Das Licht der Welt erblickte er während des Übergangs von der Wirtschaftswunderzeit in die Moderne. Im Januar 1967 stellte die damalige Daimler-Benz AG die neuen Großtransporter L 406 D und L 408 sowie den auf gleicher Basis gebauten Kleinbus O 309 vor. Die sogenannten Düsseldorfer Transporter lösten den beliebten Nachkriegstransporter L 319 ab, erweiterten dessen Potenzial beträchtlich und schrieben die Erfolgsgeschichte des ersten Großtransporters von Mercedes-Benz mit Bravour fort: Knapp eine halbe Million Einheiten rollten im Düsseldorfer Werk bis zum Ende der Produktion im Jahr 1986 vom Band.
Universalgenie und Verwandlungskünstler
Größer und stärker als ein Lieferwagen, wendiger und leichter als ein Lkw: Diese Charakteristik bildete den Schlüssel zum Erfolg. Die Düsseldorfer Transporter kamen als eine nutzlaststarke Klasse für sich und gaben in ihrem Segment vom Start weg den Ton an.
Hätte es diesen Transporter nicht gegeben, man hätte ihn erfinden müssen. In sattem Gelb lackiert bestellte die Deutsche Bundespost zahlreiche Kastenwagen, um Pakete zuzustellen. Gern gesehen war der neue Großtransporter auch bei Möbelhäusern, die dem Düsseldorfer dann in der Regel einen voluminösen Kofferaufbau verpassten und die trotzdem niedrige Ladekante zu schätzen wussten.
Der Pritschenwagen mit Doppelkabine hingegen begeisterte die Männer vom Bau. Polier mitsamt Kolonne fanden Platz im Fahrerhaus, während hinten auf der Pritsche vom Zementsack bis zur Dachlatte alles an den Ort des Geschehens mitreiste, was dort vonnöten war. Oft genug hing auch gleich noch ein Kompressor oder gar ein ganzer Bauwagen am Haken der Anhängerkupplung.
Das Arbeitstier
Äußerst beliebt war der Doppelkabiner als Mischung aus Bus und Lkw auch bei den Kommunalbetrieben, die eine mehrköpfige Equipe sowie zahlreiches Equipement zugleich unter einen Hut zu bringen hatten. Kein Wunder also, dass nicht zuletzt die Feuerwehr die Vorteile des Großtransporters schnell für sich entdeckte und zum Beispiel den temperamentvollen Benziner L 408 besonders gern als mannschaftsdienliches Löschgruppenfahrzeug in die Pflicht nahm.
Damit nicht genug: Selbst den Banken machte der Düsseldorfer Beine. Ausgebaut zur fahrenden Zweigstelle zog der Großtransporter als rollende Sparkasse über die Dörfer. Generell war das auf Mobilität angewiesene Völkchen der Marktbeschicker hoch erfreut über den neuen fahrbaren Untersatz, der sich so prima zum Verkaufsmobil ausbauen ließ und auch mit üppig bemessenen Vorräten an Bord nicht in die Knie ging.
Klarer Fall, dass der Düsseldorfer zudem als Kleinbus Karriere machte. Für Zubringerdienste eignete er sich ideal. In fernen Ländern spielte er den Alleskönner und fungierte als überdimensionales Sammeltaxi ebenso wie als kompaktes Fernreisevehikel. Aufbauer wie Ernst Auwärter zauberten aus dem Düsseldorfer gar luxuriöse Club-Busse wie den legendären Teamstar.
Zeitloses Design von eleganter Sachlichkeit
Vollkommen neu war die zeitlos geprägte Formensprache des Designs, die einen klaren Schlussstrich unter die betonte Rundlichkeit des Vorgängers L 319 zog. Mit elegant-sachlicher Anmutung setzte die neue Optik den Akzent auf Funktionalität. Die angedeutete Haube zeugte von einer sehr kompakten Bauweise mit einem Motor, der ein Stück weit in die Kabine hinein ragte. Im Stil der 1965 vorgestellten leichten LP-Lkw-Reihe hingegen war die Lenkachse weit nach vorn gesetzt, was einen niedrig angeordneten, bequemen Einstieg möglich machte.
Eine bis dahin im Transporter nicht gekannte Großzügigkeit herrschte bei den Sichtverhältnissen. Nur ein schmaler Holm fungierte als Bindeglied zwischen der schräg gestellten, hohen Windschutzscheibe und dem seitlichen Dreieckfenster. Fast wie von einer Kanzel aus hatte der Fahrer das Geschehen um sich herum und somit für damalige Verhältnisse außerordentlich gut im Blick.
Solide Technik hoch geschätzt
Kontinuität übte Mercedes-Benz indes bei den bewährten Komponenten, die unter dieser Schale von zeitlosem Schick ihren Dienst verrichteten. Schon beim erfolgreichen und über 120 000 Mal gebauten Vorgänger L 319 hatte sich gezeigt, dass solide Technik von robuster Natur bei der Kund-schaft hoch im Kurs stand. Und so trat die Dieselausführung L 406 D im Jahr 1967 mit eben jenem bekannten Zweiliter-Vorkammerdiesel namens OM 621 an, der schon im L 319 als treibende Kraft fungiert hatte und eine Leistung von 55 PS erzielte. Auch der im Benziner L 408 eingebaute 80 PS starke 2,2-Liter-Benziner, der bei den Verkäufen allerdings kaum eine Rolle spielte, war schon aus dem L 319 bekannt.
Stark verbesserter Fahrkomfort
Der Fahrkomfort hingegen hatte deutlich gewonnen. Im besonders sensiblen Segment der Kranken- und Rettungswagen jedenfalls hielt der Düsseldorfer Transporter in seiner Gewichtsklasse bald nahezu ein Monopol. Den Technikern war es in aufwendiger Detailarbeit und Feinabstimmung gelungen, das Fahrverhalten und den Fahrkomfort gegenüber dem Vorgänger wesentlich zu verbessern. Ein U-Profil-Rahmen mit Querträgern sowie blattgefederte Starrachsen vorn und hinten bildeten die Kennzeichen des Fahrwerks der neuen Transportergeneration, die in diesem Punkt an die erfolgreiche Tradition des Vorgängers anknüpfte.
Baukastensystem schafft Vielseitigkeit
Ihre hohe Universalität war der Trumpf, den die neuen Transporter aus Düsseldorf von Anfang an ausspielen konnten. Dahinter steckte ein vielseitiges und im Lauf der Jahre weiter verfeinertes Baukastensystem. Grundsätzlich lieferte das Düsseldorfer Werk den Transporter zum Beispiel wahlweise in den drei Gewichtsklassen 3490, 4000 sowie 4600 Kilogramm. Für Son-deraufbauten und Spezialfahrzeuge waren je sechs Fahrgestelle mit oder ohne Kabine vorgesehen.Beim Kastenwagen mit kurzem Radstand hatte der Kunde zudem die Wahl zwischen Normaldach mit 1600 Millimeter Innenhöhe im Laderaum oder leicht erhöhtem Dach mit 1750 Millimeter Innenhöhe im Gepäckabteil. Den Kastenwagen mit langem Radstand hingegen bot Mercedes ausschließlich in der besonders geräumigen, höheren Variante mit 1750 Millimeter Innenhöhe an. Dreh- oder Schiebetüren waren ebenso im Angebot wie vielfältige Türkombinationen.
Motorleistung stetig angehoben, höhere Gesamtgewichte
Schon 1968 löste der 60 PS starke Vorkammer-Diesel OM 615 mit 2,2 Liter Hubraum den ursprünglichen Zweilitermotor OM 621 ab. Anno 1974 trat der neue Diesel OM 616 mit 2,4 Liter Hubraum und einer Leistung von 65 PS auf den Plan. Die Typenbezeichnung änderte sich damit ebenfalls: Statt L 406 D hieß der solchermaßen erstarkte Düsseldorfer fortan L 407 D. Im Jahr 1982 folgte eine 72 PS starke Variante des OM 616.
Längst hatte der Basismotor da allerdings schon einen hubraumstarken Konkurrenten bekommen. Bereits seit 1968 bereicherte ein neues Modell namens L 408 D das Programm. Für seine exakt 80 Pferdestärken griff der L 408 D auf die legendäre Motorenbaureihe 300 zurück, die ihren Ursprung im 1949 vorgestellten Nachkriegs-Lkw L 3250 hat und heute noch in Mannheim, Brasilien und im Iran vom Band läuft. Mit diesem Motor von 3,8 Liter Hubraum gingen auch neue Gewichtsvarianten einher: Der Großtransporter eroberte die Fünf- und Sechs-Tonnen-Klasse.
Neuer Sechszylinder mit 130 PS
Emanzipationsgelüste gegenüber dem Lkw waren also geweckt. 1977 stellte Mercedes-Benz dem Vierzylinder OM 314 dessen sechszylindrigen großen Bruder OM 352 zur Seite, der es auf eine Leistung von 130 PS brachte. Inzwischen war das zulässige Gesamtgewicht des Sechstonners von 5900 Kilogramm (1970) auf 6500 Kilogramm (1973) geklettert. Der 5,7-Liter-Reihensechszylinder mit 130 PS Nennleistung versetzte den 6,5-Tonner mehr denn je in die Lage, auch unter schwierigen Bedingungen – zum Beispiel mit einem schweren Bauwagen im Schlepp – besonders souverän zu agieren.
Extra langer Radstand 4100 Millimeter
Doch nicht nur bei den Motoren wuchs die Vielfalt und Potenz. Im Jahr 1972 schon erweiterte ein besonders langer Radstand von 4100 Millimetern das Spektrum bei den Pritschenwagen L 508 D sowie L 608 D. Die Kastenwagen gleichen Typs konnten ab 1974 ebenfalls mit diesem Radstand geliefert werden. Dort bot eine besonders hohe Variante zudem die Möglichkeit, statt der bisher maximalen Innenhöhe von 1750 Millimetern nun insgesamt 1900 Millimeter Innenhöhe zu nutzen.
Im Jahr 1980 gingen die Kastenvarianten der Fünf- und Sechstonner mit Radstand 4100 Millimeter zudem in die Breite. Alternativ zu den 2100 Millimeter breiten Modellen bot Mercedes-Benz für besonders volumenorientierte Kunden eine weitere Ausführung mit 2400 Millimeter Außenbreite und 1930 Millimeter Innenhöhe an. Das Ladevolumen stieg damit von 17,5 auf 20,8 Kubikmeter um fast 20 Prozent. Die Deutsche Bundespost griff begeistert zu.
Auch der Omnibus O 309 profitierte vom langen Radstand 4100 Millimeter, der im Busbereich ab 1975 lieferbar war und sich ab 1979 mit der Option auf eine besonders geräumige Variante mit 2450 Millimeter Außenbreite statt der bisher üblichen 2100 Millimeter kombinieren ließ. „25 + 1“ statt „21 + 1“ Sitze gehörte zu den erfreulichen Konsequenzen, die der lange Radstand von 4100 Millimetern für den Personentransport mit sich brachte.
Sorgfältige Modellpflege im Jahr 1977
Dass die Düsseldorfer Transporter auch sonst stets auf der Höhe der Zeit blieben, stellte eine sorgfältige Modellpflege über die langen Jahre ihrer Produktionszeit sicher. Im Jahr 1977 zum Beispiel erfuhr die Baureihe eine umfangreiche Modellpflege, die ihrem Äußeren modernere Heckleuchten und gummibewehrte Stoßfänger bescherte. Im Inneren erleichterten eine neue Armaturenanlage sowie Kurbel- statt der bis dahin üblichen Schiebefenster dem Fahrer das Leben. Die Dreieckfenster in der Tür waren zudem als Ausstellfenster ausgeführt. Außerdem gab es neue Bedienhebel und Griffe sowie ein angenehm griffig ummanteltes Lenkrad.
1981 schließlich folgten ein neues, anthrazitfarbenes Kunststoff-Kühlergitter und ein breiter Stoßfänger aus Kunststoff. Zugleich stattete das Düsseldorfer Werk die Großtransporter zudem mit einer neuen Innenverkleidung aus, die das Geräuschniveau im Fahrerhaus der Großtransporter deutlich reduzierte.
Teilesätze bis hin nach Südamerika
Als nahezu unverwüstlich erwiesen sich die Transporter aus Düsseldorf damit nicht nur im Einzelfall, sondern auch als Spezies. Fast 20 Jahre währte die Produktion, die im Jahr 1967 begonnen hatte (20 bereits 1966 produzierte Einheiten außer Acht gelassen) und erst knapp 20 Jahre später anno 1986 endete. Exakt 496 447 Einheiten der Fahrzeuge mit den internen Codenummern 309 und 310 haben in dieser Zeit die Reise in die weite Welt angetreten und sich dort einen Namen gemacht. Fast 50 000 Teilesätze zur Montage vor Ort lieferte Mercedes-Benz zudem nach Argentinien, Spanien und Tunesien sowie in den Iran und die Türkei.
Konzept bis auf den heutigen Tag bewährt
Akademisch wäre die Frage, ob der 1986 vorgestellte Nachfolger T2 ein schweres Erbe anzutreten hatte oder ob er eher ein gemachtes Nest vorfand. Fest steht: Oberhalb der Baureihen Sprinter und T1 definierte der T2 seinen Radius mit Gesamtgewichten bis 7,5 Tonnen noch umfangreicher als der Vorgänger und nutzte die Nische zwischen klassischem Transporter und leichtem Lkw weiterhin geschickt.
Auch wenn die Baureihe nun schon längst weitere Modifizierungen erfahren hat und inzwischen den Namen Vario trägt, führt sie genau diese Tradition immer noch erfolgreich fort. Ihre aparte Kurzhaube erinnert direkt an die 1967 vorgestellten Düsseldorfer Transporter, deren typische Eigenheit in der Großtransporter-Baureihe Vario bis auf den heutigen Tag weiterlebt. Wie einst die Düsseldorfer und der T2 bewährt sich auch der Mercedes-Benz Vario als wahrer Alleskönner und bildet damit immer noch eine Klasse für sich.