Kurz vor Jahresende hat uns Mercedes-Benz das eSprinter Serienmodell erstmals auf öffentlicher Straße probefahren lassen. Was mit der Elektrifizierung des Sprinter-Modells anders ist, und was gewohnt – klären wir im Fahrtest.
Gegenüber der Verbrennervariante des gewerblich genutzten Vans von Mercedes-Benz zeigt der eSprinter regelrecht wenig Unterschiede. Die e-Variante des Sprinters – der zunächst nur als Kastenwagen mit Hochdach und einem zulässigen Gesamtgewicht von 3.500 Kilogramm ab Februar 2020 bestellbar sein wird, zielt Nutzer mit einem Anwendungsspektrum im urbanen Umfeld an. Oder anders gesagt: für die Logistik im Innenstadtbereich, für die der 5.926 mm lange Van durchaus von Nutzen ist.
Zwei Batterieoptionen für den eSprinter wählbar
Wie auch beim Sprinter mit Verbrennungsmotor verfügt der eSprinter über das identische Ladevolumen von 10,5 m³ und wird mittels Elektroantrieb über die Vorderräder angetrieben. Der E-Antrieb leistet hier 85 kW sowie bis zu 295 Newtonmeter Drehmoment. Dazu bietet Mercedes-Benz ein flexibles Zulade- und Batteriekonzept an, die individuell an den Kunden angepasst werden kann: möglich sind 47 kWh nutzbare Batteriekapazität (von 55 kWh der wassergekühlten Lithium-Ionen Batterie) für 168 Kilometer Reichweite mit einer maximalen Zuladung von 891 Kilogramm. Alternativ kann auch ein Akkupack mit nutzbaren 35 kWh (installiert: 41 kWh) für um die 115 Kilometer Reichweite und einer maximalen Zuladung von 1.045 Kilogramm bestellt werden. Die Höchstgeschwindigkeit kann auf 80, 100 oder bis zu 120 km/h konfiguriert werden.
Gegenüber der Vorserienvariante, die wir im Juli 2018 erstmals in Hamburg fahren konnten, haben sich die Werte des Zuladungsgewichts sogar noch leicht verbessert.
Der E-Antrag und die ganze Leistungselektronik des eSprints ist übrigens in einem Rohrrahmengestell installiert und nutzt die normalen Aufhängungen der Verbrennervarianten des Sprinters. Die Antriebsbatterien sind im Unterboden verbaut und werden von Schutzplatten verkleidet.
Ladezeit: Innerhalb von 30 Minuten von 10 auf 80 % (SoC) mit 80 kW DC-Wallbox
Entgegen dem Vorserienmodell des eSprinter Modells befindet sich die Ladeklappe nun nicht mehr in der Fahrertür, sondern ist direkt unter dem Stern im Frontgrill untergebracht. Das ist ein klarer Handlingvorteil und versperrt beim Laden nicht den Zugang zur Fahrertür.
Geladen werden kann das Modell dabei mittels AC-Ladung mit 7,4 kW, bzw. 20 kW DC sowie optional mit maximal 80 kW (DC). Bei der Ladezeit spricht man bei Mercedes-Benz von knapp 6 Stunden von 10 auf 80 % (SoC), bzw. mit DC-Ladung und 80 kW von 30 Minuten. Beim Stromverbrauch spricht man bei Mercedes-Benz von knapp 37,1 bis 32,5 kWh pro 100 Kilometer Wegstrecke.
Bei den Fahrprogrammen bietet man die Programme „E+“, „E“ sowie „C“ an, die mittels Taster in der Mittelkonsole ausgewählt werden können. Je nach Programm wird die Klimatisierung und die Fahrpedallinie angepasst, was sich z.B. positiv auf die Reichweite auswirken kann. Im E+ Modi wird die Motorleistung übrigens z.B. auf 70 kW und 270 Nm Drehmoment gedrosselt.
Zusätzlich stehen vier Rekuperationsstufen zur Verfügung: „D-„, „D“, „D+“ sowie „D++“, die über die Lenkradschaltpaddles ausgewählt werden. In der Fahrstufe „D-“ ist dabei das „One-Pedal-Driving“ möglich, über „D++“ segelt der eSprinter. Der Nullpunkt liegt hier ca. im ersten Viertel des Pedalweges.
Übersicht der Rekuperationsstufen:
- D- maximal -1,5 m/s²
- D normal -1.0 m/s²
- D+ low -0.5 m/s²
- D++ sailing 0 m/s²
Fahrtest im eSprinter im normalen Straßenverkehr
Für unseren Straßen-Fahrtest im Serienmodell des Sprintes nutzten wir das Umland sowie die Innenstadt von München – einmal über den Altstadtring, vorbei am Isartor, dem Viktualienmarkt und dem Stachus. Gut geplant, und mehr als realitätsnaher Einsatz eines Sprinters mit E-Antrieb im lokalen Umfeld.
Zum Fahrtest stellte man uns dazu ein Modell mit der größten Batteriekapazität zur Verfügung, welches mit einer Laufleistung von rund 1.100 km man gerade als „eingefahren“ bezeichnen könnte, wenn ein E-Motor sowas überhaupt noch benötigte. Dabei achtete man sogar auf die Feinheiten: bei der Ausstattung wählte man genau die Optionen, die der übliche Nutzer auch in der Realität nutzt: Serienlenkrad, kleinstes Radio sowie Navigation über ein Mobiltelefon sowie Serien-Halogenbeleuchtung. Gut, dass die Sitzheizung für den Fahrer bereits zur Serienausstattung gehörte und man zusätzlich aufgrund fehlenden MBUX Systems das Wort „Mercedes“ auch mal unkommentiert aussprechen konnte.
Das Testwetter in der bayrischen Landeshauptstadt München zeigte sich Mitte Dezember (- eigentlich gestern am 16. Dezember 🙂 ) dagegen von der besten Seite, wobei das Thermometer angenehme 12 Grad plus anzeigte und eine Beheizung des Innenraums nur minimal notwendig machte. Klimaanlage und Sitzheizung gibt es übrigens als Serienausstattung, was für die Vorklimatisierung des Fahrzeuges durchaus Sinn macht.
Unsere Fahrstrecke – mit einer Test-Zuladung von 250 kg im Laderaum sowie Beifahrer- ging dabei größtenteils durch die Innenstadt von München, teils aber auch mit kurzen Stadtautobahnabschnitten. Unsere Höchst-geschwindigkeit lag hier – zumindest kurzzeitig – bei 105 km/h, wobei wir für die Testrunde von 32,3 km – staubedingt – satte 1 Stunde und 37 Minuten benötigten. Die Batterieanzeige senkte sich dabei von 100 % auf 74 % Ladeleistung – was hochgerechnet eine Reichweite von rund 124 km entsprechen sollte. Sicherlich: mit geübten Fahrpedal-Bewegungen und weniger Beschleunigungsversuchen wäre die Reichweite noch deutlich zu steigern, wobei eine Reichweite von über 150 km durchaus realistisch erscheint.
Wenig Veränderung für den Fahrer – außer beim Geräusch
Vom Fahrgefühl fährt sich die Serienvariante genauso unspektakulär, wie wir eigentlich erwartet hatten und es auch vom Vorserienmodell gewohnt waren. Dabei fällt schnell auf, das der Fahrer sich nur wenig umgewöhnen muss – lediglich das veränderte Beschleunigungsverhalten sollte man gewohnt sein, zumal man diese zugunsten der Reifenabnutzung begrenzt. Der Durchzug zeigt sich aber konstant.
Und ja: die Geräusche, die sonst ein Verbrenner übertönt, kommen beim eSprinter schneller in den Vordergrund. So sind Windgeräusche zwar hörbar, aber im Verhältnis zur Fahrzeuggröße im mehr als angenehmen und somit positiven Bereich. Gegenüber dem eVito sind die Geräusche sogar noch leiser gehalten.
Von der Beladungshöhe bzw. der Ladekante bleibt übrigens alles gleich, ähnlich verhält es sich auch beim Bodenfreiraum, der fast auf Verbrenner-Niveau gehalten ist.
Straff zeigte sich die Federung, die leicht härter abgestimmt ist als beim vergleichbaren Verbrennungsmodell. Von der technischen Seite bietet das Fahrwerk jedoch keine Besonderheiten. Positiv macht jedoch das Akkupack am Unterboden des eSprinters bemerkbar, was den Fahrzeugschwerpunkt senkt.
Fazit:
Mit dem eSprinter Serienmodell bringt Mercedes-Benz ein Fahrzeug gezielt für den urbanen Logistikverkehr, für dessen Zielgruppe das Modell durchaus sehr gut nutzbar sein wird. Dazu fährt das Modell vollkommen alltaugstauglich und dabei unproblematisch und kann auch mit Beladung problemlos im Stadtverkehr mit fließen. Der Begründer seines Segments kommt damit als zweites gewerblich genutzte Modell – nach dem eVito – elektrifiziert zum Endkunden. Aufgrund des geringeren Verschleißes und den niedrigeren Service- und somit reinen Kilometerkosten des eSprinters – niedriger als beim Diesel-Modell – machen den eSprinter bei den Kosten auf alle Fälle interessant.
Was noch fehlt, sind die Auslieferungen. Bestellungen will man dazu im Februar annehmen, mit ersten Fahrzeugen in Kundenhand ist dann ca. im Mai 2020 zu rechnen – ausgenommen einiger Großkunden vorab. Preise für den eSprinter nennt man hingegen noch nicht.
Was uns aufgefallen ist:
- Serviceintervall für den eSprinter alle 40.000 km bzw. jährlich
- Erste vier Wartungen im Kaufpreis inklusive
- Batteriezertifikat gilt für 8 Jahre oder 100.000 km für mindestens 70 %
Positiv:
- Energiesparmodus: Fahrzeug erkennt, wenn der Fahrer zu oft die Tür öffnet, z.B. im Zustellverkehr und schaltet auf Energiesparmodus (wird im Display angezeigt, nicht im Fahrprogramm „C“)
- Ladebuchse vorne meist vorteilhafter für festangebrachte Kabel an Ladestationen
- Gutes Handling des Sprinters durch gut reagierende Lenkung, ideal für enge Kurven.
Negativ:
- Das Serienlenkrad. Die 180 Euro für ein Lederlenkrad sind eine mehr als lohnenswerte Investition – sowohl beim Verbrenner, als auch im eSprinter.
Wichtigste technische Daten:
- Kastenwagen 3,5 Tonnen Klasse, 5,93 Meter Länge, 2,02 Meter Breite, 2,64 Meter Höhe
- Radstand: 3,92 Meter, Laderaumvolumen 10,5 m³, Zuladung bis 1.040 kg
- E-Motor 85 kW / 115 PS von ZF, maximal 295 NM, Frontantrieb, 1-Gang Automatik
Bilder: Deniz Calagan