Der Mercedes 2-Liter Targa-Florio-Rennwagen aus dem Jahr 1924 galt damals als hochmoderner Rennwagen für den wichtigsten Wettbewerb des Jahres und trägt die Handschrift von Paul Daimler und Ferdinand Porsche. Das Modell verband Leichtbau und einen Motor mit zeitgenössischem Hochdrehzahlkonzept.
Neben der Fahrkunst von Christian Werner ist die Technik des neuen Rennwagens entscheidend für den Sieg von Mercedes bei der Targa Florio 1924. Das Konzept folgt dem 2-Liter-„Indianapolis“- Rennwagen mit Kompressor des Jahres 1923. Dessen Entwicklung von Paul Daimler führt Ferdinand Porsche bereits zu Ende. Es ist sein erstes Projekt als Chefkonstrukteur der Daimler-MotorenGesellschaft nach seinem Eintritt ins Unternehmen 1923. Auch der 2-Liter-Targa-Florio-Rennwagen von 1924 trägt in den Grundzügen noch Daimlers Handschrift, wird aber maßgeblich von seinem Nachfolger Porsche zur Einsatzreife gebracht. Unter anderem setzt Porsche gegenüber dem Rennwagen von 1923 einen leistungsstärkeren Kompressor ein.
Eine Prämisse ist Leichtbau. So gibt die Rennwerkstatt den Fahrzeugen eine Aluminiumkarosserie mit Verstrebungen aus Stahl und verwendet möglichst wenig Material. Der Aufwand lohnt sich: Fahrfertig mit Betriebsstoffen wiegt der zweisitzige Rennwagen nur 1.015 Kilogramm. Für Vortrieb sorgt ein Vierzylindermotor mit 1.989 Kubikzentimetern Hubraum und 50 kW (67,5 PS) Leistung. Bei Einsatz des Kompressors steigt die Leistung auf fast das Doppelte und 93 kW (126 PS) – zusammen mit dem geringen Fahrzeuggewicht eine Idealkombination für den Motorsport. Den Erfolg des mechanischen Laders in den Rennwagen und sportlich-luxuriösen Topmodellen von Mercedes bringt noch Paul Daimler auf den Weg, Sohn des Automobilpioniers Gottlieb Daimler und Chefingenieur von 1. April 1907 bis 1. April 1922. Das trägt ihm den Beinamen „König des Kompressors“ ein – in Anlehnung an die Würdigung „König der Konstrukteure“ für Wilhelm Maybach.
Beim Motor M 7294 des Targa-Florio-Rennwagens mit Kompressor, Vierventiltechnik und zwei oben liegenden Nockenwellen sind Zylinder und Zylinderkopf zu einem Sackzylinder zusammengeschweißt. Diese Lösung setzen Mercedes und später Mercedes-Benz bis Anfang der 1990er-Jahre immer wieder ein. Zehn Jahre zuvor verwendet Mercedes im Motor des Grand-Prix Rennwagens von 1914 mit Vierventiltechnik und einer oben liegenden Nockenwelle einzelne Stahlzylinder mit aufgeschweißten Kühlwassermänteln aus dünnwandigem Stahl. Das macht damals die Mercedes-Motoren um 30 bis 50 Prozent leichter als die Aggregate der Konkurrenz. In die Konstruktion des Rennmotors von 1924 fließen auch Erfahrungen der DMG in der Entwicklung damaliger Hochdrehzahlkonzepte mit bis zu 4.500/min ein. Möglich machen das Rollenlager für die Kurbelwelle. Die Kompressormotoren erhalten diese ab 1922. Ferdinand Porsche verwendet außerdem erstmals in einem Rennmotor Auslassventile mit quecksilbergefülltem Schaft. Dieses Detail verbessert die Wärmeabfuhr erheblich. Neben Leichtbau prägt eine kompakte Konstruktion das Wettbewerbsfahrzeug. Der Rennwagen mit 1.400 Millimetern Spurweite und 2.690 Millimetern Radstand ist nur 3.800 Millimeter lang, 1.700 Millimeter breit und 1.250 Millimeter hoch. So schreibt der für den Renneinsatz verantwortliche Mercedes-Oberingenieur Max Sailer über die Rennwagen: „Unsere kleinen 2-LiterMaschinen, ausgerüstet mit Kompressoren, sind beinahe die kleinsten aller konkurrierenden Fahrzeuge.“ Dieser beinahe schon filigrane Entwurf wird dem bis zu 120 km/h schnellen Wettbewerbsfahrzeug auf den schmalen und kurvenreichen Bergstraßen der sizilianischen Madonie zugutekommen.
Insgesamt vier Rennwagen des Typs werden für die Targa Florio 1924 gebaut und drei davon im Rennen auf Sizilien eingesetzt. Danach kommt dieser Fahrzeugtyp unter anderem beim Solitude- Bergrennen 1924 (Sieg von Otto Merz), dem Internationalen Kilometerrennen in Scheveningen 1924 (Sieg von Theo Wiemann), dem Internationalen Klausenrennen 1924 (Streckenrekord von Otto Merz) sowie dem Semmering-Bergrennen 1924 (Sieg von Christian Werner) zum Einsatz. Weitere erfolgreiche Starts folgen 1925.
Mindestens zwei der Wettbewerbsfahrzeuge sind erhalten. Der nun von Mercedes-Benz Classic restaurierte Targa-Florio-Rennwagen gehört seit vielen Jahrzehnten zur unternehmenseigenen Sammlung. Nach dem Einsatz durch Christian Lautenschlager in Sizilien und der Teilnahme an weiteren Rennen verkauft Mercedes das Fahrzeug 1925 an einen Unternehmer aus Halle an der Saale. Der motorsportbegeisterte Kunde lässt die Karosserie leicht verbreitern und rüstet unter anderem eine Lichtanlage nach. Denn er setzt das Fahrzeug nicht nur in Wettbewerben ein, sondern nutzt es auch als ausgesprochen sportliches Alltagsfahrzeug. 1937 erwirbt Mercedes-Benz den Rennwagen zurück. Zunächst wird er im Deutschen Museum in München ausgestellt und ab 1961 im Mercedes-Benz Museum in Untertürkheim. Nach der Eröffnung des neuen Mercedes-Benz Museums 2006 gehört der Targa-Florio-Rennwagen zu den Stars der Rennkurve im Raum Mythos 7: Silberpfeile – Rennen und Rekorde. Ein zweiter Rennwagen von 1924 befindet sich in Privatbesitz. Das eigentliche Siegerfahrzeug von Christian Werner ist nicht erhalten.
Bilder: Mercedes-Benz Group AG