Das Auto der Zukunft fährt elektrisch! Was so einfach klingt ist aber in der Praxis nicht so einfach umzusetzen. Bis es das „perfekte“ Auto mit Elektroantrieb und großen Reichweiten gibt werden noch einige Jahre vergehen. Die Entwicklung vom Batterie-system ist die vielleicht entscheidendste Baugruppe für kommende Fahrzeuge. Neben einer möglichst hohen Energiedichte sind Aspekte wie Sicherheit, Gewicht und Nachhaltigkeit maßgeblich.
Das Batteriesystem ist ein Schlüsselelement der Elektromobilität. Bei Daimler befassen sich tagtäglich Experten verschiedener Disziplinen von der Grundlagenforschung bis zur Produktionsreife mit allen Aspekten dieser Speichertechnologie. Prof. Dr. Dr. Andreas Hintennach leitet bei Daimler die Batteriezellforschung. Neben Grundlagen der aktuellen Lithium-Ionen-Zellen erklärt in den folgenden Zeilen, welche Zukunftstechnologien tatsächlich eine Chance haben.
Die Anforderungen eine Batterie sind komplex, und weichen je nach Anwendung voneinander ab. Denn 48-Volt-Mild-Hybride, Plug-in-Hybride oder rein elektrische Antriebsstränge erfordern unterschiedliche Schwerpunkte bei der Entwicklung.
Um bei diesem heiß diskutierten Thema den Überblick zu bewahren, gibt Andreas Hintennach Einblicke in technische Grundlagen sowie Entwicklungs- und Forschungsziele bei Daimler.
Professor Hintennach, Sie arbeiten an der Erforschung und Entwicklung von Batterien – momentan das „zentrale“ Thema im Bereich Elektromobilität. Wie geht Mercedes-Benz dieses Thema an?
Die Batterietechnologie ist eine Schlüsselkomponente der Elektromobilität und kein Standardprodukt, sondern ein integraler Bestandteil der Fahrzeugarchitektur. Darum decken wir alle Phasen von der Grundlagenforschung bis hin zur Produktionsreife ab. Zu unseren Aktivitäten gehören die kontinuierliche Optimierung der aktuellen Generation von Li‑Ionen-Akkusystemen, die Weiterentwicklung von auf dem Weltmarkt gekauften Zellen und die Forschung an Batteriesystemen der nächsten Generation. Aber natürlich geht es bei Batterien für Elektrofahrzeuge noch um mehr. Wir arbeiten auch am Batterie-Management-System, bei dem es sich um einen komplexen Rechner handelt, den man immer verbessern kann. Wärmemanagement ist ebenfalls ein wichtiges Thema. Es ist von entscheidender Bedeutung für die Lebensdauer und Leistung des Batteriepacks. Man muss den Mechanismus der Technologien wirklich gut verstehen, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.
Wo liegt momentan Ihr Schwerpunkt?
Während unser brandneues EQC Modell in die Märkte eingeführt wird, ebnen wir bereits den Weg für die nächsten Generationen leistungsstarker Elektrofahrzeuge. Lithium-Ionen-Batterien sind heute die am häufigsten verwendeten Batterietypen in der Elektronik und in Elektrofahrzeugen. In den kommenden Jahren wird diese Technologie weiterhin das Tempo vorgeben, aber es ist noch mehr zu erwarten. Was die Bereiche Forschung und Entwicklung angeht, befolgen wir mehrere spezifische Leitprinzipien. Wir arbeiten fortlaufend an Innovationen und Alternativen, die über die Möglichkeiten von Li-Ionen-Batterien hinausgehen – nicht zuletzt hinsichtlich der Energiedichte und der Ladezeiten, aber auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit. Beispielsweise haben wir im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung entlang der gesamten Wertschöpfungskette eine Nachhaltigkeitspartnerschaft mit Farasis Energy (Ganzhou) Co., Ltd. vereinbart. Bereits für die nächste Fahrzeuggeneration unserer Produkt- und Technologiemarke EQ soll ein Teil der Batteriezellen zu 100 Prozent mit Strom aus erneuerbaren Energien produziert werden. Unsere Kompetenzen zur technologischen Evaluierung von Werkstoffen und Zellen sowie die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten werden konsequent ausgeweitet.
Es geht also um mehr als die Erhöhung der kWh pro Batteriesatz?
Die Energiekapazität ist selbstverständlich wichtig. Aber das ist noch nicht alles: Sicherheit ist ein sehr entscheidender Faktor für uns. Materialbedingte Änderungen könnten es ermöglichen, eine höhere Kapazität zu erzielen – allerdings zu Lasten der Sicherheit. Für uns steht dies definitiv außer Frage. Ein Mercedes-Benz muss Maßstab in Sachen Sicherheit sein, und das gilt auch für seinen Batteriesatz. Eines unserer Leitprinzipien bei der Entwicklung ist auch Flexibilität: Bei Daimler gibt es zahlreiche Anwendungsfälle für Batteriepacks, vom smart über Mercedes-Benz Pkw und Transporter bis hin zu Bussen und schweren Lkw – und schließlich von 48-Volt-Mild-Hybriden zu Plug-in-Hybriden und reinen Elektrofahrzeugen. Und natürlich müssen die Lösungen, die wir erarbeiten, nachhaltig sein.
Wie wichtig ist Nachhaltigkeit in der Entwicklung?
Nachhaltigkeit ist bei Daimler zum Leitgrundsatz bei allen Entwicklungsaktivitäten geworden. Da die Herstellung von Fahrzeugen einen hohen Materialeinsatz erfordert, liegt einer unserer Entwicklungsschwerpunkte darauf, den Bedarf an natürlichen Ressourcen möglichst gering zu halten, zunächst aber auch die Transparenz zu erhöhen. Während der Entwicklung eines Fahrzeugs erstellen wir für jedes Fahrzeugmodell ein Recyclingkonzept, in dem alle Bauteile und Werkstoffe auf ihre Eignung für eine Kreislaufwirtschaft hin analysiert werden. Bei Batterien wird dieses Konzept bereits in der Grundlagenforschung verwendet, wo wertvolle Werkstoffe ersetzt, minimiert oder effizienter genutzt werden können. Darüber hinaus wird die Recyclingfähigkeit von Anfang an berücksichtigt. Dadurch wird die Batterieherstellung Teil eines ganzheitlichen Ansatzes – ein geschlossener Kreis, eine sogenannte Kreislaufwirtschaft.
Wie sieht es mit der Ökobilanz von Elektrofahrzeugen aus? Der Elektroantrieb schneidet bei der Herstellung im Vergleich zum Verbrenner nachweislich schlechter ab.
Die Herstellung des Verbrennungsmotors wurde in den vergangenen 133 Jahren stetig optimiert. Die Batterie und übrigens auch die Brennstoffzelle starten demgegenüber aufgrund des höheren Energiebedarfs aktuell mit höheren Emissionen ins Leben. Im Fahrbetrieb sind beide aber deutlich effizienter. Und das zahlt sich am Ende aus. Selbst wenn wir sie nicht mit CO₂-neutralem Strom betanken, verursachen Batteriefahrzeuge über den gesamten Lebenszyklus hinweg rund 40 Prozent weniger Emissionen als ein Benziner, und immerhin noch 30 Prozent weniger gegenüber dem Diesel. Nicht berücksichtigt sind übrigens unsere ambitionierten CO₂-Einsparungsziele in der Produktion bis 2039 und das Recycling von Rohstoffen, die künftig zurück in den Produktionskreislauf fließen werden. Beides wird die ökologische Nachhaltigkeit unserer Fahrzeuge weiter erhöhen und zahlt dadurch auf unsere „Ambition2039“ ein. Aber auch heute schon sind Fahrzeuge zu 95 Prozent verwertbar.
Wie lange wird es dauern, bis ein Markt für Sekundärrohstoffe entstanden ist?
In acht bis zehn Jahren wird es eine nennenswerte Anzahl von Fahrzeugbatterien für das Recycling geben. Dann werden vor allem Kobalt, Nickel, Kupfer und später auch Silizium zurückgeführt. Wir sind darauf schon heute sehr gut vorbereitet, die Prozesse sind da und auch die Möglichkeiten, Sekundärrohstoffe wieder in den Produktionskreislauf zu geben. Das machen wir aktuell unter anderem mit unseren Testbatterien. Der Aufbau eines funktionierenden Sekundärrohstoffmarkts hat für Europa eine wichtige politische Bedeutung, denn es besitzt kaum eigene Primärquellen. Wir tun aber natürlich alles dafür, dass Batterien zunächst so lange halten wie möglich.
Welche Materialien kommen in der Batterie zum Einsatz?
Bei der Lithium-Ionen-Technik ist der Zellaufbau immer ähnlich, egal, ob es sich um ein Handy oder eine EV-Batterie handelt. Man hat immer zwei Metallfolien, zum Beispiel Kupfer und Aluminium. Dazwischen befinden sich mit der Kathode und der Anode die beiden Pole, zwischen denen die elektrische Reaktion stattfindet. Dazu braucht es ein reaktionsfreudiges Metall wie Lithium. Der größte Kostenfaktor entfällt auf die Zusammensetzung der Kathode, also den Positivpol der Batterie. Sie besteht aus einem Gemisch aus Nickel, Mangan und Kobalt. Auf der Anodenseite kommen Graphitpulver, Lithium, Elektrolyten und ein Separator zum Einsatz.
Und an welcher Stelle kommt das zuvor angesprochene leistungsfähige Silizium ins Spiel?
Silizium wird künftig das Graphitpulver weitgehend ersetzen. Dadurch können wir die Energiedichte der Batterie noch einmal um 20 bis 25 Prozent steigern. Silizium ermöglicht es uns, auf der Kathodenseite Materialien einzusetzen, die sich mit dem heute eingesetzten Graphit nicht vertragen würden. Stellen Sie sich zwei Gläser vor: Wenn Sie Wasser aus dem ersten ins zweite schütten wollen, sollte das mindestens genauso groß sein, damit nichts überläuft. Ähnlich müssen Anode und Kathode harmonieren; wir nennen das Balancierung. Silizium wird aber auch eingesetzt, um die Ladegeschwindigkeit weiter zu erhöhen.
Ein wichtiges Stichwort: Kobalt wird, gerade wenn es aus dem Kongo stammt, immer wieder mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden beim Abbau assoziiert. Was tut Daimler dagegen?
Wir haben einen Ansatz entwickelt, der zum Ziel hat, dass Lieferanten unsere Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllen und in diesem Zuge unter anderem mehr Transparenz in der Lieferkette schaffen. Dafür haben wir ein externes Auditunternehmen beauftragt, die Kobalt-Lieferketten über alle Stufen nach OECD-Standards transparent zu machen und zu kontrollieren. Denn letztlich ist Elektromobilität nur dann wirklich nachhaltig, wenn auch die Rohstoffe unter nachhaltigen Bedingungen abgebaut werden.
Eine andere Strategie ist, Kobalt durch andere, weniger kritische Materialien zu ersetzen …
Genau, daran forschen wir. Bei den aktuellen Generationen von Batteriezellen konnten wir den Kobaltanteil im Aktivmaterial (Nickel, Mangan, Kobalt und Lithium) von etwa einem Drittel auf weniger als 20 Prozent reduzieren. Im Labor arbeiten wir aktuell mit weniger als zehn Prozent und perspektivisch wird der Anteil weiter sinken. Es spricht auch chemisch viel dafür, möglichst ganz auf Kobalt zu verzichten. Je reduzierter die Materialmischung, desto leichter und effizienter ist auch das Recycling. Zudem sinkt der Energieaufwand in der chemischen Produktion, weil die Mischung einfacher herzustellen ist.
Was folgt auf Kobalt und andere Materialien wie Lithium?
Das sind Materialien, die sich vor allem an Mangan orientieren, einem ökologisch betrachtet unbedenklichen, leicht aufzubereitenden Rohstoff. Es gibt für Mangan bereits ein exzellentes Recycling, weil es in Form von Alkalibatterien (nicht wieder aufladbare Batterien) schon seit Jahrzehnten genutzt wird. Die Aufgabe der Forschung ist es, diesen Batterietyp aufladbar zu machen. Wir gehen davon aus, dass die Technologie in der zweiten Hälfte der 2020er Jahre marktreif sein wird. Eine weitere Alternative ist die Lithium-Schwefel-Batterie. Schwefel ist ein Abfallprodukt der Industrie, das fast nichts kostet, sehr rein ist und sich gut recyceln lässt. Es birgt große Herausforderungen in der Energiedichte, hat aber auch eine unschlagbare Ökobilanz. Bis diese Technologie für Pkw verfügbar ist, kann es aber noch Jahre dauern.
Auch Lithium steht in der Kritik. Lässt sich auch dieser Rohstoff ersetzen?
Ja. Die Magnesium-Schwefel-Batterie beispielsweise enthält kein Lithium. Magnesium kennen wir in Form von Kalk aus dem Alltag. Der große Vorteil: Es ist beliebig verfügbar. So besteht zum Beispiel die ganze Schwäbische Alb aus Kalk. Im Moment befinden wir uns in der Forschung allerdings noch auf dem Laborniveau.
Aktuell gibt es also keine Alternativen zur Lithium-Ionen-Batterie?
Doch, in bestimmten Anwendungsbereichen schon. Da gibt es sogar Technologien, die der Lithium-Ionen-Batterie überlegen sind. Dazu gehört die sogenannte Feststoffbatterie, die wir ab Mitte 2020 auch schon in unserem Stadtbus Mercedes-Benz eCitaro einsetzen. Die Technologie hat eine sehr hohe Lebensdauer und enthält zudem weder Kobalt noch Nickel oder Mangan. Allerdings ist sie weniger energiedicht, daher relativ groß und zudem nicht schnell aufladbar. Deshalb lässt sie sich zwar für Nutzfahrzeuge gut einsetzen, nicht aber für Pkw. Hier wird uns die Lithium-Ionen-Batterie noch einige Jahre begleiten.
Was wird der nächste „Heilige Gral“ sein? Sind Feststoffbatterien die Zukunft?
Es gibt nicht die eine Post-Lithium-Ionen-Technologie. Ob Zellen mit Festkörper-Elektrolyten, Lithium-Metall-Anoden oder Lithium-Schwefel-Systeme – alle Technologien unterscheiden sich in ihren spezifischen Materialanforderungen, ihren Anwendungen und nicht zuletzt auch in ihrem Reifegrad. Jede Technologie hat ihre Vor- und Nachteile. Die gute Nachricht lautet, dass es zahlreiche Wege gibt, die das Risiko einer möglichen Sackgasse in der Entwicklung verringern. Noch nicht gleich um die Ecke – aber auch nicht in allzu weiter Ferne – sind Batterien, bei denen die Graphitschicht der Anode durch neue Werkstoffe wie etwa Lithium-Metallfolien oder Siliziumpulver ersetzt werden kann. Beides erhöht die Energiedichte ganz erheblich. Das führt zu einer größeren Reichweite und könnte sogar das Schnellladen unterstützen. Alle Feststoffbatterien bieten große Vorteile in punkto Sicherheit, wir arbeiten jedoch noch an der Schnelllade-technologie und an einer längeren Lebensdauer, ehe wir im Hinblick auf unsere Pkw sagen können: „Dies ist die Technologie, die wir jetzt auf die Straße bringen sollten.“
Und was werden die nächsten Schritte sein?
Lithium-Schwefel ist eine mögliche Alternative. Wenn wir das in heutigen Batterien eingesetzte Nickel und Kobalt durch Schwefel ersetzen, könnten wir die Nachhaltigkeit wesentlich erhöhen. Die Energiedichte bietet ebenfalls großes Potenzial, aber die Lebensdauer reicht noch nicht aus, und es wird noch eine Weile dauern, bis in diesem Bereich ein Durchbruch erreicht wird. Lithium-Luft-Batterien enthalten tatsächlich nur Lithium. Der Rest – also der Sauerstoff – kommt einfach aus der Luft. Chemisch gesehen ist es ein ähnliches Konzept, wie wir es in der Brennstoffzelle haben, wo wir Wasserstoff verwenden. Die Energiedichte wäre herausragend – aber diese Technologie liegt noch in weiter Ferne.
Mit Ihrem Forschungsfahrzeug VISION AVTR haben Sie den nächsten Schritt getan, weit über morgen hinaus. Ist die organische Batterietechnologie wirklich eine Option?
Mit dem VISION AVTR demonstriert Mercedes-Benz eine nachhaltige Vision emissionsfreier Mobilität – auch in Sachen Antriebstechnik. Erstmals basiert die revolutionäre Batterietechnologie auf organischer Zellchemie auf Graphenbasis und eliminiert damit seltene, giftige und teure Werkstoffe wie Metalle vollständig. Elektromobilität wird so unabhängig von fossilen Ressourcen. Eine absolute Revolution stellt dabei zudem die aufgrund der Materialität hundertprozentige Recyclingfähigkeit durch Kompostierung dar – ein Paradebeispiel einer zukünftigen Kreislaufwirtschaft im Rohstoffbereich. Neben einer exponentiell hohen Energiedichte besticht die Technologie auch durch ihre außergewöhnliche Schnellladefähigkeit. Organische Batterien sind momentan Teil unserer Grundlagenforschung. Es wird zwar noch mehrere Jahre dauern, bis sie in Mercedes-Benz Fahrzeugen eingeführt werden können – aber das Potenzial ist da!
Bilder: ©Philipp Deppe /MBpassion.de sowie Mercedes-Benz AG