Ein Stern kehrt zurück: Mercedes-Benz restaurierte Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen von 1938

Mercedes-Benz Classic restaurierte nun ein einmaliges Einzelstück: den Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen des Jahres 1938, der dazumal für die Erprobung von Hochleistungsreifen für besonders schnelle und schwere Fahrzeuge eingesetzt wurde. Der Startschuss der Restauration fiel dabei Ende 2011, der ermittelte Luftwiderstandsbeiwert bei cW = 0,36.

Mercedes-Benz Classic präsentiert nun den restaurierten Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen – ein außergewöhnliches Fahrzeug, das selbst die Fachwelt in Erstaunen versetzt. Rund 75 Jahre nach seiner Fertigstellung im Jahr 1938 ist das Fahrzeug nun zurück auf der Straße. Es ist ein einzigartiges Automobil, seinerzeit entstanden mit dem Potenzial, an der Fernfahrt Berlin–Rom teilzunehmen, die dann aber zunächst auf das Jahr 1939 verschoben und schließlich wegen des Beginns des Zweiten Weltkriegs ganz abgesagt wird. Ab Mitte 1938 wird der Stromlinienwagen dann bei der deutschen Niederlassung des Reifenherstellers Dunlop eingesetzt, um Hochgeschwindigkeitsreifen für schnelle Fahrzeuge der rigiden Alltagserprobung zu unterziehen. Nach dem Krieg stillgelegt, rückt er nun, originalgetreu restauriert, wieder in das Licht der Öffentlichkeit.


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Die Restaurierung des 540 K Stromlinienwagen gehörte zu einen der anspruchsvollsten Projekten von Mercedes-Benz Classic, dabei fiel der Startschuss bereits Ende 2011. Vom ursprünglichen Fahrzeug waren dabei wichtige Originalkomponenten erhalten, beispielsweise der komplette Rahmen sowie die Hinterachse, die zum Zweck höherer Fahrgeschwindigkeiten eine längere Übersetzung hat. Doch vom wichtigsten Bestandteil des Einzelstücks waren am Rahmen lediglich Rückstände zu finden: von der Aluminium-Stromlinienkarosserie. Sie macht diesen 540 K zum wohl außergewöhnlichsten 540 K der Welt.

Das Projekt nahm im Wortsinn Formen an, als die Mercedes-Benz Classic Archive aus ihrem Bestand die originale Linienrisszeichnung zur Verfügung stellen konnte. Mit ihr kennt man nicht nur die genauen Abmessungen des Fahrzeugs – dieser Linienriss ist die millimetergenau am Zeichenbrett entwickelte dreidimensionale Flächenbeschreibung der Außenhaut. Der Holzrahmen, die Kühlerlage sowie die Fahrzeuglängsträger und weitere wichtige Details sind ebenfalls mit eingezeichnet.

Ideale Voraussetzungen, um diese historische Informationen und moderne CAD-Technologien miteinander zu verbinden und damit die archivierte Flächenbeschreibung auf ein zeitgemäßes Medium zu übertragen. Die Ergänzung von Details, vor allem aber die Erstellung von Fertigungszeichnungen, Hilfswerkzeugen und Schablonen werden so möglich und tragen zur originalgetreuen Fertigung bei. Das alles klingt einfach. Doch die Fertigungsvorbereitung dauerte rund ein Jahr. Als alle Details zusammengestellt sind, fiel Anfang 2013 der zweite Startschuss des Projekts: der zum Aufbau von Karosserie und Chassis, die am Ende – wie schon einmal im Jahr 1938 – zum fertigen Fahrzeug zusammengeführt wird.

Wiederum waren ausgesprochene Fachleute gefragt – solche, die die alten Handwerkskünste rund um den klassischen Automobilbau beherrschen. Um zum Beispiel den Holz-Hilfsrahmen aus Eschenholz aufzubauen, der die Aluminiumkarosserie trägt. Um diese Karosserie zwar unter Zuhilfenahme von Maschinen, aber vor allem mit der Hände Arbeit zu formen – passgenau und mit einer absolut gleichmäßigen Oberfläche. Um die Innenausstattung mit Nussbaumholz und feinstem Rindleder auszustatten, sodass das Ambiente eines der exklusivsten Neuwagen der 1930er-Jahre erneut fühlbar wird. Um die Technik des 540 K so aufzubauen, dass das Fahrzeug wie einst zuverlässig hohe Geschwindigkeiten erreicht und halten kann. Kurz: Um den 540 K exakt so wiederherzustellen, wie er 1938 ursprünglich entstanden ist.

Standard ist so gut wie nichts bei diesem 540 K. Nahezu jedes nicht mehr vorhandene Einzelteil und jedes Detail müssen individuell angefertigt oder aus der Sammlung von Mercedes-Benz Classic ergänzt werden. Doch das ist letztendlich Teil der Zeitreise, die dieses aufwendige Restaurierungsprojekt beschert: Denn auch 1938, als dieses Fahrzeug das erste Mal entsteht, ist es eine individuelle Einzelanfertigung. Mit einem kleinen Unterschied : Während die einstige Abteilung Sonderwagenbau im Werk Sindelfingen Tag für Tag und Jahr um Jahr ausschließlich singuläre Automobile von der feinsten Sorte baut und darin eine gewisse Routine entwickelt, stehen ihre heutigen Nachfolger von Mercedes-Benz Classic bei vielen Arbeitsschritten immer wieder vor der wiederkehrenden Frage: Wie wurde das damals gemacht? Doch diese Frage, man merkt es ihnen an, begreifen sie als Teil ihrer herausfordernden Aufgabe, die Restaurierung des Fahrzeugs so exakt wie möglich.

Und die gründliche Recherche. Denn die Handwerkskunst bei Mercedes-Benz Classic ist stets flankiert von einer fundierten Wissensbasis aus den Archiven. Hier werden Unterlagen zutage gefördert, etwa die originale Offertzeichnung der Stromlinien-Limousine, die einen detailreichen Eindruck von der vielleicht außergewöhnlichsten Karosserie verschafft, die je auf das Chassis eines 540 K gesetzt wurde. Oder der Kommissionsbuch-Eintrag, der Fertigungsbeginn und Kundendaten dokumentiert, sowie der originale Kraftfahrzeugbrief, der wichtige Lebensdaten des Fahrzeugs preisgibt.

Alte Fotos tauchen auf – nicht viele, aber jedes einzelne ist eine immense Hilfe auf dem Weg zum perfekten Ergebnis. So können auf den originalen Glas-Negativen aus den 1930er-Jahren durch Scannen mit höchster Auflösung auch kleinste Details sichtbar gemacht werden, etwa die Ausführung der historischen Kennzeichen, die Form des Armaturenbretts, sogar die Lage der Befestigungsschrauben der Holz-Innenverkleidung. Wichtige Informationen enthalten auch die Teilelisten und die Bedienungsanleitung zum 540 K. Alle Materialien ergeben das dicke Paket der Fertigungsunterlagen, mit dessen Hilfe die Fachleute in der Werkstatt miteinander fachsimpeln, sich in die Konstruktionen und Fertigungsabläufe der 1930er-Jahre hineindenken und so lange tüfteln, bis die Lösung perfekt ist. Daher handelt es sich auch nicht um ein reines Restaurierungsprojekt, sondern es ist in mancher Hinsicht auch ein Rekonstruktionsprojekt.

Für dessen Erfolg steht letztendlich die Teamleistung aller Beteiligten. Diverse Fachleute und Gewerke arbeiten miteinander, jeder bringt sein Wissen über historische Fahrzeugtechnik und zeitgenössische Fertigungsmethoden ein – und der 540 K Stromlinienwagen entsteht wieder in seiner ursprünglichen Perfektion.

Immer wieder hat das Projekt die Fachleute dazu gezwungen, die Konstruktionsweise der 1930er-Jahre nachzuvollziehen, weil Details und Fertigungsschritte für die Karosserie nicht dokumentiert sind. Das macht diesen 540 K zu einem perfekten Beispiel für die Verbindung von Restaurierung und Rekonstruktion.
Die vorhandenen Teile – der Rahmen, die Hinterachse mit längerer Übersetzung und Kotflügelhalter – wurden instand gesetzt und konserviert. Sie zeigen nach wie vor die Spuren der Zeit und erzählen so die Geschichte des Fahrzeugs auf ihre Weise: Beispielsweise über Abnutzungsmerkmale, dass das Fahrzeug bei Dunlop für die Reifenerprobung kaum geschont worden ist. Über Bohrungen, wie die Unterbodenverkleidung am Rahmen befestigt war. Oder auch über Lackspuren: Silbern war das Fahrzeug einst. Die Spuren dienten als Grundlage, den Lack passend neu mischen zu lassen.

Wie in den 1930er-Jahren wird das Fahrzeug klassisch aufgebaut: Auf dem Stahlrahmen mit der kompletten Technik ist ein Holz-Hilfsrahmen aus Eschenholz angebracht, der die Karosserie hält. Diese wird zwar unter Zuhilfenahme von Maschinen, doch mit viel Handarbeit aufgebaut – wie früher in der Abteilung Sonderwagenbau. Rund 4.800 Arbeitsstunden gingen allein in die Karosserie. Für jedes Detail wurde dabei eine Konstruktionszeichnung angefertigt. Am Ende begeistert die Genauigkeit: Alle Karosserieteile passen perfekt zusammen. Und wenn die Fahrzeugtüren satt ins Schloss rasten und die Fugen ein schmales und gleichmäßiges Bild zeigen – dann wird das wieder aufgebaute Fahrzeug zu einem Zeugen seiner Zeit und zugleich zu einem Botschafter für hochwertigste Fahrzeugrestaurierung. Und das Schild „Sindelfinger Karosserie“ an der linken Fahrzeugseite wird erneut zum Gütesiegel für eine individuelle Ausführung in höchster Qualität.

Aerodynamikfachleute aus der heutigen Pkw-Entwicklung von Mercedes-Benz haben bei der Nachkonstruktion der Unterbodenverkleidung beraten. Sie orientierten sich an den originalen Befestigungspunkten, wie sie nur dieses spezielle Fahrzeug aufweist, ist weitgehend geschlossen und hat nur unter Motor, Getriebe und Abgasanlage Lüftungsschlitze. Historische Informationen und Fotomaterial zum Interieur waren kaum verfügbar. Das Wenige wurde genutzt, aber auch hier wurde mit viel Sachverstand rekonstruiert. Klar ist: Das Armaturenbrett ist gebogen, um sich in die Kabinenkontur einzupassen – und genau so wurde es aus Nussbaumholz auch wieder hergestellt. Der gleichen Kontur folgen die zwei gebogenen Windschutzscheiben, die aus Glas nachgefertigt wurden. Die historischen Unterlagen besagen, dass das Fahrzeug einst mit grauem Leder ausgeschlagen ist, der Dachhimmel in grauem Stoff bezogen – 76 Jahre später steht der Stromlinienwagen wieder genau so da. Die beiden Vordersitze entsprechen dem Original, inklusive dem Verlauf der Pfeifen über das passend geraffte Leder. Technische Zeichnungen besagen, dass im Fond Klappsitze montiert sind – sie entstanden neu.

Der 540 K Stromlinienwagen verfügt über 8 Zylinder (in Reihe), einen Hubraum von 5.401 cm3 Leistung: 85 kW (115 PS), mit Kompressor 132 kW (180 PS). Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 185 km/h, der Luftwiderstandsbeiwert: cW = 0,36.

Quelle: Daimler AG

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Torsten S.
10 Jahre zuvor

Danke für diesen ausführlichen Bericht. Ein starkes Stück Zeitgeschichte unser aller Lieblingsmarke.

Matthias
10 Jahre zuvor

Schöner Blogeintrag. Habe ich gerne gelesen.

Ich finde es witzig, dass im Windkanal profanes Gewebeklebeband auf dem Boden ist. Irgendwie erwartet man ja von Mercedes-Benz immer und für alles die ultimative Hightechlösung. Und da wurde ja auch nicht mit dem Gaffatape gespart. Was wurde denn da geklebt? Kabel? Fugen?

StefanV
10 Jahre zuvor

Ich nehme an, das benutzt man um die Fugen zu verkleben, denn die können – vor allem im Windkanal – ein großes Problem darstellen. Finde ich als Lösung vollkommen ok.

Klaus Kleber
8 Jahre zuvor

Welchen Beitrag zur Rekonstruktion hat die Fa. Classic Skills (Noek Stevens) in den Niederlanden zu diesem Fahrzeug beigetragen ? Nach deren Aussage sind dort das Eschenholzgerippe und die Alubeplankungen ausgeführt worden ? Ist das richtig ?
Freundlich grüßt
Klaus Kleber