Auto fahren ohne selbst lenken zu müssen, Vision oder vielleicht schon heutige Wirklichkeit? Was aktuell in diesem Bereich der Stand der Dinge ist, könnten wir kürzlich bei einer exklusiven Testfahrt in Spanien mit einer umgerüsteten E-Klasse selbst erleben.
Jeder von uns kennt es und hat es selbst bestimmt schon mehrfach erlebt: Die Rede ist von langen Autobahnetappen, zum Beispiel bei der Urlaubsfahrt in den Süden. Stundenlang geht es auf dem nicht enden wollenden Asphaltband fast nur geradeaus, ohne jegliche Reize. Langeweile und Müdigkeit sind die Folge – und im schlimmsten Fall kommt es durch Konzentrationsmangel sogar zu einem Unfall.
Dieses und noch viele weitere Gründe sind es, das Mercedes-Benz bereits seit Jahrzehnten konsequent daran arbeitet, den Straßenverkehr für alle Teilnehmer sicherer zu machen. Im Rahmen dieser Forschungen konnten die Stuttgarter auf dem Weg zum unfallfreien Fahren bereits eine ganze Menge an innovativen Sicherheits- und Assistenzsystemen, wie beispielsweise das ESP oder den aktiven Totwinkelassistent auf den Markt bringen. Eine neue Stufe der Fahrerassistenzsysteme wird nun unter dem Begriff „Mercedes-Benz Intelligent Drive“ erstmals in der E-Klasse Modellpflege und ab Sommer auch in der neuen S-Klasse gezündet. In beiden Baureihen wird im Bereich des teilautonomen Fahren, der weiterentwickelte Abstandsregel-Tempomat DISTRONIC PLUS mit Lenkassistent die zum Einsatz kommen. Natürlich ist die neue „DISTRONIC PLUS“ in E- und S-Klasse noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Bereits heute sind die Ingenieure fleißig dabei, die nächste und übernächste Generation zu entwickeln.
Wie einer der nächsten Schritte aussieht, konnten wir kürzlich hautnah in Spanien in einer zum Entwicklungsfahrzeug umgebauten E-Klasse erleben. Diese ganz spezielle E-Klasse hat es in sich… ist sich doch mit einem neuartigen Autobahnpilot ausgerüstet der Spurwechsel und Überholvorgänge von ganz allein ohne das Zutun des Fahrers erledigen kann.
Von außen wirkt die E-Klasse Limousine (W212) unscheinbar und wie jede andere E-Klasse vor der Modellpflege in diesem Frühjahr. Erst der geschulte Blick des Kenners lässt ein kleines aber feines Detail erkennen: die Stereokamera oben an der Frontscheibe! Der weitere Blick in den Innenraum zeigt ein Zusatzdisplay neben dem Kombiinstrument und jede Menge extra Schalter in der Mittelkonsole, die zweifelsohne Indiz dafür sind, dass es sich hier um ein Versuchsfahrzeug handelt.
Nach kurzer Einweisung geht es mit der E-Klasse auf die Autobahn in Richtung Barcelona. Wir beschleunigen auf 100 km/h – und stellen wie gewohnt die DISTRONIC via Bedienhebel hinter dem Lenkrad auf 110 km/h ein. Wie bisher, übernimmt DISTRONIC PLUS die Geschwindigkeits- und Abstandsregelung. Unbemerkt mit dem aktivieren der DISTRONIC, haben wir zugleich auch das auf den Namen „Autobahnpilot“ getaufte System in unserem Entwicklungsträger aktiviert.
Neu an dem weiterentwickelten System ist, dass jetzt durch aktives Lenken völlig selbstständig die Spur gehalten und dem autobahntypischen Straßenverlauf gefolgt wird – ohne dabei die Hände am Lenkrad haben zu müssen, wie es in der E-Klasse Modellpflege und der künftigen S-Klasse bei der DISTRONIC PLUS mit Lenkungsassistent noch der Fall ist.
Ein wenig ungewohnt ist es ja schon, die Hände nicht am Lenkrad zu haben und der Elektronik im Versuchsfahrzeug komplett zu vertrauen. Da die E-Klasse aber souverän die Spur hält, wächst das Vertrauen in das System von Meter zu Meter rasch. Wenig später tauchen die ersten langsameren PKWs und LKWs auf -und auch hier beweist der Autobahnpilot sein können: Wie von Geisterhand setzt die E-Klasse den Blinker, wartete den Verkehr auf der linken Fahrspur ab und wechselt dann völlig autonom ohne Eingriff des Fahrers auf die Überholspur. Entspannt überholen wir die Fahrzeuge, -und als wir vorbei sind und wieder freie Fahrt auf der rechten Seite möglich ist, setzt die E-Klasse abermals wie von Geisterhand den Blinker und wechselt zugleich wieder völlig eigenständig zurück auf die freie rechte Fahrspur. Die Spurwechsel erfolgen zügig und direkt, ohne irgendwelche Schlenkerei, viel besser würde man selbst die Sache auch nicht erledigen.
Das Autobahnpilot-System im Entwicklungsfahrzeug arbeitet in einem Geschwindigkeitsbereich zwischen 60 und 130 km/h und nur auf Autobahnen oder Kraftfahrstraßen mit baulicher Trennung der Richtungsfahrbahnen durch eine Mittel-Leitplanke. Technisch betrachtet wird der Autobahnpilot erst durch das intelligente Zusammenspiel der verschiedenen Sensoren im Fahrzeug möglich. Alle für den Autobahnpilot eingesetzten Sensoren werden, wenn auch in anderer Konfiguration, bereits heute in den Mercedes-Fahrzeugen verbaut. Die zu Anfangs schon angesprochene nach vorn gerichtete Stereokamera an der Frontscheibe erkennt dabei die jeweiligen Fahrspuren sowie den vor der E-Klasse fahrenden Verkehr.
Insbesondere das Bild der Stereokamera mit seiner 6D-Technologie ist eines der Herzstücke des Systems, um Fahrspuren und vorausfahrende Fahrzeuge erkennen zu können. Außerdem werden parallel die Information der Stereokamera mit den Daten des Front-Fernradars der DISTRONIC verglichen und kombiniert, um eine umfassende Analyse zu bekommen, was sich vor dem Fahrzeug alles abspielt. Der rückwärtige Bereich hinter der E-Klasse wird mit zwei weiteren Fernradaren überwacht, die von hinten näher kommende Fahrzeuge erkennen können. Den Bereich seitlich von der E-Klasse werden durch die Radare des Totwinkel-Assistenten überwacht.
Die Testfahrt mit dem „Autobahnpilot“ auf der spanischen Autobahn hat gezeigt, dass im Grundsatz das System bereits heute sehr gut funktioniert. Die E-Klasse hielt, bis auf eine Situation wo direktes Sonnenlicht die Stereokamera irritierte und die Fahrspur nicht mehr korrekt erkannt wurde, problemlos Kurs auf der Autobahn.
Ebenso gut funktionierten auch die automatischen Spurwechsel zum Überholen der langsameren PKWs und LKWs. Zielgenau und immer unter Berücksichtigung der Verkehrssituation neben, hinter, sowie vor der E-Klasse, wurde die Fahrspur von rechts nach links und wieder zurück nach rechts gewechselt. Der Autobahnpilot zeigte sich sogar so intelligent, dass er an Hand der Navigationsdaten Autobahnauffahrten erkannt hat und um möglichen Kollisionen mit auffahrenden Fahrzeugen zu entgehen, in diesem Streckenabschnitt nicht von der linken auf die rechte Spur wechselte.
Laut den Entwicklern ist der Autobahnpilot zu 80 Prozent fertig entwickelt. Die jetzt noch offenen 20 Prozent – die Feinheiten – sind allerdings die schwierigsten und werden mehr als dreiviertel der Entwicklungszeit beanspruchen. Einer dieser noch offenen Feinheiten ist das dosiertere Kurshalten in der Fahrspur. Aktuell stellt sich während der autonomen Fahrt noch ein wenig das Gefühl des „zwischen den Fahrbahnmarkierungen schwimmens“ ein. Insgesamt konnte der „Autobahnpilot“ aber auf ganzer Linie überzeugen. Die Testfahrt in Spanien beeindruckte, war aber auf der anderen Seite auf Grund der fast fehlerfreien und reibungslosen Fahrt, irgendwie auch wieder spektakulär unspektakulär.
Man setzt sich in die E-Klasse, aktiviert die DISTRONIC PLUS und damit auch den Autobahnpilot – und fährt einfach und locker – sofern man Vertrauen in die Technik hat – drauf los und es funktioniert! Bleibt zum Schluss noch die Frage, wann ist mit einer Markteinführung des Autobahnpilot-Systems zu rechnen? Noch ungewiss! Sobald das System voll zuverlässig funktioniert, ist es durchaus vorstellbar, es in einer der kommenden Fahrzeuggenerationen auf den Markt zu bringen.
Der Marktstart kann in fünf Jahren der Fall sein, aber unter Umständen auch erst in zwanzig Jahren. Die Grundvoraussetzung für die Markteinführung ist zu aller erst die Änderungen in der Gesetzgebung, welche im Moment ein System wie den Autobahnpilot in Fahrzeugen verbietet.