Rekordfahrten sind in den 1930er-Jahren Teil des Programms, um die Leistungsfähigkeit von Fahrzeugen und Fahrern unter Beweis zu stellen. Mercedes-Benz tritt mit mehreren Fahrzeugen regelmäßig im Ringen um absolute Geschwindigkeitsrekorde gegen die Konkurrenz an.
Mit zunehmenden Geschwindigkeiten sprengen die silbernen Boliden zugleich immer mehr die Kapazität der verfügbaren Pisten. Reichte 1934 ein glattes und gerades Stück Betonstraße im ungarischen Gyon unweit von Budapest oder die Berliner Avus gerade noch so aus, wird ab 1936 die Autobahn Frankfurt–Darmstadt (heute die Bundesautobahn A 5) und bei den letzten Rekordfahrten vor Beginn des Zweiten Weltkriegs schließlich ein ungewöhnlich breites Teilstück der neuen Autobahn Dessau–Bitterfeld genutzt.
Rudolf Caracciola unterstreicht im Winter 1934 die Leistungsfähigkeit des Grand-Prix-Wagens W 25. In Gyon bei Budapest fährt er ein Fahrzeug mit voll verkleidetem Cockpit – von ihm damals liebevoll „Rennlimousine“ genannt – über eine Betonpiste: Mit 317,5 km/h und 316,6 km/h stellt er internationale Rekorde der Klasse C (3 bis 5 Liter Hubraum) über einen Kilometer und eine Meile (1,60934 Kilometer) mit fliegendem Start auf, außerdem gelingt ihm mit 188,6 km/h ein neuer Weltrekord über eine Meile mit stehendem Start. Die Rekordfahrt in Ungarn ist eine Replik von Mercedes-Benz auf den Einstundenrekord der Auto Union im März 1934 und eröffnet den Jahre dauernden Zweikampf der beiden Marken um die höchste Geschwindigkeit – die am Ende Caracciola auf Mercedes-Benz erzielt. Im Dezember 1934 fährt Caracciola auf der Avus mit dem W 25 einen internationalen Klassenrekord der Klasse C über 5 Kilometer mit 311,9 km/h.
Die Vollstromlinienkarosserie wird bei Zeppelin entwickelt
Der Rekordwagen von 1936 basiert ebenfalls auf dem Chassis des W 25, doch trägt er erstmals eine Vollstromlinienkarosserie, die auch die Räder und den Unterboden einbezieht. Entwickelt im Windkanal der Zeppelinwerke in Friedrichshafen, wiegt die Leichtmetallkarosserie rund 100 Kilogramm und macht den sensationellen Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,235 möglich. Den Antrieb besorgt ein V12-Motor (MD 25 DAB/1) mit 616 PS (453 kW) aus 5.577 Kubikzentimeter Hubraum. Er ist eigentlich für den Grand-Prix-Sport vorgesehen, erweist sich jedoch als zu schwer. Mit ihm wird Caracciola zum Mehrfach-Primus in der Klasse B, beispielsweise mit einem Weltrekord von 333,5 km/h über 10 Meilen bei fliegendem Start. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 372 km/h.
Die Jagd nach immer höheren Geschwindigkeiten geht aber weiter. Die Oberste Nationale Sportbehörde in Deutschland (ONS) hat längst den Prestigewert von Rekordfahrten erkannt. Für Oktober 1937 setzt sie auf der Autobahn Frankfurt–Darmstadt eine internationale Rekordwoche an, an der allerdings fast nur deutsche Fahrzeuge teilnehmen. Sie endet mit einem eindeutigen Erfolg der Auto Union, da Bernd Rosemeyer eine ganze Reihe von neuen Höchstleistungen aufstellen kann und zum Beispiel als Erster auf einer Verkehrsstraße eine Geschwindigkeit von mehr als 400 km/h erzielt. Dagegen enttäuschen die Mercedes-Benz Wagen und werden vorzeitig wieder ins Werk gebracht. Danach erreicht die Firmenleitung, dass zusätzlich im Januar 1938 – vor der Automobil-Ausstellung in Berlin – auf der gleichen Strecke neue Rekordversuche durchgeführt werden können. Dabei stellt Rudolf Caracciola mit einem deutlich verbesserten Fahrzeug einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf, der bis heute nicht gebrochen ist. Mit dem Zwölfzylinder-Rekordwagen auf Basis des W 125 fährt er die schnellste je auf einer öffentlichen Straße erzielte Geschwindigkeit: Sein Bolide kommt auf dem Kilometer mit fliegendem Start auf 432,7 km/h und auf der Meile mit fliegendem Start auf 432,4 km/h. Doch beim Versuch, diesen Rekord anschließend sofort zu brechen, findet der Starfahrer der Auto Union, Bernd Rosemeyer, den Tod, als sein Fahrzeug in voller Fahrt von einer Windbö erfasst wird und von der Fahrbahn gerät.
Auch Rekord: ein Luftwiderstandsbeiwert von nur cW = 0,157
Die Rekordausführung des W 125 wird – wie die anderen Rekordwagen von Mercedes-Benz aus dieser Zeit – im Windkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof perfekt auf ihren besonderen Zweck vorbereitet. Sie hat einen rekordverdächtigen Luftwiderstandsbeiwert von nur cW = 0,157. Das Fahrzeug wird angetrieben von der jüngsten Evolutionsstufe des 5,6-Liter-Zwölfzylinders. Zwei Roots-Kompressoren steigern seine Leistung auf 736 PS (541 kW) bei 5.800/min. Eine Vorstufe des 6,25 Meter langen Rekordfahrzeugs tendiert dazu, bei 400 km/h den Bodenkontakt zu verlieren. Also verkleinert Rudolf Uhlenhaut die Frontfläche auf ein Minimum und verringert so den Strömungswiderstand des Kühlers. Lediglich zwei kleine Nüstern versorgen den riesigen V12-Motor mit Atemluft. Für dessen optimales Betriebsklima über die kurzen Distanzen ist der normale Kühler des W 125 zuständig, eingebettet in einen mit einem halben Kubikmeter Eis und Wasser gefüllten Kasten auf zwei Trägern vor der Maschine.
1939 ist die Spezialisierung dann schon so weit fortgeschritten, dass aus dem dann verwendeten W 154 gleich zwei Rekord-Versionen für die Klasse D (2 bis 3 Liter Hubraum) entstehen: ein Fahrzeug für Bestwerte mit fliegendem Start und eine weitere Variante für den Sprint aus dem Stand mit umkleideten Rädern und einer charakteristisch eingekerbten Partie im Cockpitbereich. Als Konstanten bleiben die konstruktive Nachbarschaft zum entsprechenden Grand-Prix-Fahrzeug sowie die Wahl des Fahrers: Auch für diese Rekorde ist Rudolf Caracciola zuständig.
Der Stromlinien-Dreiachser kommt nicht mehr zum Einsatz
Der W154-Rekordwagen von 1939 leistet 468 PS (344 kW) bei 7.800/min. Mit ihm finden zugleich im Februar 1939 die letzten Rekordfahrten dieser Art auf der Autobahn statt. Für den fliegenden Start kommt der Wagen mit einer futuristisch anmutenden Vollstromkarosserie daher, beim stehenden Start sind die Räder einzeln verkleidet. Caracciola erzielt auf dem Mercedes-Benz Rekordwagen W 154 folgende internationale Klassenrekorde der Klasse D (2 bis 3 Liter Hubraum): Auf dem Kilometer mit stehendem Start erreicht er 175,1 km/h, auf der Meile mit stehendem Start 204,6 km/h, den Kilometer mit fliegendem Start bewältigt er mit 398,2 km/h und die Meile mit fliegendem Start mit 399,6 km/h.
Mit dem 8,24 Meter langen, dreiachsigen Rekordfahrzeug T 80 von 1939 will Mercedes-Benz schließlich den Geschwindigkeitsweltrekord brechen, der in einem Duell zwischen den Briten George Eyston und John Cobb im August 1939 auf einem Salzsee in Utah/USA schließlich auf 595 km/h hochgeschraubt worden war.
Angetrieben werden soll der mächtige T 80 Wagen vom 807 Kilogramm schweren Flugmotor DB 603 RS, einem V12-Aggregat, das aus 44.500 Kubikzentimeter Hubraum bei 3.640/min satte 3.500 PS (2.574 kW) freisetzt. Der T 80 kommt allerdings wegen des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs nicht mehr zum Einsatz. Er ist heute, wie auch weitere Rekordfahrzeuge der 1930er-Jahre, Teil der Fahrzeugsammlung von Mercedes-Benz Classic und ist im Mercedes-Benz Museum zu bewundern.
Bilder: Daimler AG