Der Name Rudolf Uhlenhaut ist ganz klar mit der Stuttgarter Marke Mercedes-Benz verbunden. Schließlich war der geniale Ingenieur nicht nur verantwortlich für die Entwicklung des legendären Flügeltürers, er gilt auch als Vater des SL und der Silberpfeile. Die Erfolgsserien Rennwagen der 1930er und 1950er Jahre sind eng mit dem Namen des Deutsch-Engländers verbunden.
In London geboren
Das Tor zur angelsächsischen Welt des Motorsports öffnen (Dr. Ing. e.h.) Rudolf Uhlenhaut seine Herkunft und sein perfektes Englisch: Er wird am 15. Juli 1906 als Sohn einer Engländerin und eines Deutschen in London geboren, wo der Vater die Filiale der Deutschen Bank leitet und Rudolf bis zu seinem achten Lebensjahr lebt und die High School besucht. Von dort zieht die Familie zunächst nach Brüssel, später nach Bremen. Als junger Mann geht Uhlenhaut seiner Liebe zum Skifahren wegen nach München, um dort Maschinenbau zu studieren. 1931 kommt er als junger Ingenieur zu Daimler-Benz nach Stuttgart und beginnt seine Karriere unter Fritz Nallinger in der Versuchsabteilung.
1936: Rückkehr der legendären Silberpfeile
1936 wird Rudolf Uhlenhaut in die Rennwagenabteilung berufen, übernimmt deren Leitung – und bringt die Entwicklung dort entscheidend voran. Seine Mission ist es, die Boliden mit dem Stern wieder zurück in die Erfolgsspur zu bringen. Tausende Kilometer sitzt der Diplomingenieur selbst am Steuer, um ein Gespür für die Mängel der Rennwagen zu entwickeln. Dabei kommt ihm zugute, dass er neben den erwähnten Fahrkünsten die Fähigkeit zur treffenden technischen Fehleranalyse besitzt und sofort zielführende Abhilfemaßnahmen entwickelt. Eine in dieser Zusammensetzung einzigartige Verdichtung von Begabungen.
So wirkt Uhlenhaut maßgeblich daran mit, den Silberpfeil W 25 wieder konkurrenzfähig zu machen. Dessen Nachfolger, der W 125, schließlich wird nach ausgiebiger Überarbeitung das überlegene Fahrzeug der Grand-Prix-Saison 1937 und Fahrer Rudolf Caracciola Europameister. Mission erfüllt – zunächst.
Um die Schwächen des damaligen W 25 Modells herauszufinden, verbrachte Uhlenhaut selbst viele Tage fahrend auf der Rennstrecke. Infolgedessen nahm Uhlenhaut viele Änderungen vor, u.a. am Fahrwerk, dem Rahmen und der Führung der Vorderräder. In Zusammenarbeit mit Max Wagner entstand der W 125.
Auch wenn Uhlenhaut selbst an Rennen nicht teilnehmen durfte, kannte sich der Ingenieur mit seinen Fahrzeugen bestens aus. Lange bevor Designer zu Stars der Szene avancierten, waren es wohl Konstrukteure wie Uhlenhaut, die den Nimbus einer Marke auf der Rennstrecke sowie auf der Straße entscheidend prägten. Selbst bei staubigen Rallyes hat er es sich nicht nehmen lassen, für seine Fahrer eigenhändig am Auto zu schrauben.
1949: Leiter der Abteilung Pkw-Versuche
Der Nachfolger des Silberpfeils W 125, der mit einem 12-Zylinder-Motor ausgestattete W 154, dominiert die Rennsaisons 1938 und 1939. Dann bricht der Krieg aus und beendet das Motorsport-Engagement des Automobilherstellers jäh. Es dauert bis Anfang der 1950er Jahre, ehe Mercedes-Benz wieder einen konkurrenzfähigen Grand-Prix-Rennwagen baut.
Rudolf Uhlenhaut, im Jahr 1949 zum Leiter der Abteilung Pkw-Versuche ernannt, bekommt seine zweite Chance: Am 15. Juni 1951 fasst der damalige Vorstand den Entschluss, wieder auf die Rennpisten zurückzukehren – jedoch erst 1954, da die Formel 1 eine Reglement-Änderung zu dieser Saison erwartet. Viel Zeit zum Tüfteln also für Uhlenhaut und seine Mannschaft.
Der 300 SL wird geboren
Der Entwicklungsingenieur, der sich nach Kriegsende rasch wieder mit Sportfahrzeugen befasst hat, wird von Colonel Michael McEvoy von den Royal Electrical and Mechanical Engineers, einer Abteilung der britischen Armee, engagiert. Er soll für den Offizier, den er noch aus der Vorkriegszeit kennt, einen kleinen Rennwagen bauen.
Uhlenhaut plant mit einem Rahmen aus geschlossenen Rohrdreiecken, deren einzelne Segmente nur auf Druck oder Zug beansprucht werden. Diese Konstruktion ist neuartig und garantiert Leichtigkeit bei gleichzeitiger Stabilität sowie ein hohes Maß an Biege- und Drehfestigkeit. Uhlenhaut übernimmt die Idee des Gitterrohrrahmens für einen neuen Rennsportwagen auf Basis der repräsentativen Limousine Mercedes-Benz 300 (W 186, „Adenauer-Mercedes“): Der legendäre 300 SL (W 194) ist geboren, zunächst als reiner Rennsportwagen.
Ein Sieg nach dem anderen
Der Erfolg gibt Rudolf Uhlenhaut recht: Fünf Rennen – vier überlegene Siege! „Die Rennen des Jahres 1952 haben gezeigt, dass der Typ 300 SL mit Saugmotor in der Endgeschwindigkeit auch den stärksten Gegnern zum Mindesten gewachsen, wenn nicht sogar überlegen war“, bilanziert er nicht ohne Stolz.
In Untertürkheim denkt trotz zahlreicher Triumphe jedoch noch niemand an einen Einsatz des neuen Wagens im Straßenverkehr. Erst auf Drängen des amerikanischen Generalimporteurs Maximilian Hoffman schließlich kann der Vorstand überzeugt werden: Bei der International Motor Sports Show in New York im Februar 1954 begeistert der Seriensportwagen 300 SL (W 198) die Fachwelt. Der Rest ist bekannte Automobilgeschichte – die mit der Wahl des 300 SL zum „Sportwagen des Jahrhunderts“ 1999 noch lange nicht zu Ende geschrieben ist.
Fahrkünste von Rudolf Uhlenhaut
Rudolf Uhlenhauts Fahrkünste belegt eine Anekdote aus dem Jahr 1955: Nach Probefahrten am Nürburgring meint der große Juan Manuel Fangio, das Fahrzeug sei noch nicht optimal vorbereitet. Uhlenhaut erhebt sich – nach einem opulenten Mittagessen in Anzug und Krawatte –, setzt sich in den Wagen und umrundet den Ring. Drei Sekunden schneller als der Weltmeister. Zurück bei Fangio empfiehlt Uhlenhaut, dieser solle doch noch ein wenig üben. Dies meint er keineswegs herablassend, vielmehr zeichnen den Mann eine bescheidene und geduldige Art sowie ein feiner Humor aus.
Uhlenhauts menschliche und fachliche Qualitäten lassen ihn zum Glücksfall für Mercedes-Benz werden. Ein Glücksfall, der 1936 zur rechten Zeit am rechten Ort ist, um in unglaublich kurzer Zeit die Katastrophengeschichte der vergangenen Rennsaison für Mercedes-Benz in eine Erfolgsstory umzukehren.
Entwicklungschef für Personenwagen
Als Mercedes-Benz 1955 schließlich aus dem Grand-Prix-Rennsport aussteigt, kümmert sich Rudolf Uhlenhaut als Entwicklungschef für Personenwagen ausschließlich um Serienautos und ist an den Fahrwerksabstimmungen sämtlicher SL-Typen bis hin zur Baureihe 107, die ihre Premiere 1971 erlebt, beteiligt. Außerdem ist er mitverantwortlich für alle damaligen Baureihen bis hin zur S-Klasse von 1972. Auf einen weiteren Kultwagen nimmt er ebenfalls großen Einfluss: den 230 SL, die wegen ihrer Dachform sogenannte Pagode. Nicht minder legendär ist sein nach ihm benannter Dienstwagen: ein Rennsportwagen-Prototyp auf Basis des 300 SLR, der als „Uhlenhaut-Coupé“ Bekanntheit erlangt. Im Alter benötigte Uhlenhaut ein Hörgerät, was er selbst auf das ständige Fahren mit seinen Boliden zurückführte.
Nachhaltige Prägung der Marke – „Für den Uhlenhaut gab man einfach alles!“
In Erinnerung bleiben neben Uhlenhauts genialem Wirken, das bis heute die Marke Mercedes-Benz nachhaltig prägt, die menschlichen Qualitäten dieser Ausnahmebegabung: Er verkehrt mit Mitarbeitern, ob in der Werkstatt oder im Büro, stets auf Augenhöhe. Seine Gelassenheit, Souveränität und unbestreitbare Kompetenz verschaffen ihm bei Vorgesetzten stets einen Status der Gleichwertigkeit.
Als er am 8. Mai 1989 mit fast 83 Jahren stirbt, trauert man nicht nur in der Fachwelt, auch bei vielen seiner Mitarbeiter hinterlässt der ehemalige Direktor eine große Lücke. Besser als Dr. Hans Liebold, unter Uhlenhaut Projektleiter beim C 111-Projekt, kann man es nicht formulieren: „Für den Uhlenhaut gab man einfach immer alles. Einfach deshalb, weil man ihn nicht enttäuschen wollte. Der konnte und wusste ungeheuer viel, aber er behandelte einen nie von oben herunter, sondern immer fair als Partner.“
Bilder: Daimler AG