Die gute Botschaft ist klar: „Mercedes-Benz – Umweltfreundlich durch Elektro-Antrieb“ steht auf der Seite des Mercedes-Benz LE 306. Premiere hat der elektrisch angetriebene Leichttransporter vor 45 Jahren am 13. und 14. März 1972 in Brüssel. Dort wird er beim Symposium „Electric Vehicle Study Days“ des Internationalen Verbands der Elektro-Versorgungsunternehmen UNIPEDE (Union Internationale des Producteurs et Distributeurs d’Énergie Électrique) der Fachwelt präsentiert. Im Sommer des Jahres rückt der LE 306 dann in den Blick der Weltöffentlichkeit. Denn bei den Olympischen Spielen 1972 wird eine Flotte der Versuchsfahrzeuge eingesetzt. Wenig später folgt sogar ein Großversuch mit insgesamt 58 Fahrzeugen. Dabei arbeitet Mercedes-Benz mit der Gesellschaft für elektrischen Straßenverkehr (GES) zusammen, die Anfang der 1970er-Jahre von der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG in Essen (RWE) gegründet wird.
Industriepartner bei der Entwicklung des LE 306 sind die Unternehmen Kiepe (elektronische Steuerung) und Varta (Batterie). Basisfahrzeug für den LE 306 ist der Transporter, den die Stuttgarter Marke serienmäßig mit Ottomotor (L 207 und L 307, 52 kW/70 PS) sowie mit Dieselmotor (L 206 D und L 306 D, 44 kW/60 PS) anbietet. Mercedes-Benz hat diesen Leichttransporter nach der Übernahme von Hanomag-Henschel durch die damalige Daimler-Benz AG in das eigene Modellprogramm integriert. Sein Nachfolger ist die vollständig selbst entwickelte und 1977 vorgestellte Transporterbaureihe T 1 oder TN, auch unter den Namen „Bremer Transporter“ bekannt.
Der LE 306 wird von einem fremderregten Gleichstrom-Nebenschlussmotor mit 35 bis 56 kW Leistung angetrieben. Dieser erhält seine Energie aus einer 860 Kilogramm schweren Batterie mit 144 Volt Spannung und einer Kapazität von 22 Kilowattstunden. Das genügt, um den Leichttransporter mit einer Tonne Nutzlast bis zu 80 km/h schnell zwischen 50 und 100 Kilometer weit fahren zu lassen.
Um die Reichweite auf einen praktikablen Einsatzbereich zu vergrößern, denken sich die Ingenieure ein Wechselsystem für den Energiespeicher aus: Die „Durchschiebe-Querwechseltechnik“ ermöglicht einen Austausch der Batterie binnen weniger Minuten. „ Die entladene Batterie wird in einer Ladestation seitlich herausgezogen, während ein neuer Satz von der anderen Seite gleichzeitig eingeschoben wird. Das dauert nicht länger als ein normaler Tankvorgang“, heißt es in einem Mercedes-Benz Prospekt aus dem Jahr 1974 zum LE 306.
In Betriebspausen kann die Batterie außerdem auch im Fahrzeug über ein Ladegerät mit Netzstrom versorgt werden. Zudem arbeitet der Motor beim Bremsen als Generator und wandelt die Bewegungsenergie in elektrische Energie um, die in der Batterie gespeichert wird. Dieses effiziente Prinzip der Rekuperation haben heutige Hybrid- und Elektrofahrzeuge übernommen.
Lange Tradition der elektrischen Traktion
Der LE 306 ist vor 45 Jahren ein Meilenstein von Mercedes-Benz auf dem Weg zum modernen Elektrofahrzeug. Ein Gespür dafür scheint die Fachzeitschrift „Lastauto Omnibus“ bereits im Heft 4 des Jahres 1972 zu haben, wo über den in Brüssel vorgestellten Prototypen berichtet wird: „Der Mercedes-Transporter mit E-Antrieb unterscheidet sich von den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren nur unwesentlich. Die Bedienung ist einfacher als bei einem Fahrzeug mit Getriebeautomatik.“
Kritisch betrachtet das Magazin seinerzeit noch Reichweite und Kosten für die Batterietechnik. „Unserer Auffassung nach steht und fällt der Elektroantrieb mit der Entwicklung neuer Energiespeicher“ , heißt es 1972. Schließlich sind die verwendeten Bleibatterien noch eng verwandt mit den elektrischen Speichern, wie sie rund 70 Jahre zuvor Anfang des 20. Jahrhunderts in Elektrofahrzeugen verwendet werden.
Die österreichische Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) baut von 1906 bis 1912 (ab 1909 auch die DMG in Berlin-Marienfelde) Elektrofahrzeuge des Typs Mércèdes Électrique mit batterieelektrisch angetriebenen Radnabenmotoren. Sie sind in zahlreichen Karosserievarianten vom Personenwagen über Nutzfahrzeuge verschiedener Größe bis hin zum Feuerwehrauto zu haben. Parallel entstehen auch serielle Hybrid-Modelle des Typs Mércedès Mixte. Beide Technologien nimmt die Mercedes-Benz Forschung um das Jahr 1970 wieder auf. So stellt das Unternehmen bereits 1969 den Hybrid-Omnibus OE 302 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt am Main vor.
Den elektrischen Antrieb entwickelt Mercedes-Benz nach dem LE 306 in verschiedenen Fahrzeugtypen weiter. Darunter sind immer wieder auch Transporter: Auf dem T 1 basieren der Posttransporter 307 E (1980) mit 1,45 Tonnen Nutzlast und 70 Kilometer Reichweite sowie das Kommunalfahrzeug 308 E (1988). Der MB 100 E (1992) wird in einem Feldversuch auf der Ostseeinsel Rügen mit verschiedenen Batteriesystemen (Natrium-Nickelchlorid, Natrium-Schwefel, Nickel-Cadmium) getestet und ab 1994 mit Blei-Gel-Batterien angeboten.
Die Reichweite der Mercedes-Benz Elektro-Lieferwagen steigt mit jedem Entwicklungsschritt: Der Sprinter 308 E (1995) erreicht mit einer sogenannten Zebra-Hochenergiebatterie rund 100 Kilometer Reichweite, der Vito 108 E (1996) kommt mit einer 420 Kilogramm schweren Natrium-Nickelchlorid-Batterie bereits auf 150 Kilometer. Der zeitgenössische Automobilmarkt ist zwar noch nicht reif ist für den Großserieneinsatz der jeweiligen Fahrzeuge. Aber die kontinuierliche Forschung und Entwicklung der Stuttgarter Marke bringt das Konzept lokal emissionsfrei fahrender Transporter mit jedem Fahrzeugentwurf dem Alltag näher: Bis zum Vito E-CELL mit Lithium-Ionen-Batterie (2010), zur neuen Produktmarke EQ und zum vernetzten, vollelektrischen „Vision Van“. Diese Studie hat 2016 Premiere und zeigt Ideen für die Entwicklung künftiger Transportergenerationen von Mercedes-Benz.
Quelle: Daimler AG