Mit dem Reichweitenmodell des EQS 450+ bietet Mercedes-Benz ein Fahrzeug, was nach WLTP-Zertifizierung elektrisch eine Strecke von bis zu 764 Kilometern erreichen soll. Wir haben uns das Modell im Detail angeschaut und haben unsere eigenen Erfahrungen gemacht – beim Fahren wie auch beim Laden.
EQS 450+ Das effektivste EQS „Longe Range“ Modell mit cW-Wert von 0,20
Mit dem EQS 450+ bietet Mercedes-Benz ein Modell, welches mit 245 kW / 333 PS und 565 Nm Drehmoment nicht schwach motorisiert ist und trotz dessen Leergewicht von knapp 2.500 Kilogramm noch sehr akzeptabel zu fahren ist. Wer sich jedoch genau diese (Einstiegs-)Motorisierung bestellt, ist wohl weniger die Beschleunigung von 6.2 Sekunden auf 100 km/h wichtig, noch dessen Höchstgeschwindigkeit von 210 km/h. Hier zählt klar der Verbrauch und die maximale Reichweite.
Das 450+ Modell ist nach Einstellung der EQS 350 Variante die günstigste Möglichkeit, eine elektrische S-Klasse zu fahren. Mit einen Listenpreis von aktuell 107.326,10 Euro liegt der EQS 450+ deutlich unterhalb der anderen EQS Varianten und bleibt auch das einzige Heckantriebsmodell des EQS. Die EQE 450 4MATIC Variante mit zwei E-Motoren und Allradantrieb liegt preislich schon bei 111.134,10 Euro, bietet dafür jedoch Allradantrieb und 265 kW / 360 PS. Die Reichweite sinkt hier auf 685 km gem. WLTP, der Verbrauch steigt von 16.1 kWh auf 18.0 kWh auf 100 km an. Soweit die Papierwerte im Idealfall.
Auch wenn sich die Motorisierung des EQS 450+ im Gegensatz zu den anderen größeren Allradvarianten des EQS mit bis zu 560 kW / 761 PS wie ein Verzicht anhört, wird man im Fahrbetrieb vom klaren Gegenteil überzeugt: hier steht bei jeder Drehzahl und Geschwindigkeit ausreichende Leistung zur Verfügung, womit das Fahrzeug auch verzögerungsfrei durchzieht.
Der Fahreindruck ist ebenso auf kurvigen Straßen überraschend gut, wobei sich hierzu der Schwerpunkt des tiefliegenden Akkus positiv bemerkbar macht. Parallel hat die serienmäßige Luftfederung die Wankneigungen des Fahrzeuges sehr gut im Griff. In der Summe liegt das Fahrzeug gut in der Hand und lässt sich durchaus auch mal sportlicher um die Kurve bewegen.
Bitte nur mit Hinterradlenkung
Unser Testwagen war mit der optionalen 10 Grad Allradlenkung ausgestattet, wodurch die Hinterräder je nach Fahrsituation mit- oder gegenlenken. So liegt ein Wendekreis von nur 10,90 Metern an, was u.a. das Rangieren einfacher macht, nahezu als wäre man mit einem Kompaktwagen unterwegs. Die Gesamtlänge des EQS mit knapp 5.20 Metern bleibt jedoch unverändert, auch wenn sich der Radstand technisch verkürzt.
Auf der Autobahn nutzt der EQS die Hinterradlenkung zur Stabilisierung, wobei die Hinterräder bei minimalen Ausschlägen parallel zu den Vorderrädern einschlagen und den Radstand so deutlich verlängert und das Fahrzeug stabilisiert. Bei flotter Kurvenfahrt reagiert die Lenkung nicht nur auf die Geschwindigkeit oder den Lenkeinschlag, sondern bezieht dann auch das Gaspedal mit ein: so wird bei schweren Gasfuß in engen Kurven der Lenkwinkel größer, wobei sich das Fahrzeug stärker in die Kurve eindreht. Kurzum: das Fahrgefühl ist bestens. Die Bremse zeigt sich hingegen zuerst ungewohnt, da hier der Übergang von Rekuperation auf normales Bremsen deutlich spürbar ist.
Abmessungen und Laderaum
Der EQS als Vertreter des S-Klasse Segments von Mercedes-Benz bietet Abmessungen einer Luxuslimousine, wobei das Fahrzeug ein sehr gutes Platzangebot im Interieur bietet – sowohl vorne, wie auch im Fond. Auch der Kofferraum bietet ausreichendes Ladevolumen für eine Urlaubsreise für vier Personen. Mit 610 Liter Ladevolumen gibt es sogar mehr Platz, als in der aktuellen S-Klasse. Das Ladekabel findet hingegen eher unpraktisch seinen Platz im Kofferraumboden, was bei Urlaubsreisen aufgrund verstärkter Nutzung von DC Schnellladestationen wohl weniger stört, als zuhause. Einen Frrunk gibt es hingegen nicht.
Auf die Langstrecke: der EQS rollt Richtung Hamburg
Für unseren Fahrtest haben wir uns eine mehr als bekannte Strecke rausgesucht. Von Bayern nach Hamburg, – im Detail von Nürnberg über die A9 nach Berlin und über die A10 sowie A 24 weiter nach Hamburg. Knapp 700 km reine Autobahn, was das Fahrzeug im Grunde bestenfalls ohne Zwischenladung absolvieren könnte.
Die Strecke fuhren wir dabei mehrmals mit unterschiedlichen Fahrern sowie bei unterschiedlichen Temperaturen, dabei auch bei Plusgraden von lediglich 4 Grad. Die Fahrgeschwindigkeiten waren jeweils unterschiedlich und niemals großartig konstant. Also: fahren, ohne großartig auf die Technik zu achten. Eingeplant hatten wir so oder so mehrere Ladestopps und wollten uns gezielt auf die Ladesäulenplanung des MBUX Navigationssystems verlassen.
Unsere erste Fahrt ging bei rund 13 Grad Außentemperatur von Nürnberg über die A9 Richtung Leipzig und weiter Richtung Autobahnring A 10 um Berlin. Eine erste Kaffeepause zu früher Stunde nutzten wir mit gleichzeitiger Lademöglichkeit am IONITY Standort Himmelkron unweit vor Bayreuth. Bis dorthin hatten wir einen Durchschnittsverbrauch von knapp 25 Kilowattstunden pro 100 km, was vor allen an einer Geschwindigkeit von 140 bis 180 km/h auf der Autobahn lag. Großartige Kilometer hatten wir bis dahin aber noch nicht zurückgelegt, zumal der Tageskilometerzähler noch nicht im dreistelligen Bereich angekommen war. Dementsprechend zeigte sich auch die Ladegeschwindigkeit, die oberhalb von 80 % SoC nur im zweistelligen Bereich anlag. Großartig sinnvoll war der Halt also nicht, der morgendlichen Kaffee für die Passagiere umso mehr.
Im Verlauf der Fahrt zeigte sich erwartungsgemäß, das man die 107,6 kWh Batterie (netto) des EQS schnell wieder laden kann – sofern man die Batterie vorkonditioniert und man mit wenig Ladestand einen Schnelllader anfährt. Unter diesen Bedingungen kamen wir beim EQS am Ladepunkt bei Heiligengrabe nach über 400 km weiterer Strecke auch schnell auf eine maximale Ladeleistung von bis zu 209 kW. Die Ladegeschwindigkeit lag im Schnitt zwischen 20 und 80 % SoC sogar bei beachtlichen 156 kW. Innerhalb von 24 Minuten erreichten wir so die 80 % SoC, was einer „Nachladung“ von rund 19 Kilometer Reichweite pro Minute entspricht.
Da sich auf Langstrecke eine Ladung oberhalb von 80 % SoC zeitlich wenig rechnet, unterbrachen wir die Ladung meist manuell. Die berechnete Mindestladung durch Vorgabe der MBUX Navigation haben wir jedoch jedes Mal absichtlich übertroffen – als persönlicher Sicherheitszuschlag.
Konservative Ladeleistung
Bei der Ladeleistung agiert Mercedes-Benz grundsätzlich sehr konservativ und möchte hierzu den Akku nicht allzu sehr belasten, wo man technisch die Ladeleistung durchaus noch ein wenig steigern könnte. Die Politik für die Akkuschonung passt hier aber zu den anderen deutschen Premiummarken, die hier ähnlich agieren.
Die restlichen rund 180 Kilometer bis in die Hansestadt Hamburg absolvierten wir ohne weiteren Ladestopp. Unsere Hoffnung auf eine freie 22 kW AC-Lademöglichkeit fußläufig vom Hotel in der Speicherstadt war jedoch vergeblich, was uns aber wenig störte (Anmerkung: das Fahrzeug war mit einen Vorserien-22 kW AC Lader ausgestattet). Dies regelte am nächsten Tag die Navigation automatisch, wodurch wir auf der Rückfahrt an einen ARAL PULSE Schnelllader einige wenige Minuten zusätzliche Ladedauer benötigten und dies auch gleichzeitig für ein zweites Frühstück nutzten. Ganz nach dem Motto: Ein Elektroauto lädt man, wenn man kann, und nicht erst, wenn man muss.
Im Reiseverlauf bis Hamburg konnten wir den Durchschnittsverbrauch nicht unter 25 kWh pro 100 Kilometer Wegstrecke drücken, was soweit nicht verwunderlich war: die Reisegeschwindigkeit lag, sofern die Verkehrsregeln dies erlaubten, meist über 160 km/h. Hier war definitiv noch Luft nach oben, die Verbrauchsdaten dahingehend aber noch recht annehmbar.
Die Rückfahrt ging über die gleiche Wegstrecke, dann jedoch bei nur 4 Grad Außentemperatur, was den Verbrauch trotz niedrigeren Geschwindigkeiten gegenüber dem Vortag auf der Autobahn schnell auf 28 kWh anstiegen ließ. Kalte Temperaturen mag das Fahrzeug also weniger.
Zweite Testfahrt mit effektivere Fahrweise
Unsere zweite Testfahrt ging eine Woche später erneut über die identische Wegstrecke von Nürnberg nach Hamburg, dann aber unter der Beachtung einer möglichst effektiven Fahrweise im Fahrprogramm „C“ für Comfort-Modus. Bei vergleichsweise gleichen Außentemperaturen konnten wir nun einen deutlich besseren Verbrauch erzielen, wobei wir die rund 700 km zum Ziel nach Hamburg mit nur einen Ladestopp unterbrachen. Der Verbrauch lag hierbei bei 20,9 kWh auf 100 km, was für den EQS noch ein sehr guter Wert ist. Zwar lag auch dieser Verbrauch über den WLTP-Werten des Herstellers, auf großartigen Komfortverlust oder Energie-einsparungen wollten wir in der Luxuslimousine aber dann doch nicht verzichten.
Im Alltagsbetrieb, unabhängig unserer zwei Testfahrten nach Hamburg, zeigte sich aber auch die Empfindlichkeit des Fahrzeuges bezüglich Verbrauch bei kälteren Temperaturen. Hier bemerkt man schnell die eingesparte Wärmepumpe, die man bei kleineren EQ-Modellen serienmäßig auch mitliefert. In der Oberklasse ist die Pumpe nicht erhältlich und bleibt ein klares Manko am sonst begeisterungsfähigem Fahrzeug. Das der Verbrauch bei Kälte jedoch so schnell und eklatant ansteigt, hatten wir vorab auch nicht vermutet.
Auffällig war beim EQS die perfekte Routenführung unter Einbeziehung der Ladepunkte, wobei man sich als Fahrer vollständig auf das Fahren – aber nicht um die Planung der notwendigen Stromtankstellen – kümmern musste. Hier wird der Akku automatisch vorkonditioniert, sobald ein geplanter Halt erreicht wird. Für eine spontane Ladung verfügt das System mit neusten Softwareupdate zusätzlich über eine eigene Schaltfläche.
Spontane Zwischenziele sind kein Problem
Den Fahrtest nach Hamburg nutzten wir kurzfristig für einen kleinen Abstecher nach Schwerin sowie zur Mecklenburgischen Seenplatte, wobei die zusätzlichen Zwischenziele bei der Ladeplanung automatisch mit berücksichtigt wurde. Die von uns eingestellte Mindestkapazität von 25 % bei Ankunft an Ladepunkten sicherte uns gleichzeitig die Option des Ausweichens an einen anderen Ladepark. Notwendig war dies jedoch nie, wobei wir uns in jedem Fall sowohl auf die Ladeplanung, wie auch auf die eingeplanten Ladestopps komplett verlassen konnten. Ausreichende Ladepunkte oberhalb von 200 kW gab es auf der Strecke zu Genüge.
Der EQS überzeugt vor allen mit seiner realen Reichweite – und das auch in Kombination mit höheren Geschwindigkeiten. Wie man auch unterwegs ist, über 500 Kilometer sind es wohl immer. Inwieweit man dazu die intelligente Rekuperation und den Eco-Assistenten des Fahrzeugen nutzen möchte, ist jedem selbst überlassen. Die maximale Rekuperationsleistung des Fahrzeug liegt dabei bei beachtlichen 186 kW.
Was uns aufgefallen ist:
- Beifahrer kann „seinen Teil“ des Hyperscreens gut für Navigationsplanung nutzen.
- Anzeige der notwendige Lademenge inklusive Gesamtpreis im MBUX Display
- Zuverlässige Navigation mittels Head-Up Display
- Spontane Vorkonditionierung des Akkus möglich
- Ausreichende und bequemer Platz im Fond, angenehme Reiselimousine
- Kompakte Wendigkeit beim Rangieren
- Einige wenige Hartplastik-Materialien im Innenraum
- Optionaler AC-Lader mit 22 kW (Vorserie im Testwagen)
- gute Straßenlage – auch bei höheren Geschwindigkeiten
Fazit für das Reichweitenmodell:
Der EQS in der von uns gefahren EQS 450+ Variante ist deutlich das Reichweitenmodell im Portfolio von Mercedes-Benz. Auch wenn die WLTP-Werte wohl nur mit Verzicht und möglichst effektivster Reichweite zu erreichen sind, überzeugen die von uns erzielten Verbrauchswerte bei Alltagsnutzung. Mit dem passenden Fahrprogramm kann so auch ein ungeübter Fahrer gute Verbrauchsangaben erzielen. Großartig umstellen muss man sich hingegen wenig, der EQS fährt zuverlässig und gut. Die Navigation übernimmt die den Rest.
Kein Lademeister – aber durchaus ein Reichweitenkönig
Auch wenn der Verbrauch für Käufer eines Luxusfahrzeuges meist eher uninteressant sind, sorgt ein niedriger Stromverbrauch & entsprechend weniger Ladehalte für einen gewissen zusätzlichen Komfort. Dazu kommt das luxuriöse und komfortable Reisegefühl des EQS auf S-Klasse Niveau.
Müssten wir uns zwischen einer Motorisierung entscheiden, würden wir eine Variante mit guter Reichweite sowie Alltagskomfort wählen. Hier wäre die Entscheidung jedoch Richtung EQS 450 4MATIC gefallen, – nicht wegen dessen Mehrleistung, sondern gezielt wegen Allradantrieb mittels zweiter E-Motoren.
Die wichtigsten Eckdaten des EQS 450+:
- Permanentmagnet-Syncronmotor 245 kW / 333 PS, 568 Nm Drehmoment, Hinterradantrieb
- 2.480 kg Leergewicht, 465-545 kg Zuladung
- Anhängelast max. 750 kg
- Länge/Breite/Höhe: 5.216 mm / 1.926 mm / 1.512 mm
- 6.2 Sekunden auf 100 km/h, 210 km/h Höchstgeschwindigkeit
- Serie: DC-Lader 200 kW / AC 11 kW (Optional: 22 kW Lader)
- 5 Sitzplätze
Bilder: MBpassion.de