Mercedes Jellinek sitzt in einem Mercedes: Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussehen mag – dieses erst im Jahr 2012 aufgetauchte Foto stellte eine kleine Sensation da. Denn bis dahin war keine Fotografie bekannt, welche die Namensgeberin der weltberühmten Automarke, in einem Automobil zeigt, das nach ihr benannt wurde.
Neues Licht auf das Leben von Mercedes Jellinek
Das aufgefundene Originalmaterial über Mercedes Jellinek im Archiv der Daimler AG stammt ursprünglich aus dem Nachlass ihres Sohnes, Hans-Peter Schlosser, der, weil selbst kinderlos, seinem in Salzburg lebendem Patenkind persönliche Fotos und Dokumente seiner Mutter vermachte. Dazu gehören drei Fotoalben mit insgesamt knapp 300 Fotografien, die Szenen aus dem – bislang wenig bekannten – Leben der Mercedes Jellinek zeigen. Kinderbilder der am 16. September 1889 in Wien geborenen Mercedes Jellinek gehören genauso zu den neu erworbenen Schätzen des Archivs wie Bilder aus ihrer Zeit als junge Erwachsene in Nizza – etwa auf einer Yacht namens Mercedes, hoch zu Ross oder lesend in einem Salon. Darüber hinaus finden sich Hochzeitsfotos aus ihrer ersten Ehe mit dem Wiener Baron Karl Schlosser aus dem Jahr 1909 sowie Familienszenen mit ihren beiden Kindern Elfriede (geboren am 20. Juni 1912) und Hans-Peter (geboren am 3. Mai 1916). Nicht alle Fotos sind beschriftet oder mit Jahreszahlen versehen. Trotzdem gewähren sie einen Einblick in das Privatleben der Namenspatin der Marke Mercedes – und in das Leben einer „höheren Tochter“ zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Zu den Dokumenten über Mercedes Jellinek gehört die sehr gut erhaltene Geburtsurkunde von „Mercedes Adrienne Ramona Manuela Jellinek“, aus der auch die am 24. Juni 1903 bewilligte Änderung des Familiennamens in „Jellinek-Mercedes“ ersichtlich ist – und die nebenbei klarstellt, dass Mercedes ihr bereits in der Geburtsurkunde eingetragener Name ist. Bisweilen hieß es lediglich, dass Mercedes „nur“ der Kosename ihres Vaters Emil Jellinek für sie war.
Mercedes Jellineks Heiratsurkunde mit Karl Freiherr von Schlosser bewahrt das Archiv nun seit 2012 ebenso auf wie ihre Todesanzeige; die Namenspatin der Marke Mercedes starb, in zweiter Ehe mit Baron Rudolf Weigl verheiratet, als „Mercedes Freifrau von Weigl, geb. Jellinek-Mercedes“, mit nicht einmal 40 Jahren am 23. Februar 1929 in Wien. Im erworbenen Nachlass befindet sich auch ein Reisepass aus dem Jahr 1927. Ihm ist zu entnehmen, dass die österreichische Staatsbürgerin kastanienbraunes Haar und grüne Augen hatte – Details, die auf Schwarz-Weiß-Fotos nicht zu erkennen und somit zumindest der Öffentlichkeit bislang unbekannt waren.
Mercedes im Mercedes
So enthält der Nachlass neben der kleinen Sensation des Fotos „Mercedes im Mercedes“ viele interessante Kleinigkeiten, welche die Geschichte der Namensgeberin der weltbekannten Marke vervollständigen helfen. Denn wäre ihr Vater Emil Jellinek nicht so in seine Tochter vernarrt gewesen wäre, gäbe es vermutlich die Marke Mercedes nicht – und die „zweite Geburt“ des Automobils hätte ganz anders ausgesehen.
Mercedes wird zur Weltmarke
Als Gottlieb Daimler und Carl Benz im Jahr 1886 unabhängig voneinander das Automobil erfinden, hält sich die Begeisterung für das völlig neuartige Gefährt in Deutschland zunächst in Grenzen. In Frankreich ist man dem Neuen gegenüber aufgeschlossener. Auch der Geschäftsmann Emil Jellinek, der in Baden bei Wien und Nizza lebt, ist vom Automobil fasziniert. Sein erster „großer Wagen“ ist ein Benz Viktoria.
Der Autonarr, damals Anfang 40, wird durch eine Zeitungsannonce auf die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) aufmerksam, reist nach Cannstatt und erhält im Oktober 1897 seinen ersten Daimler-Wagen. Emil Jellinek hat allerdings hohe Ansprüche: Er will die feinste und beste Technik der damaligen Jahre.
In Stuttgart bekommt er sie; und so wirbt der Geschäftsmann von 1897 an für die Daimler-Automobile in den höchsten Kreisen der Gesellschaft an der Côte d’Azur. Die Barone Arthur und Henry de Rothschild und andere Persönlichkeiten der damaligen Zeit kaufen die Wagen aus Deutschland bei ihm. Bis zum Tod Gottlieb Daimlers im Jahr 1900 verkauft Emil Jellinek auf diese Weise immerhin 34 Autos, aus damaliger Sicht eine beträchtliche Anzahl.
Doch auch persönlich verstehen sich der Stuttgarter Autoerfinder und der mondäne Autoverkäufer offenbar: Gottlieb Daimler lädt Jellinek und dessen Tochter Mercedes mehrmals in seine Villa in der Taubenheimstraße in Cannstatt ein. Bei diesen Gelegenheiten bringt Jellinek Herrn Daimler die Idee nahe, dass der Hersteller mit eigenen Autos und unter eigenem Namen Rennen und Zuverlässigkeitsfahrten bestreiten solle, und überzeugt schließlich ihn und den Konstrukteur Wilhelm Maybach, dass die Zukunft des Automobils durch Geschwindigkeit und Eleganz bestimmt werden wird. In der Geschwindigkeit sieht er allerdings nicht den Anreiz unvorsichtig zu sein, sondern den eigentlichen Sinn eines Motorfahrzeugs: „Wenn ich aus einem Automobil nicht mehr heraushole als aus einem Gespann, kann ich ebenso gut wieder mit Pferden fahren!“
„Phoenix“-Wagen mit 28 PS
Für die Rennwoche von Nizza im März 1899 meldet Emil Jellinek einen Daimler „Phoenix“-Wagen 28 PS unter dem Pseudonym Monsieur „Mercedes“ an – eine in der damaligen Zeit offenbar durchaus übliche Verschleierung, die nicht nur von Jellinek praktiziert wird: Baron Henry de Rothschild startet beispielsweise als Dr. Pascal. Daimler-Werksfahrer Wilhelm Bauer gewinnt auf Jellineks „Phoenix“-Wagen die Tourenfahrt Nizza–Magagnosc–Nizza.
„Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten“
Ein Jahr später, Ende März 1900, kommt es in der Rennwoche von Nizza zu einer Katastrophe: Beim Bergrennen Nizza– La Turbie verunglückt Wilhelm Bauer tödlich mit einem „Phoenix“ -Wagen 23 PS, der als „Mercedes II“ gemeldet ist. Allzu neugierige Zuschauer sind auf die Rennstrecke gelaufen und haben Bauer zu einem halsbrecherischen Ausweichmanöver gezwungen. Beifahrer Hermann Braun, der sich mit dem zweiten gemeldeten Wagen „Mercedes I“ bereits beim Rennen Nizza–Marseille überschlagen hatte, bleibt auch diesmal unverletzt. Die erste Reaktion aus Cannstatt ist, die überzogenen Motorleistungen für den Unfall verantwortlich zu machen und künftig allen Schnellfahrten fernzubleiben.
Emil Jellinek kann jedoch Wilhelm Maybach – Gottlieb Daimler war kurz zuvor Anfang März 1900 verstorben – überzeugen: „Weltberühmt machen Siege. Man kauft die siegreiche Marke und wird sie immer kaufen. Es wäre kommerzieller Selbstmord, den Rennen fernzubleiben“, argumentiert Jellinek. Die DMG gibt dem Drängen Jellineks nach und beschließt im April 1900, einen leichten, aber sehr leistungsstarken Motor zu entwickeln, der auf den Vorschlag Jellineks hin den Namen „Daimler-Mercedes“ führen soll. Jellinek bestellt eine komplette Serie von 36 neuen Wagen mit diesem Motor und sorgt dafür, dass die Presse in Frankreich, Deutschland und Österreich über das neue Fahrzeug berichtet.
Das erste neue Fahrzeug, ein Mercedes 35 PS, wird am 22. Dezember 1900 an Jellinek geliefert. Dieser von Wilhelm Maybach entwickelte neue Typ sorgt zu Beginn des Jahrhunderts für Furore: Es ist das modernste Fahrzeug der Welt und gilt zugleich als erstes modernes Automobil. Mit dem Mercedes 35 PS erhält das Automobil erstmals eine eigenständige Form, die mit der bis dahin vorherrschenden Kutschenbauweise nichts mehr gemein hat.
Auf der Rennwoche in Nizza Ende März 1901 zeigen die Automobile mit Namen Mercedes, was in ihnen steckt: Mit vier ersten und fünf zweiten Plätzen sind die Daimler-Fahrzeuge eine Klasse für sich – und zwar gleichermaßen bei der Distanzfahrt, dem Bergrennen wie auch dem Meilenrennen. Der französische Hersteller Panhard & Levassor, der im Vorjahr noch alle ersten Plätze belegen konnte, zieht noch vor dem Rennen seine Fahrzeuge zurück. Und Paul Meyan, der Generalsekretär des Automobilclubs von Frankreich, prägt den denkwürdigen Satz: „Wir sind in die Ära Mercedes eingetreten.“ Bis dahin hatten sich die Franzosen eigentlich für die besseren Autobauer gehalten. Ende des Jahres 1901 kaufen unter anderem die amerikanischen Milliardäre Rockefeller, Astor, Morgan und Taylor die leistungsstarken 40-PS-Wagen der Marke Mercedes.
Quelle: Daimler AG