Im Mai 1898 stellte die Daimler-Motoren Gesellschaft ihr erstes Omnibus Programm vor, welches in vier verschiedene Modellen Platz für sechs bis 16 Passagiere bot. Der Autobau-Pionier war damals weltweit der erste Anbieter einer ganzen Baureihe motorgetriebener Omnibusse.
Vorläufer gibt es viele: Pferde-Omnibusse sind in Städten und Industriegebieten bereits seit längerer Zeit im Einsatz. Schon seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts experimentieren die Engländer mit dampfgetriebenen Bussen, während Siemens 1882 in Berlin einen elektrisch getriebenen Oberleitungsbus vorstellt. Eisenbahn, Straßenbahn und Taxi gehen dem Omnibus als Transportmittel des Personenverkehrs voraus. Carl Benz stellt gar schon 1895 einen motorgetriebenen Bus her, der im selben Jahr auf der 15 Kilometer langen Strecke von Siegen nach Deuz den Linienbetrieb aufnimmt. Um 6.00 Uhr morgens beginnt der Achtsitzer in Netphen den Betrieb, fährt dann im Laufe des Tages vier mal zwischen Deuz und Siegen hin und her, um schließlich um 20.55 Uhr abends wieder an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. 70 Pfennige kostet eine Fahrt über die gesamte Strecke. Allerdings ist die Abstammung von der Kutsche noch deutlich zu erkennen: Es handelt sich um einen achtsitzigen Landauer mit einem liegend im Heck eingebauten Einzylindermotor.
Durchbruch für den motorisierten Omnibus
Vieles spricht dafür, den eigentlichen Anfang des motorisierten Omnibusses in das Jahr 1898 zu verlegen. Benz liefert in diesem Jahr drei Zwölfsitzer nach Llandudno in Wales, wo sie den ganzen Sommer über im Ausflugsverkehr tätig sind. Beim Design steht in diesem Falle die Pferdebus-Bauart namens Kremser Pate: Es handelt sich um offene Fahrzeuge mit Verdeck, angetrieben von einer 15 PS (11 kW) starken Zweizylindermaschine. „ Da sie die harte Beanspruchung durch die Waliser Straßen und Berge ausgehalten haben, bestehen keine Befürchtungen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, den bevorstehenden Liniendienst in Birmingham ohne Störungen durchzuführen“, schreibt damals die „Birmingham Daily Mail“ in Hinsicht auf eine geplante Stadtbuslinie.
Im selben Jahr tritt auch der erste Daimler-Linienbus seinen Dienst an. Bereits im Februar wird nach einer Probefahrt mit einem Viktoria-Personenwagen, an der auch Gottlieb Daimler teilnimmt, die „Motorwagen-Betrieb Künzelsau-Mergentheim GmbH“ gegründet. Es wird aber September, bis schließlich ein umgebauter Viktoria-Wagen mit 10-PS-Motor (7,4 kW) den Betrieb aufnimmt. Als Fahrgastraum dient ein Postkutschenaufbau, der zehn Personen Platz bietet.
Die Überlandlinie hat mit verschiedenen Problemen zu kämpfen. Zum einen haben die Apotheken, die in Ermangelung eines Tankstellennetzes den Treibstoff liefern müssen, davon nicht immer ausreichende Mengen zur Verfügung. Zum anderen bleiben die dünnen, hohen Räder bei Regenwetter manchmal im Morast stecken und können dann nur mit Hilfe von Ackergäulen wieder befreit werden. Schließlich gestaltet sich die Straßenlage des drei Meter hohen Wagens wenig vorteilhaft: Der Schwerpunkt des Hochdeckers liegt weit oben und verlangt Fingerspitzengefühl vom Fahrer.
Ein erster Doppeldecker für London
Doch stellt die Daimler-Motoren-Gesellschaft (DMG) zuvor schon unter Beweis, dass es auch gefälliger geht. Denn bereits im April 1898 liefert das Unternehmen im Auftrag der Motor Car Company einen wesentlich eleganteren Doppeldecker nach England. Die Räder sind kleiner und breiter. Vorn thront der Fahrer unmittelbar über dem 12 PS-Aggregat (8,8 kW). Zwölf Fahrgäste finden im Inneren der geschlossenen Kabine Platz, weitere acht auf der offenen oberen Plattform. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 12 mph (18 km/h).
Ein Zeitungsbericht beschreibt die Jungfernfahrt am 23. April vom Hafenstädtchen Gravesend in die Londoner City: „Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind in Long Acre und entlang des Piccadilly blieb stehen und starrte auf das Fahrzeug, als es vorbeidonnerte und seinen Weg stetig und entschlossen verfolgte.“ Und weiter: „Man muss die Wirkung eines Dreitonnen-Fahrzeugs, das sich seinen Weg durch den starken Westend-Verkehr mit dieser Geschwindigkeit bahnt, erlebt haben, um sich eine Vorstellung machen zu können, aber diese Vorstellung ist so intensiv wie die Begleitumstände eindrucksvoll sind.“ Wahrscheinlich ist es der Erfolg dieses frühen Doppeldeckers, der Daimler veranlasst, bereits im Mai ein komplettes Omnibusprogramm anzubieten.
Maximal mögliche Teilegleichheit mit dem Lkw
„Der Daimler-Motor-Omnibus kommt in verschiedenen Größen zur Ausführung, und werden dieselben je nach den vorhandenen örtlichen Verhältnissen mit Motoren verschiedener Stärke ausgerüstet. Für ebene Wege genügen die schwächeren Motoren, wogegen bei Strecken, auf welchen Steigungen vorkommen, die Wagen mit den stärkeren Motoren ausgerüstet sein müssen.“ Mit diesen Worten beschreibt die Daimler-Motoren-Gesellschaft 1898 ihr neuartiges Gefährt und lobt besonders den Motor: „Die Triebkraft liefert der neue Daimler-Motor ‚Phoenix’, dessen für Fahrzeugantrieb besonders berechnete, zweckmäßige Konstruktion in jeder Hinsicht unerreicht ist.“ Gottlieb Daimlers Geniestreich besteht darin, für den gemeinsam mit Wilhelm Maybach entwickelten Benzinmotor ständig neue Anwendungen zu finden. Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Die Fahrgestelle, die vier Motoren von 4 bis 10 PS (2,9 bis 7,4 kW), die Glührohrzündung, das drei- bis viergängige Zahnradgetriebe und der Ritzelantrieb entsprechen genauestens der damaligen zweiten Generation der Daimler-Lkw.
Das kleinste Omnibus-Modell ist für sechs Passagiere und 200 Kilogramm Gepäck ausgelegt, der größte Bus nimmt 14 bis 16 Fahrgäste und 450 Kilo Gepäck auf. Zwischen vier und 16 km/h bewegt sich die Reisegeschwindigkeit, bei ausreichender Motorisierung bewältigt der Bus Steigungen bis zwölf Prozent. Das Leergewicht beträgt in der leichtesten Variante 1,1 Tonnen, das schwerste Fahrzeug bringt 2,5 Tonnen auf die Waage. Der Nettopreis für den Sechssitzer beläuft sich auf 6800 Mark, die größeren Modelle kosten jeweils 8000, 9200 und 10 500 Mark. Nicht eingerechnet ist dabei eine ebenso einfache wie effektive Beheizung für Fahrersitz und Fahrgastraum, die das Kühlwasser des Motors unter dem Fußboden zirkulieren lässt. Sie schlägt je nach Modell mit 180 bis 260 Mark zu Buche. Ebenfalls nur gegen einen Aufpreis von 500 bis 600 Mark sind Gummireifen zu haben, „doch empfehlen sich solche nur bei den kleineren Wagen“. Bei den beiden schwereren Modellen mit mehr als zwei Tonnen Leergewicht rät Daimler zu gewöhnlichen, eisenbeschlagenen Holzrädern.
„Die Motorfahrzeuge können binnen 3 Minuten in Betrieb gesetzt werden“, verkündet der Prospekt weiter. Zu den Angaben, die damals noch eine Notiz wert sind, gehört das spezifische Gewicht des Benzins sowie ein Verbrauch von 0,36 bis 0,45 Kilogramm pro Stunde und PS bei Volllast, was bei der angegebenen Höchstgeschwindigkeit von 16 km/h rein rechnerisch einen Verbrauch von etwa zwanzig bis dreißig Liter auf 100 Kilometer ergibt. Da damals solche Vergleichswerte noch den wenigsten geläufig gewesen sein dürften, wird den Kunden freilich die Angabe der Treibstoffkosten von zehn Pfennig pro PS und Kilometer wichtiger gewesen sein.
In jeder Hinsicht ist die DMG bemüht, die Betriebssicherheit hervorzuheben: Der für zehn Stunden Fahrtzeit dimensionierte Tank befinde sich „in geschützter Lage unter dem Wagen“, heißt es, und die Wasserkühlung sei auch im Winter „ in absolut sicherer Weise“ funktionstüchtig. Der Hersteller betont, dass der Schaltvorgang sich „in ganz sichernder Weise vollzieht“ und die Fußbremse das Fahrzeug „schnell und sicher zum Stillstand“ bringe. Bei solchen Beteuerungen allein lässt es das Unternehmen indes nicht bewenden und gewährt auf alle Teile eine dreimonatige Garantie.
Spektakuläre Aufträge: Zwei weitere Doppeldecker für London
Über die Stückzahlen dieser ersten Omnibusserie ist ebenso wenig bekannt wie über die Mehrzahl der frühen Kunden. Überliefert sind nur spektakuläre Aufträge, die oft genug über das Serienprogramm hinausgehen, aber auch die Problematik des anfänglichen Linienverkehrs beleuchten. So ist das Interesse in London nach den guten Erfahrungen mit dem ersten Doppeldecker nicht erlahmt. Wie die Zeitschrift „Autocar“ am 30. September 1899 vermeldet, sollen zwei Omnibusse „ihren Betrieb am nächsten Montag aufnehmen und zwischen Kensington und dem Victoria-Bahnhof verkehren […], und zwar über die Westminster Bridge und dann die Victoria Street hinunter. Die Strecke wurde in kluger Weise ausgewählt, da die Straßen überwiegend Holzpflasterung besitzen und die steilsten Steigungen die Auffahrten auf die Westminster Bridge von beiden Seiten aus sind.“ Es handelt sich wiederum um Doppeldeckerbusse, die nun sogar 26 Fahrgästen Platz bieten. Ob die Befürchtungen hinsichtlich des Steigungsvermögens berechtigt sind, erscheint fraglich – immerhin sind die beiden Busse bereits mit den neuen Vierzylindermotoren ausgestattet, die Daimler seit Juni 1899 alternativ zu den Zweizylindern anbietet. Der stärkere der beiden Vierzylinder mit einer Nennleistung von 12 bis 16 PS (8,8 bis 12 kW) kostet allerdings gegenüber dem 10 bis 12 PS (7,4 bis 8,8 kW) starken, größten Zweizylinder einen Aufpreis von stattlichen 3100 Mark.
Ein Bus für Stockholm – fünf Postbusse für Speyer
Was es hingegen mit der Bevorzugung holzbeplankter Straßen auf sich hat, illustriert ein Auftrag aus Stockholm. Auf die DMG-Omnibusse werden die Schweden aufmerksam, als König Gustaf 1899 einen Pkw aus Bad Cannstatt erwirbt. Als der eisenbereifte, voll besetzt vier bis fünf Tonnen schwere Bus dann allerdings über das Katzenkopfpflaster der Stockholmer Drottninggatan holpert, wackeln in den Häusern die Wände. Auf Beschwerden von Anwohnern und Hausbesitzern kommt der Betrieb zum Erliegen.
Am 1. Februar 1899 gründet sich in Speyer ein Verkehrsbetrieb in der Absicht, mehrere Buslinien einzurichten, die neben dem öffentlichen Personennahverkehr auch die Postbeförderung übernehmen sollen. Erst am 10. Dezember beginnt dann allerdings der Linienverkehr auf vier Strecken, die zwischen sieben und 14 Kilometer lang sind. Die fünf Fahrzeuge, die Daimler zu diesem Zwecke nach Speyer liefert, übertreffen in Maßen, Gewicht und Fassungsvermögen die gängigen Serienmodelle. Sie sind 5,60 Meter lang, 2,80 Meter hoch und 1,80 Meter breit und bringen leer ganze vier Tonnen auf die Waage. 14 Fahrgäste finden sitzend im Inneren der Karosse Platz, bis zu zehn weitere stehend innen und auf der Heckplattform. Als Antrieb dient gleichwohl nur ein 10 PS-Zweizylindermotor (7,4 kW).
Die fünf Busse sind mit Eisenreifen ausgestattet. Erst 1904 wird ein Fahrzeug mit Vollgummireifen bestückt, die allerdings sehr oft gewechselt werden müssen. Denn Vollgummireifen leiden unter hohem Verschleiß. Die Luftbereifung ist zwar bereits erfunden, taugt aber bei weitem noch nicht fürs Nutzfahrzeug. Dem Kunden bleibt nur die Wahl zwischen dem hohen Verschleiß der Gummireifen und den wenig kommoden, wenn auch dauerhaften Eisenbeschlägen.
Pragmatische Gestaltung
Gummireifen trägt auch ein Doppeldecker, der auf dem Titelblatt der vierten Auflage der Omnibus-Prospekts von 1900 abgebildet ist und der wohl den zwei Londoner Fahrzeugen des Vorjahrs entsprechen dürfte. Die zweite und dritte Auflage des Prospekts (von Februar und Juni 1899) zeigt dagegen das Foto eines Haubenfahrzeugs, während die erste Auflage noch eine schematische Zeichnung auf dem Titel trägt. Da selbst Fotos von den Fahrzeugen der ersten Omnibusserie kaum erhalten sind, vermitteln die drei Illustrationen die beste Vorstellung von Funktion und Aussehen dieser frühen Daimler-Busse.
Auffällig ist zunächst die je nach Modelljahr unterschiedliche Anordnung des Fahrersitzes und der Lenkung im Verhältnis zum Motor. Auf der Zeichnung von anno 1898 befindet sich der Fahrersitz unmittelbar über dem gestrichelt angedeuteten Antriebsaggregat, während die Füße knapp oberhalb der Vorderräder zu stehen kommen. Bei dem Doppeldecker von 1900 entspricht das Fußbodenniveau dagegen der Oberkante der Motorhaube, und der Sitz ist entsprechend höher angeordnet. Im Gegensatz zu diesen beiden „Frontlenkern“ ist das Fahrzeug auf den beiden Prospekten von 1899 wiederum in Haubenbauweise ausgeführt. Während die Fahrer der beiden anderen Fahrzeuge den Unbilden des Wetters schutzlos ausgeliefert sind, ist ihm hier nun immerhin, wie auch den Fahrgästen auf der Heckplattform, ein Dach über dem Kopf zugestanden.
Die auf dem Bus von 1899 plakativ vermerkte Fahrstrecke verrät außerdem, dass die Daimler-Motoren-Gesellschaft beileibe nicht nur aus London, Stockholm und Speyer Aufträge erhält. Der abgebildete Bus muss, da der Prospekt ja im Februar erschienen ist, spätestens zu Beginn des Jahres 1899 in München auf der Strecke von der Augusten- über die Theresienstraße nach Milbertshofen den Linienbetrieb aufgenommen haben.
Quelle: Daimler AG