Die neuen Frontlenker der LP-Reihe von 1963 sind gerade mal ein Jahr alt, da bekommen sie und auch ihre kurzhaubigen Kollegen schon neue Motoren. Daimler-Benz sagt dem 1923 eingeführten Vorkammerprinzip nach gut 40 Jahren Adieu und führte im Jahre 1964 in Gestalt von zwei neuen Reihensechszylindern die Direkteinspritzung ein: Der 10,8 Liter große OM 346 sowie der OM 352 mit 5,7 Liter Hubraum lösen die Vorkammerdiesel OM 326 und OM 322 ab.
OM 322 wird durch OM 352 ersetzt
„In langjähriger Entwicklungsarbeit ist es gelungen, die günstigen Kraftstoffverbräuche des Direkteinspritzverfahrens mit den Vorteilen des Vorkammersystems zu verbinden.“ Mit diesen Worten und dem gleich folgenden Hinweis auf „jahrelange Erprobung“ stellt das Werk die neuen Aggregate vor. Und versucht damit zugleich, Bedenken ob harten Nagelns (seinerzeit die Crux bei vielen Direkteinspritzern) oder mangelnder Standfestigkeit der neuen Motoren zu zerstreuen.
Zumindest der 126 PS starke Vorgängermotor OM 322 hielt die Gewährleistung gern auf Trab. Der ebenfalls 126 PS starke Nachfolger OM 352 hingegen bleibt von Kinderkrankheiten nahezu verschont und stellt den OM 322 insgesamt in puncto Zuverlässigkeit auf Anhieb in den Schatten. Drei Dinge sind es im Wesentlichen, die für den Abschied vom traditionellen Vorkammermotor sprechen: Um rund 15 Prozent lässt das neue Einspritzverfahren den Verbrauch sinken. Zwar liegt der Ölpreis damals pro Barrel noch unter zwei Dollar und soll diese Marke auch bis 1973 nicht überschreiten. Doch klettern die fiskalischen Belastungen für Sprit merklich. Liegt der Steueranteil pro Liter Diesel von 1950 bis 1960 bei knapp vier Pfennig (umgerechnet rund zwei Cent), so steigt er ab April 1960 mit knapp 23 Pfennig pro Liter (umgerechnet rund zwölf Cent) schon fast auf das Sechsfache und liegt ab Neujahr 1964 mit gut 35 Pfennig (umgerechnet rund 18 Cent) je Liter noch einmal mehr als 50 Prozent höher. Da ist ein um 15 Prozent reduzierter Verbrauch also Musik in den Ohren der Transporteure.
Direkteinspritzer ohne Starthilfe
Im Gegensatz zum Vorkammermotor kommt der Direkteinspritzer zudem ohne Starthilfe aus. Zumindest so lange, wie die Temperaturen nicht unter minus 15 Grad Celsius reichen. Ab dann erst greift der Fahrer nun zum so genannten Start-Pilot: jene damals übliche Einrichtung, die eine Kohlen-Wasserstoff-Verbindung in den Ansaugtrakt einbringt, die ein sofortiges Starten des Motors bewirkt. Dritter im Bunde der großen Vorteile des Direkteinspritzers ist schließlich, dass er – infolge effizienterer Verbrennung – wesentlich weniger Ruß entwickelt als der Vorkammermotor.
Zwar sind Motorgewicht und Bohrung sowie Hub von OM 346 und OM 352 sowie die Leistung identisch mit den Werten bei den Vorgängern. Doch präsentiert sich die Technik im Detail eben vollkommen verschieden: Vorkammern und Glühkerzen entfallen. Der Brennraum ist nun im Kolben untergebracht. Und die Ansaugkanäle sind neu gestaltet. Statt in einen unterteilten Verbrennungsraum zu gelangen, nimmt der Diesel nun schnurstracks Kurs auf die Wände der Kolbenmulde. Entsprechend konzipierte Einlasskanäle haben derweil die in den Zylinder einströmende Luft in eine Rotation versetzt, die der Kompressionshub noch einmal verstärkt (durch den kleineren Durchmesser der Kolbenmulde).
Just in diesen Luftwirbel jagt die Vierlochdüse ihre Kraftstoffstrahlen, was für damalige Verhältnisse „eine ausgezeichnete Aufbereitung des Kraftstoff-Luftgemisches“ ergibt. „Günstige thermische Verhältnisse“, betont das Werk, stellten sich auf diese Weise zudem ein und böten „die Gewähr für eine hohe Lebensdauer“ .
Zwar arbeiten beide Aggregate nach dem gleichen Prinzip, doch ist das Layout der Einspritzung und Zylinderköpfe jeweils durchaus verschieden: Sitzt beim größeren Motor (übrigens wie sein Vorgänger OM 326 ein Vierventiler) die Einspritzdüse mittig und vertikal, so ist sie beim Zweiventiler OM 352 schräg und mit einem gewissen Versatz zur Kolbenmitte angeordnet. Und kommt der OM 346 mit Einzelzylinderköpfen daher, so sitzen die sechs Zylinder des OM 352 unterm Dach eines einzigen, gemeinsamen Zylinderkopfs.
Mehr Wartungsfreiheit
Ein weiterer Vorzug der neuen Motoren ist, dass die Einspritzpumpen via Anschluss an den Motorölkreislauf mit Wartungsfreiheit glänzen. Den Hauptstromölfilter ergänzt zudem ein so genannter Feinstölfilter im Nebenstrom, der die Ölwechselintervalle auf den damals stolzen Wert von 9000 Kilometer hievt. Der OM 346 – übrigens wie schon sein Vorgänger OM 326 ein Vierventiler – ist in zwei Leistungsvarianten erhältlich: 180 sowie 202 PS bei jeweils 2200/min. Das maximale Drehmoment liegt bei 1300/min und beträgt 608 respektive 706 Newtonmeter.
Gar 210 PS stehen für die stärkere Variante dann zu Buche, wenn sie mit einem thermostatisch gesteuerten Viskolüfter versehen ist, der also erst bei Bedarf zur Tat schreitet. Als treibende Kraft fungiert der 10,8 Liter große OM 346 in den schweren Haubern und Frontlenkern des Gaggenauer Werks sowie in den Omnibussen O 317 und O 317 K. Interessant dabei ist die Arbeitsteilung zwischen den zwei Leistungsvarianten: Für den Mittelstreckenverkehr und Zuggesamtgewichte bis 30 Tonnen bietet Mercedes-Benz den relativ leichtgewichtigen LP 1418 für 14 Tonnen Gesamtgewicht des Motorwagens an, dessen niedriges Eigengewicht aus leichtgewichtigem Fünfganggetriebe (kombiniert mit leichter Zweigang-Hinterachse für 9,8 Tonnen Tragkraft) und schlankem Chassis sowie kleiner Kupplung resultiert.
Anstelle einer Zweikreis-Druckluftbremse wie bei den 16-Tonnern für den Fernverkehr liefert das Werk den 1418 zudem mit Zweikreis-Öldruckbremse, die allerdings über Druckluftunterstützung verfügt. Alles in allem ergibt das ein preisgünstiges Fahrzeug mit relativ viel Nutzlast. Der echte Fernverkehrsdampfer LP 1620 hingegen ist für Zuggesamtgewichte von 32 bis 38 Tonnen konzipiert. Adressat des neuen OM 352 sind hingegen die mittelschweren Mannheimer Lkw mit den Typenkürzeln 1113 und 1114 sowie die Busse O 321 H/HL und O 322. Der OM 346 schöpft aus 5,7 Liter Hubraum exakt 126 PS, die Nenndrehzahl beträgt 2800/min. Sein maximales Drehmoment von 353 Newtonmetern erreicht der OM 352 bei 1600/min.
OM 352: bis in die 80er Jahre im Einsatz
Beide Motoren haben eine lange Karriere vor sich. Das 5,7-Liter-Aggregat zum Beispiel erstarkt ab 1966 als aufgeladener OM 352 A auf 150 PS, kommt später gar mit 170 PS und werkelt bis in die 80er Jahre nicht nur in Lkw und Bus, sondern auch im Unimog.
Noch länger lebt der OM 346 weiter, allerdings gewissermaßen inkognito: Schon im Jahr 1967 nimmt er, per Anhebung des Hubs von 140 auf 150 Millimeter auf 11,6 Liter Hubraum gebracht, den Namen OM 355 an. Als solcher kann er anfangs mit 230, ab 1969 mit 240 PS aufwarten und muss in Europa allerdings schon während der 70er Jahre den neuen V-Motoren der Baureihe 400 weichen.
In den weiterhin und immerhin bis 1994 emsig exportierten Kurzhaubern ist er aber ein gern gesehener Gast in fernen Ländern. Wahlweise als Sauger mit 240 oder als Turbomotor mit 280 PS verrichtet er in diesen Haubern à la 1924 oder 1928 zuverlässig seinen Dienst. Und auch in Übersee wissen zum Beispiel die Brasilianer den OM 355 sehr zu schätzen. Dort bringt er es ebenfalls auf ein jahrzehntelanges Schaffen und erreicht mit Turboaufladung sowie Ladeluftkühlung ab 1988 gar 340 PS.
Quelle: Daimler AG