Der 1. Oktober 1896 war ein Stichtag, der sich später als gar weltgeschichtliches Datum herausstellte. Denn genau an diesem Tag wurde im Wagenbuch der Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) in Cannstatt bei Stuttgart die Produktion des ersten Lastwagen der Welt eingetragen: „Motor-Lastwagen Bestell-Nr. 81, Fahrzeug Nr. 42, 4-PS-Zweizylinder-Motor, Gewicht des kompletten Wagens 1 200 kg zur Beförderung von 1 500 kg, Factura British Motor Syndicate Ltd. London.“.
Der erste motorgetriebe Lastwagen stößt im Jahre 1896 jedoch nicht sofort auf eine brennende Nachfrage. Aber Gottlieb Daimler hatte nicht nur zehn Jahre davor das erste Auto gebaut, er fertigte auch das erste Motorrad der Welt und produzierte Schiffsmotoren und Motordraisinen, wie auch Motor-Pumpen für Feuerspritzen. So war es aus Daimlers Sicht nur mehr als logisch, das er auch Lasten mittels Motorkraft transportiert.
Der erste Lastwagen der Welt sah dabei aus, wie ein Pferdefuhrwerk ohne Deichsel. Der Fahrer nimmt dazu vorne vor der Vorderachse auf einem Bock im Freien Platz. Der Lastwagen entpuppt sich also sogleich als ein Frontlenker. Der Motor war dazu im Heck montiert. Das Zweizylinder-Triebwerk, ein Daimler „Phoenix“-Motor leistet aus 1,1 Liter Hubraum ganze 4 PS. Der Antrieb erfolgte über einen Riemenantrieb auf die Hinterachse. Deren Konstruktion ähnelt der erst Jahrzehnte später eingeführten Außenplanetenachse.
Laut dem ersten Prospekt lieferte Daimler den Lastwagen wahlweise mit Motoren von 4, 6, 8 oder 10 PS Leistung, sowie mit Nutzlasten von 1 500 bis 5 000 kg bei einer Geschwindigkeit bis 12 km/h. Mit der Heckmotorkonstruktion geben sich Gottlieb Daimler und sein Mitstreiter Wilhelm Maybach jedoch nicht zufrieden: Bei den nächsten Modellen wurde der Motor unterhalb des Fahrersitzes am Rahmen montiert, der Antrieb erfolgt über eine Kette zur Hinterachse. Ein Zahnradgetriebe übernahm dazu die Kraftübertragung, der Röhrchenkühler von Wilhelm Maybach die Kühlung, eine Niederspannungs-Magnetzündung den Start. In einem nächsten Schritt findet der Motor seinen Platz unter einer Haube vorne über der Vorderachse: der Haubenwagen war geboren.
Von Cannstatt, dem Wirkungsort von Daimler und seinem Konstrukteur Maybach, dauert es damals eine halbe Tagereise nach Mannheim. Dort arbeitete Karl Benz, der sich mit den gleichen Themen wie Daimler befasste. Benz und Daimler haben sich persönlich aber nie kennen gelernt. Aber dass sie ein waches Auge aufeinander hatten, darf wohl als sicher gelten. Waren doch zehn Jahre zuvor Benz‘ dreirädriger Patent-Motorwagen und Daimlers Motorkutsche fast gleichzeitig erschienen. 1895 baute Benz den ersten Omnibus. 1896 arbeiten die beiden Pioniere des Automobils wieder an ähnlichen Ideen. Denn im Jahr des ersten Lastwagens von Daimler präsentiert Benz mit seinem „Combinations-Lieferungswagen“ den ersten leichten Lastwagen, heute würde man ihn als Transporter bezeichnen.
Abgeleitet vom Personen-Motorwagen „Velo“ setzt Benz auf den Rahmen einen Kastenaufbau. Die Nutzlast des vierrädrigen Fahrzeugs beläuft sich einschließlich Fahrer auf 300 kg. Der Einzylindermotor mit 1045 cm³ leistet 2,75 PS. Im Jahr darauf kann der „Lieferungswagen“ dank eines stärkeren Einzylinders mit 2650 cm³ und 5 PS Leistung immerhin schon 300 Kilogramm und zwei Personen befördern.
1900: Daimler und Benz bauen Lastwagen und Transporter
Ende 1897 konterte Daimler, stellt unter dem Begriff „Geschäftswagen“ ebenfalls erste leichte Lkw vor, die man heute in die Kategorie Transporter einstufen würde. Und im Jahr 1900 kommt dann Benz mit einem im damaligen Sinne schweren Lkw, dann aber gleich mit einer ganzen Familie. Das schwerste Modell trug dazu fünf Tonnen Nutzlast. Den Antrieb übernimmt ein Zweizylinder-Boxermotor (genannt „Contra-Motor“) mit 14 PS.
London, Paris, New York – Daimler und Benz arbeiten international
Von Beginn an treten Daimler und Benz jedoch auch international auf. Daimler lieferte den ersten Lkw der Welt wie beschrieben nach London. Zwei Jahre später präsentierte Daimler einen Lastwagen mit fünf Tonnen Nutzlast bei einer Ausstellung in Paris, wohin Benz schon 1896 einen Lieferungswagen versendet hatte. 1900 zeigte Daimler einen Geschäftswagen in New York, es beginnt dort eine Lizenzfertigung, wie schon 1898 in Österreich. 1901 tritt ein Daimler bei einem Wettbewerb in Liverpool überlegen gegen dampfgetriebene Lastwagen an.
Andere Lieferungen gehen unter anderem ins zaristische Russland, wo in St.Petersburg für einige Jahre eine Lizenzfertigung begann. Benz-Lieferungswagen werden 1897 kurzzeitig in Birmingham gebaut, eine Reaktion auf die Daimler Motor Co in Coventry. In Deutschland fertigte Benz allein im Jahr 1902 genau 100 Lieferwagen für England.
Daimler: Lkw-Werk in Berlin
Gottlieb Daimler hatte inzwischen Teilhaber im Unternehmen. Unterschiedliche Auffassungen führen 1898 zur Gründung der Motorfahrzeug- und Motorenfabrik (MMB) durch Daimlers Partner in Berlin. Dort bauen sie ebenfalls nach Daimler-Lizenzen Automobile, vor allem Lastwagen, vielfach von Elektromotoren angetrieben. Daimler stirbt im Jahr 1900. Zwei Jahre später verschmelzen das Cannstatter und das Berliner Unternehmen unter dem seit 1890 bestehenden Namen DMG (Daimler-Motoren-Gesellschaft) zu einer Gesellschaft. Berlin entwickelt sich zum Nutzfahrzeugwerk der DMG, Personenwagen werden in Cannstatt gefertigt, ab 1903 in Stuttgart-
Untertürkheim. Großen Anklang findet 1907 ein neues Fünf-Tonnen-Fahrgestell aus Stahlblech mit genieteten Trägern. Ebenso ein Dreitonner mit 28 PS, gekapseltem Getriebe und automatischer Zentralschmierung.
Benz: erst Kooperation, dann Übernahme von SAF
Auch Benz hatte in sein Unternehmen „Benz & Co. Rheinische Gasmotorenfabrik“ inzwischen Partner aufgenommen. Benz arbeitete erfolgreich, stößt in Mannheim an die Grenzen der Fertigungskapazität. 1907 kommt es zu einer weit reichenden Kooperation mit, sowie einer Mehrheitsbeteiligung an der „Süddeutschen Automobilfabrik“ (SAF), südlich von Mannheim in Gaggenau gelegen. SAF agiert erfolgreich mit Nutzfahrzeugen. Die Motoren zeichnen sich durch aufwendige
Technik aus, wie zum Beispiel eine oben liegende Nockenwelle beim Vierzylinder von 1907. SAF liefert bis nach Südamerika. Die Partner stimmen ihre Produktprogramme untereinander ab: Der „Benz & Cie.“, wie sie inzwischen heißt, fällt der Bau von Personenwagen zu, der SAF die Herstellung von Nutzfahrzeugen. 1908 übernimmt Benz die Mehrheit der Anteile von SAF. Zum 1. Januar 1911 erfolgt die komplette Übernahme und bald darauf die Namensänderung in „Benz-Werke Gaggenau“.
Lastwagen sind inzwischen erwachsen geworden, haben sich vom Prinzip des motorisierten Fuhrwerks entfernt. Die Motoren besitzen nun vier Zylinder und leisten bis zu 40 PS (Daimler) oder gar 50 PS (Benz). Die Nutzlasten steigen auf bis zu sechs Tonnen. Zu Pritsche und Plane sowie Kastenaufbauten gesellen sich Biertransporter und Kühlaufbauten, Kipper, Möbelwagen und zahllose Omnibusaufbauten auf Lastwagen-Fahrgestellen. Stahlgussräder mit Vollgummireifen (auf der Vorderachse zum Teil schon luftbereift), Zwillingsbereifung der schweren Modelle auf der Hinterachse, Achsschenkellenkung statt Drehschemellenkung und ein Dach über dem Fahrer bezeugen eine rasante Entwicklung.
Anschub durch das Militär: der Subventions-Lastwagen
Auch das Militär interessiert sich bereits für die Lastwagen. Bereits 1898 erlässt die Preußische Heeresverwaltung Regeln für den Bau militärischer Kraftwagen, ein Jahr später richten die Verkehrstruppen versuchsweise ein Selbstfahrer-Kommando ein. Ab 1908 unterstützt das Militär direkt die Motorisierung durch den Subventions-Lastwagen: Die Heeresverwaltung fördert Anschaffung und Betrieb von Lastwagen sofern sich die Käufer verpflichten, die Fahrzeuge im Fall einer Mobilmachung der Armee zu überlassen. Mit der finanziellen Hilfe gekoppelt sind Auflagen zu Größe, Technik und Ausstattung der Lastwagen. Zahlreiche Unternehmen nutzen die Unterstützung, so dass dem deutschen Heer zu Beginn des ersten Weltkriegs 1914 rund 5000 Subventions-Lastwagen zur Verfügung stehen. Darunter auch zahlreiche Fünftonner (bezogen auf die Nutzlast) der Benz-Werke Gaggenau mit 28 und 40 PS sowie von der DMG in Berlin mit 22 und 35 PS.
1914 bis 1918: Konzentration auf Lastwagen
Während des Krieges konzentriert sich die Fertigung auf Lastwagen mit zwei bis fünf Tonnen Nutzlast sowie maximal 45 PS (Daimler) und 58 PS (Benz) Leistung, ergänzt durch Zugmaschinen wie die Daimler K.D.I. mit bis zu 100 PS Motorleistung und Vierradantrieb. Lieferwagen und Omnibusse verschwinden jedoch fast völlig aus dem Programm. Bei der Demobilisierung nach Kriegsende 1918 verfügt die deutsche Armee über rund 25 000 Lastwagen, genug für den zivilen Bedarf der nächsten Jahre.
Neue Entwicklungen Anfang der zwanziger Jahre
Doch auch wenn die Industrie in den ersten Nachkriegsjahren in der Flaute segelt, so wird doch hinter den Kulissen geforscht und konstruiert, entwickelt und erprobt. Die Fertigung beschränkt sich zunächst auf die Fortführung und Weiterentwicklung der Lastwagen aus kriegerischen Zeiten, nun wieder ergänzt durch Lieferwagen und Omnibusse. 3 K und 5 K heißen die Lastwagen von Benz, DC 1, DC 2, DC 3 und DC 4-5 ihre Pendants von Daimler. Technisch löst der Kardanantrieb den Antrieb über Kette oder Ritzel ab. Einen echten Technologieschub gibt es dann 1923: Mit dem Dieselmotor, von Benz bereits 1922 in sogenannte Motorpflüge (Traktoren) eingebaut, begann eine neue Ära des Nutzfahrzeugbaus.
Quelle/Bilder: Daimler AG