Als Gottlieb Daimler im Jahr 1900 stirbt, hat sich Carl Benz in Mannheim zeitgleich, aber auf ganz anderen Wegen dem Nutzfahrzeug genähert. Er konzentriert sich auf Omnibusse und das, was man heute „Transporter” nennen würde. „ Combinations-Lieferungs-Wagen“ heißen die ersten Benz’schen Flitzer von 1896 im zeitgenössischen Jargon.
Bereits zwei Jahre früher hat Carl Benz gar schon einen ersten Omnibus gebaut. Seit 1884 bietet er seine Motorwagen wahlweise auch als Landauer an: Kutschen für maximal acht Personen, die entweder ein Klappverdeck oder ein verglastes Oberteil mit festem Dach besitzen. Vor allem Hotels bedienen sich dieser Landauer, um ihre Gäste vom Bahnhof abzuholen oder sie zum Zug zu bringen. Die Initialzündung für einen ersten motorisierten Linienverkehr stammt von den Stadtvätern der siegerländischen Städtchen Netphen und Siegen, die ihre beiden Provinzorte mit einer Omnibuslinie zu verbinden gedachten. Sie erteilen Benz den Auftrag, zwei motorgetriebene Busse zu bauen.
Auf Landauer-Basis konzipiert Carl Benz einen kutschenartigen Wagen mit geschlossenem Fahrgastraum (acht Sitze), aber offener Fahrerbank (für zwei Fahrer). Wiederum im Heck ist der fünf PS starke Einzylinder mit 2,65 Liter Hubraum zu finden, der die Hinterräder per Kette antreibt und den Wagen auf maximal 20 km/h beschleunigt. Den ersten dieser beiden Überlandbusse liefert Benz am 12. März 1895, den zweiten am 29. März des gleichen Jahres zum Preis von jeweils 6000 Goldmark. Zur Bewältigung ihrer 15 Kilometer langen Strecke Siegen – Netphen – Deutz, die fünf Haltestellen und 80 Meter Höhenunterschied parat hält, brauchen die Busse eine Stunde und 20 Minuten. Es erwies sich aber schnell, dass die grazilen Vollgummireifen dieser Fahrzeuge vor allem bei Nässe heftig mit den tiefen Fahrspuren zu kämpfen hatten, die von schweren Pferdefuhrwerken herrührten. Die Umrüstung auf breite Eisenreifen verbesserte zwar die Spurführung, führte aber zu starker Beeinträchtigung der Straßenhaftung. Mängel der Instandhaltung, mühsame Ersatzteilbeschaffung sowie unzureichende Schulung der Fahrer trübten den Spaß an der neuen Buslinie obendrein.
So kommt es, dass diese Käufer ihre beiden Busse im folgenden Winter schon wieder an Carl Benz zurückgeben und den Verkehr schnell wieder einstellen. Doch gebührt ihnen zweifelsohne das Verdienst, die erste Omnibus-Linie in Deutschland auf die Räder gestellt zu haben. In England und Frankreich gab es zu dieser Zeit solche Linienverkehre bereits länger, doch bedienten sie sich dampfgetriebener Gefährte.
Daimler beginnt mit dem Bau von Bussen
Es ist anzunehmen, dass Benz und Daimler – obwohl sie sich persönlich nie kennengelernt haben, ein waches Auge auf die Aktivitäten des jeweils anderen geworfen haben. So nimmt es wenig Wunder, dass Gottlieb Daimler 1898 ebenfalls zügig den Bau von Omnibussen aufnimmt. Vier Typen legt er anfangs vor: Die Leistung reicht von vier bis zehn PS, die Zahl der Sitzplätze von sechs bis 16.
Ein erster Linienverkehr findet auf der Strecke Künzelsau – Mergentheim statt. Doch setzen die knackigen Steigungen im Hohenlohischen sowie der schlechte Straßenzustand dem zehn PS starken Zehnsitzer sehr zu. Schlechte Versorgung mit Benzin und Ersatzteilen tun ein Übriges, um dieser Unternehmung ein schnelles Ende zu bereiten. Im Juli 1899 kommt das Aus für diesen ersten Linienverkehr eines Daimler-Busses. Gottlieb Daimler indes zieht schnell seine Lehren aus dieser Erfahrung. Er ersetzt zum Beispiel den Riementrieb durch ein Viergang-Zahnradgetriebe. „Der Daimler-Motor-Omnibus kommt in verschiedenen Größen zur Ausführung und werden dieselben je nach den vorhandenen örtlichen Verhältnissen mit Motoren verschiedener Stärke ausgerüstet. Für ebene Wege genügen die schwächeren Motoren, wogegen bei Strecken, auf welchen Steigungen vorkommen, die Wagen mit den stärkeren Motoren ausgerüstet sein müssen.” Mit diesen Worten beschreibt die Daimler-Motoren-Gesellschaft 1898 ihr neuartiges Gefährt und lobt besonders den Motor: „Die Triebkraft liefert der neue Daimler-Motor ‚Phoenix’, dessen für Fahrzeugantrieb besonders berechnete, zweckmäßige Konstruktion in jeder Hinsicht unerreicht ist.”
Es folgt die Einrichtung vielzähliger Omnibuslinien im In- und Ausland. Den großen Durchbruch schafft der Bus in Deutschland, als die Württembergische und die Bayerische Post in großem Stil Kraftwagen sowohl für die Paket- als auch (ein wenig später) für die Personenbeförderung ordern. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs liefert die Daimler-Motorengesellschaft ungefähr 350 Omnibusse. Hauptabnehmer ist die Königliche Bayerische Postverwaltung, die insgesamt 250 Einheiten abnimmt. Mit 43 Prozent Marktanteil ist Daimler Marktführer. Platz zwei nimmt Benz mit 18 Prozent Marktanteil ein, den dritten Rang belegt Büssing mit zwölf Prozent.
Wieder spielt England eine entscheidende Rolle. Schon im April 1898 trifft ein erster Bus aus Cannstatt bei dem englischen Kunden Motor Car Company ein, der diesen langen Weg nach London auf eigener Achse zurückgelegt hat und bei seiner Jungfernfahrt vom Hafenstädtchen Gravesend nach London starken Eindruck auf die Großstädter macht: „Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Long Acre und dem Picadilly entlang blieb stehen und starrte auf das Fahrzeug, als es vorbeidonnerte und seinen Weg stetig und entschlossen verfolgte“, berichtet ein Augenzeuge. Diesem ersten Daimler-Bus folgen schon im Jahr darauf zwei weitere Exemplare. Käufer ist diesmal das Londoner Unternehmen Motor Traction Co., das die beiden Busse ebenfalls für den Liniendienst in London einsetzt. Wahrscheinlich ist es der Erfolg dieses frühen Doppeldeckers, der Daimler veranlasst, bereits im Mai ein komplettes Omnibusprogramm anzubieten.
Weniger glücklich verläuft allerdings die Premiere eines ersten Busses in Stockholm. Kaum zieht das eisenbereifte Gefährt anno 1899 seine Bahn auf der nicht asphaltierten, sondern mit Katzenkopfsteinen gepflasterten Stockholmer Drottninggatan (Königstraße), beginnt die Erde dort zu beben, durch sein vehementes Rumpeln ruft es heftigen Protest der Hausbesitzer und Mieter hervor. Der Bus wird aus dem Verkehr genommen und auf Lkw-Betrieb umgerüstet. So verrichtet er dann bei Liljeholmens Zuckerfabrik „ungefähr ein Vierteljahrhundert“ lang treu seinen Dienst, wie der Chronist John Néren vermerkt, „ gegen Schluss allerdings meist als Reservewagen“.
Das kleinste Omnibusmodell in Daimlers erstem Omnibusprogramm ist für sechs Passagiere und 200 Kilogramm Gepäck ausgelegt, der größte Bus nimmt 14 bis 16 Fahrgäste und 450 Kilo Gepäck auf. Zwischen vier und 16 km/h bewegt sich die Reisegeschwindigkeit, bei ausreichender Motorisierung bewältigt der Bus Steigungen bis zu zwölf Prozent. Das Leergewicht beträgt in der leichtesten Variante 1,1 Tonnen, das schwerste Fahrzeug bringt 2,5 Tonnen auf die Waage. Der Nettopreis für den Sechssitzer beläuft sich auf 6.800 Mark, die größeren Modelle kosten jeweils 8.000, 9.200 und 10.500 Mark.
Nicht eingerechnet ist dabei eine ebenso einfache wie effektive Beheizung für Fahrersitz und Fahrgastraum, die das Kühlwasser des Motors unter dem Fußboden zirkulieren lässt. Sie schlägt je nach Modell mit 180 bis 260 Mark zu Buche. Ebenfalls nur gegen einen Aufpreis von 500 bis 600 Mark sind Gummireifen zu haben, „doch empfehlen sich solche nur bei den kleineren Wage”. Bei den beiden schwereren Modellen über zwei Tonnen Leergewicht rät der Hersteller zu gewöhnlichen, eisenbeschlagenen Holzrädern.
„Die Motorfahrzeuge können binnen drei Minuten in Betrieb gesetzt werden”, verkündet der Prospekt weiter. Zu den Angaben, die damals noch eine Notiz wert waren, gehört das spezifische Gewicht des Benzins sowie ein Verbrauch von 0,36 bis 0,45 Kilogramm pro Stunde und PS bei Volllast. Das wiederum ergibt bei der angegebenen Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h rein rechnerisch einen Verbrauch von etwa 20 bis 30 Litern auf 100 Kilometer. Da damals solche Vergleichswerte noch den wenigsten geläufig gewesen sein dürften, wird den Kunden freilich die Angabe der Treibstoffkosten von zehn Pfennig pro PS und Kilometer wichtiger gewesen sein.
In jeder Hinsicht ist die DMG bemüht, die Betriebssicherheit hervorzuheben: Der für zehn Stunden Fahrtzeit dimensionierte Tank befinde sich „in geschützter Lage unter dem Wagen”, heißt es, und die Wasserkühlung sei auch im Winter „ in absolut sicherer Weise” funktionstüchtig. Der Hersteller betont, dass der Schaltvorgang sich „in ganz sichernder Weise vollzieht” und die Fußbremse das Fahrzeug „schnell und sicher zum Stillstand” bringe. Bei solchen Beteuerungen allein lässt es das Unternehmen indes nicht bewenden und gewährt auf alle Teile eine dreimonatige Garantie.
Busse aus Baden: Die SAG in Gaggenau nimmt Fahrt auf
Benz und Daimler sind nicht die einzigen, die Geschmack am Bau von Bussen finden. Ein weiterer Pionier, der im badischen Gaggenau beheimatet ist, mischt auch bald kräftig mit: Es ist die SAG, die Benz wenige Jahre später übernehmen wird, um dort die Nutzfahrzeugproduktion zu konzentrieren.
Bis dahin hat sich die SAG binnen kurzer Zeit einen Namen als Nutzfahrzeughersteller gemacht. Erst im Februar 1905 hat Georg Wiß, Teilhaber der Bergmanns Industriewerke und Schwiegersohn eines Mannheimer Industriellen, gestützt auf das Vermögen seiner Frau die Automobilsparte der Bergmanns Industriewerke als selbstständiges Unternehmen unter dem Namen Süddeutsche Automobilfabrik übernommen. Der Gesellschaftsvertrag vom 22. Februar 1905 benennt als Gegenstand des Unternehmens „ die Fabrikation und den Verkauf von Automobilen“. Der von ihm verpflichtete schweizerische Konstrukteur Franz Knecht soll es richten: Er entwirft ein neues Bauprogramm, in dem Lkw und Busse die erste Geige spielten.
Bedarf ist schließlich vorhanden. Aus dem Jahr 1905 datiert zum Beispiel die Einrichtung der Omnibuslinie Gernsbach – Baden-Baden, auf der prompt Busse aus Gaggenau verkehren. Doch finden die Busse der SAG nicht nur im Badischen rasche Verbreitung. Ebenfalls schon 1905 können die Badener eine stolze Order aus Berlin an Land ziehen: Den ersten Großraumomnibus für 52 Fahrgäste lassen die Berliner Stadtwerke in Gaggenau bauen. 1906 gesellt sich obendrein die Kaiserliche Reichspost zu den regelmäßigen Abnehmern von Bussen der SAG.
Lkw und Bus gehen getrennte Wege
Exakt 30 Jahre lang (ab dem ersten von Benz gebauten Bus gerechnet) marschieren Bus und Lkw im Gleichschritt. Es ist das Jahr 1925, als sich die Wege zu trennen beginnen. Bis dahin ruhen Omnibus-Aufbauten wie selbstverständlich auf den gängigen Lkw-Chassis, deren Kennzeichen ein durchgehender Rahmen ist. Entsprechend hoch haben die Fahrgäste zu klettern. Der „ Nieder-Omnibus“, ab 1925 in Gaggenau gefertigt, leitet eine neue Epoche mit weitaus komfortablerem Einstieg für die Passagiere ein.
Das geht allerdings nicht ohne ein spezielles Chassis. Dessen Rahmen ist nun hinter der Vorderachse nach unten gekröpft und dann gerade nach hinten durchgezogen. Im hinteren Bereich schwingt sich wiederum eine Kröpfung nach oben und schafft auf diese Weise den nötigen Platz für die Hinterachse. Lohn dieser Mühen ist, dass der Fußboden nur noch 670 Millimeter über der Fahrbahn liegt.
Ein Trittbrett unterteilt den Einstieg zudem in Stufenhöhen von gut 300 Millimetern: Das wäre selbst heute noch für einen Linienbus durchaus akzeptabel. Der niedrige Rahmen bietet indes eine Reihe von weiteren Vorzügen. So verbessert zum Beispiel der damit abgesenkte Schwerpunkt das Fahrverhalten. Was wiederum sowohl Komfort als auch Sicherheit vor allem bei Überlandbussen mit schwer bepacktem Dachgepäckträger deutlich erhöht: „Infolge der tiefen Lage des Aufbaues fährt der Wagen ruhiger und schaukelfreier als ein Omnibus der üblichen hohen Bauart“, bringt ein zeitgenössischer Prospekt diesen Vorteil auf einen kurzen Nenner. Obendrein kommen solche Omnibusse mit niedrigem Rahmen und entsprechend tief postiertem Aufbau weniger hochbeinig daher und wirken weitaus eleganter als ihre bisherigen Pendants. Diese optische Absetzung zum Lastwagen ist dem jungen Personenverkehr ein hochwillkommenes Differenzierungsmerkmal.
Der Bus emanzipiert sich vom Lkw
Zur Emanzipation gehört auch ein eigener, langer Radstand. Der wiederum macht’s möglich, dass fast alle Fahrgastplätze zwischen den Achsen liegen, wo sich’s eben besonders komfortabel sitzt. Das bewirkt ferner, dass die Karosserie insgesamt weniger Strapazen zu erdulden hat. Woraus sich die Möglichkeit ergibt, zu einer insgesamt leichteren Bauweise überzugehen, „die sich günstig in Bezug auf den Reifen- und Brennstoffverbrauch äußert“, wie ein Prospekt von 1925 die Kundschaft informiert.
Benz fertigt den „Nieder-Omnibus“ von Anfang an in mehreren Varianten. Den Grundstock bilden Radstände von 5.000 Millimetern (Modell 2CNa) und 6.000 Millimetern (Modell 2CNb) für Karosserien mit 22 und 39 Fahrgastplätzen. Darüber hinaus gibt es diese neuen Busse in Stadt- sowie Überlandversion, ebenso stehen verschiedene Türvarianten zur Wahl. Nicht zuletzt fertigt Benz solche Omnibusse für den Schaffnerbetrieb oder als so genannte Einmannwagen.
Als Antrieb für die 7,3 und 8,4 Meter langen Fahrzeuge dienen die bekannten Vierzylinder-Benziner mit 40/45 PS und 50/55 PS aus 6,3 respektive 8,1 Liter Hubraum. Diese Leistung reicht für eine Höchstgeschwindigkeit von etwa 40 km/h. Den Verbrauch beziffert das Werk für die kleinere Maschine auf 18, für den großen Motor auf 26 Kilogramm Benzin je 100 Kilometer. Von Litern ist zu dieser Zeit immer noch nicht die Rede.
Vollkommen unabhängig von der Lkw-Entwicklung sind die Omnibusse durch die neue Entwicklung aber noch lange nicht. Selbst dieser neue gekröpfte Rahmen basiert auf einer Lkw-Entwicklung: Benz hatte ihn kurz zuvor für Müllwagen eingeführt, damit die Müllmänner die schweren Abfalltonnen nicht ganz so hoch zu wuchten haben wie bisher.
Quelle: Daimler AG