich. Er resümiert im Dezember 1952 über den Sporteinsatz des 300 SL mit folgenden Worten: „Die Rennen des Jahres 1952 haben gezeigt, dass der Typ 300 SL mit Saugmotor in der Endgeschwindigkeit auch den stärksten Gegnern zum Mindesten gewachsen, wenn nicht sogar überlegen war, dass er aber in der Beschleunigung auf guten Straßen dem Ferrari 4,1 Liter eindeutig, dem Ferrari 3 Liter und dem 2,3 Liter Gordini etwas nachstand. Die mangelhafte Betriebssicherheit der Gegner und die Ausdauer des 300 SL führte jedoch im Allgemeinen zu einem Sieg unserer Marke.“
Uhlenhauts Konzept des 300 SL und insbesondere des für die Rennsaison 1953 von ihm weiterentwickelten Fahrzeugs mit der Fahrgestellnummer 11 ist so überzeugend, dass es für die neuen Renn- und Rennsportwagen der Jahre 1954/55 übernommen wird. Als Entwicklungschef für Personenwagen ist er neben den übrigen Personenwagen auch an der Entwicklung und an den Fahrwerkabstimmungen sämtlicher SL-Typen bis hin zur 1971 debütierenden Baureihe 107 maßgeblich beteiligt. Rudolf Uhlenhaut geht zum 30. September 1972 in den Ruhestand und starb am 08. Mai 1989 in Stuttgart.
Bilder/Quelle: Daimler AG