Im Sommer 1965 erfolgte der Bandablauf des ersten kompletten Lkw aus Wörth. Dieser LP 608 gehörte zu einer neuen Baureihe von leichten Lkw. Die mittelschweren und schweren Lkw folgten in jährlichen Schritten bis 1967, gleichzeitig mit Modellwechseln. Und, das als Einschub, bereits 1968 wurden Lkw-Selbstabholer erstmals im Rahmen einer Fahrerschulung gründlich in ihr neues Fahrzeug eingewiesen. Das war der Kern der heutigen umfangreichen Dienstleistungspalette von der Fahrzeugeinweisung über mehrtägige Profi-Eco-Trainings bis hin zur Berufskraftfahrer-Weiterbildung nach den heute gültigen, strengen gesetzlichen Vorgaben.
Geplant war Wörth zunächst mit einer Kapazität von rund 200 Lkw am Tag – und damit rund 50 000 Lkw im Jahr. Seither hat sich das Werk zur weltweit größten Lastwagenschmiede entwickelt. Heute kann das Werk Wörth bis zu 470 Einheiten täglich auf die Straßen der Welt bringen. Dabei stützt sich die Fahrzeugproduktion auf Komponenten, die in spezialisierten Fertigungs-zentren wie Mannheim (Motoren), Kassel (angetriebene und nicht angetriebene Lkw-Achsen) und der Getriebefertigung in Gaggenau an den Rhein geliefert werden.
Hochflexible Produktion von Actros bis Zetros
Jeder zweite in Deutschland zugelassene Lkw ist ein Mercedes-Benz aus Wörth. Von dieser Fabrik aus werden rund 150 Länder auf der ganzen Welt mit Lastkraftwagen beliefert. Fast 11 000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten derzeit im größten Lkw-Werk der Welt und produzieren in hochflexiblen Fertigungsanlagen die Mercedes-Benz Lkw Antos, Arocs, Atego – und seit bereits mehr als 20 Jahren den weltweit erfolgreichsten Schwer-Lkw Actros. Auch die Mercedes-Benz Special Trucks Econic, Unimog und Zetros werden hier gebaut.
Jeden Tag treffen rund 500 Lkw-Ladungen mit Material ein. Im Gegenzug verlassen täglich bis zu 470 neue, exakt nach Kundenwunsch gebaute Lkw das Werk. Die Diversität ist so hoch, dass es schon als Seltenheit gelten kann, wenn ein Fahrzeug dem anderen in allen Details gleicht.
Motivierte Mitarbeiter als Erfolgsgarant
Die weitsichtige Auslegung der Werksstruktur mitsamt ihren motivierten Fachkräften zeigt sich auch an anderer Stelle. Wenn die Konjunktur nach Rekordjahren wie 1981 (110 125 Lkw) absackt wie 1986 mit nur noch knapp 70 000 Lkw. In dieser Zeit bewährte sich die Flexibilität des Unternehmens-verbunds. Mehrere Jahre pendelten Wörther Mitarbeiter in die Fertigung nach Sindelfingen und unterstützten die dortige Pkw-Fertigung. Betriebsbedingte Entlassungen wurden so vermieden.
Und auch in schweren Zeiten investierte das Werk: 1985 nahm ein neues zentrales Teilelager den Betrieb auf. 1988 startete das neu errichtete Kundencenter. Zur Eröffnung feierte das Werk Geburtstag. 25 Jahre nach der Eröffnung zählte es exakt 11 586 Beschäftigte. Mit genau 82 422 Lkw stiegen auch wieder die Stückzahlen. Zugleich kam eine neue Lackieranlage, die seither umweltschonender und effektiver arbeitet und zusätzlich die Qualität steigert. Spritzautomaten ersetzen – von einigen Komponenten abgesehen – das herkömmliche Auftragen des Decklacks von Hand mit der Spritzpistole.
Alles auf Actros – und all die anderen…
Das Konzept „Rohbau 2000“ mit einer komplett neuen Fahrerhausfertigung mit hochflexiblen Fertigungsinseln und fahrerlosen Transportsystemen weist 1992 auf eine neue Ära hin. Es ist ein Vorgriff auf neue Fahrzeugmodelle, ebenso wie Ende 1995 eine neue Montage mit U-förmiger Fertigungslinie. Jetzt wird erstmals das komplette, bis zu 120 kg schwere Cockpit vormontiert und montagefertig ins Fahrerhaus gesetzt.
Die neue Montage kündigt einen Modellwechsel an: In einem Kraftakt erneuert Mercedes-Benz binnen kürzester Zeit sein komplettes Lkw-Programm. Im Mittelpunkt steht der neue schwere Lkw Actros. Zwei Tage vor Weihnachten, am 22. Dezember 1995, startet in Wörth die Pilotserie des rundum neuen Lkw, seine Publikumspremiere erlebt er im September 1996 auf der IAA. 1996 ist gleichzeitig ein Jubiläumsjahr: Der von Gottlieb Daimler erfundene Lkw feiert seinen 100. Geburtstag. 55 000 Besucher sind am Festwochenende in Wörth zu Gast, sie besichtigen das Werk und ein großes Lkw-Oldtimertreffen.
Entwicklung, Versuch und Produktion hautnah
Flexibilität zeigt Wörth erneut im Jahr 2002 und integriert die Fertigung des Unimog, bis dahin in Gaggenau angesiedelt. Daraufhin zogen ebenfalls aus Gaggenau die für das Fahrzeug zuständigen Entwicklungs- und Vertriebsbereiche hinzu. Ein Jahr später wechselt der Econic aus Zwickau und Arbon (CH) nach Wörth; später kam der allradgetriebene Hauben-Lkw Zetros dazu. Diese Lkw werden zu Mercedes-Benz Special Trucks zusammengefasst und im Werk in einer separaten Produktionshalle gefertigt.
Entwicklung und Produktion in enger Zusammenarbeit – diese Verzahnung wird im Jahr 2008 mit dem Entwicklungs- und Versuchszentrum für Lkw (EVZ) noch besser. Das Areal liegt in unmittelbarer Nähe des Werks und umfasst eine Fläche von 550 000 m². Es ist für Tests aller Art geeignet, von Schlechtwegprüfungen bis zum Dauerlauf, und dient als hochpräzises Messinstrument für die Zuverlässigkeit der Fahrzeuge unter schwierigsten Bedingungen auf allen Straßen dieser Welt. Denn diese sind im EVZ nachgebildet, daher sind zielgerichtete Erprobungen unter allen denkbaren Einsatzbedingungen möglich.
Womit in großen Zeitsprüngen die Gegenwart erreicht wird. Im EVZ drehten auch die aktuellen Modelle der Mercedes-Benz Lastwagenfamilie ihre Entwicklungs- und Erprobungsrunden. Auf der Retro Classics 2017 stehen sowohl ein Actros 1853 mit dem neuen Euro VI Motor (OM 471 “2.0“; 390 kW; 530 PS; 2600 Nm) als auch ein Arocs SLT 4163 mit dem 460 kW (626 PS) und 3000 Nm starken OM 473 LA/TC als Beispiele für die neuesten „Trucks you can trust“.
Lastwagenbau im Verbund
Gebaut wurden die Exponate natürlich in Wörth, wie auch der ausgestellte Vertreter der ersten Actros Generation aus 1996. Punktgenau zum 100. Geburtstag des Lkw präsentierte dessen Erfinder vor 21 Jahren die neuen Schwer-Lkw. Mit der in vielen Bereichen komplett neu entwickelten Modellfamilie führte Mercedes-Benz im großen Stil die elektronische Steuerung und Vernetzung (CAN-Bus) im Nutzfahrzeugbau ein. Neben der Motorsteuerung erhielt der Actros eine neue Getriebesteuerung, ein elektronisch geregeltes Bremssystem mit Scheibenbremsen an allen Achsen sowie ein flexibles Wartungssystem.
Wie im ersten Actros, der mit topmodernen Sechs- und Achtzylinder V-Motoren seine Transportaufträge erledigte, so kommen auch die aktuellen Maschinen für den neuen Actros, Arocs, Antos und den Atego sowie für Econic, Unimog und Zetros durch die Bank aus dem Produktionsverbund der Mercedes-Benz Nutzfahrzeugwerke. Und nicht nur die Motoren. Auch die Achsen, angetrieben wie freilaufend, und die Getriebe werden inhouse im Produktionsverbund gefertigt und an Wörth geliefert.
Die Mercedes-Benz Werke in Mannheim und in Gaggenau – früher in der Daimler-Benz AG wie erwähnt mit der Herstellung ganzer Lastwagenfamilien und somit noch als Generalisten unterwegs – sind seit den 1960er Jahren zu hochspezialisierten Entwicklungs- und Produktionsstätten umstrukturiert worden.
Quelle/Bilder: Daimler AG