Das Energetisch gläserne Fahrzeug – die Entwicklung der S-Klasse von Mercedes-Benz

Rund 300 Messpunkte geben beim „Energetisch gläsernen Fahrzeug“ (EGF) exakt Aufschluss darüber, welche Verbesserung eines einzelnen Bauteils zu welchem Verbrauchseffekt führt. Zur Optimierung der Gesamteffizienz der neuen S-Klasse trug das selbst entwickelte Energieanalysefahrzeug maßgeblich bei.

Mercedes-Benz S-Klasse (W 222), 2013

Alte Fenster, durch die der Wind pfeift? Dünnes Mauerwerk oder gar ein ungedämmtes Dach? Energieberater geben Hausbesitzern und Bauherren Tipps, wo unnötig Energie verloren geht und mit welchen Maßnahmen sich Strom und Heizkraft einsparen lassen. Auch Mercedes-Benz hilft ein Energieberater bei der Suche nach der verlorenen Energie: Das „Energetisch gläserne Fahrzeug“ (EGF) macht die Energieflüsse im Fahrzeug bis ins Detail transparent.

Dazu wurde in einer frühen Entwicklungsphase zunächst ein S 400 HYBRID mit über 300 Messstellen im Antriebsstrang und der Bordelektronik ausgerüstet und eine Analysesoftware programmiert. Anschließend absolvierte der Prototyp hunderte Testzyklen. So konnten die Mercedes-Benz Entwickler den Motor, das Getriebe, das Hybridsystem und alle Verbraucher in Echtzeit energetisch betrachten. „Wir haben die Analyse akribisch bis in den letzten Winkel betrieben“, erläutert Christoph Müller, Leiter des Verbrauchs-Teams, den Einsatz des innovativen Entwicklungstools. „Denn nur so ließ sich unser Anspruch umsetzen, bei der Effizienz führend in allen Leistungsklassen zu sein.“

Das Entwicklungstool „Energetisch gläsernes Fahrzeug“ (EGF) ist eine Eigenentwicklung von Mercedes-Benz und kann Optimierungen bis ins kleinste Bauteil detektieren – so trägt das EGF entscheidend zur Verbesserung der Effizienz bei. Durch die exakte und detaillierte Untersuchung der Energieflüsse im gesamten Fahrzeug (Tank-to-Wheel) können die Entwicklungsingenieure alle verbrauchsrelevanten Baugruppen bis hin zu einzelnen Komponenten wie Radlagern optimieren.

„Dass die neue S-Klasse bis zu 20 Prozent weniger verbraucht als ihr Vorgänger, ist schlussendlich das Ergebnis einer Vielzahl von Maßnahmen und der akribischen Arbeit eines Expertenkreises in der Entwicklung“, so Müller. Sein Kollege Roland Lütze blickt zurück: „Die Idee zum EGF entstand 2009 in der ML-Klasse, und 2011 entwickelten wir in der S-Klasse diese Methodik weiter zum weltweit ersten Energetisch gläserner Hybrid (EGH).“ Lütze ist seit fünf Jahren die treibende Kraft, der „Energieberater“ bei Mercedes-Benz Cars und verantwortlich für die Verlustanalyse und die CO2-Optimierung. „Der Bedarf insbesondere für den EGH resultiert aus der Tatsache, dass viele Verbrauchseffekte und Wechselwirkungen von Verbrauchsmaßnahmen in der Vergangenheit gerade beim Hybrid nicht eindeutig verifiziert oder nachgewiesen werden konnten.“ Mit dem EGH werden nun mögliche Optimierungspotenziale exakt erkannt, indem die energetischen Wirkketten aufgeschlüsselt und die Wechselwirkungen gerade auch zwischen Verbrennungsmotor- und E-Motor-Betrieb analysiert werden.

Dabei kommt beim EGH eine ebenso komplexe wie hochgenaue Messtechnik zum Einsatz, die rund 300 energierelevante Messpunkte mit einer Abtastrate von bis zu 1.000 Messwerten pro Sekunde erfasst. Pro Minute fallen so rund 2,4 Millionen Messwerte an, deren Auswertung potenzielle Optimierungen zuverlässig anzeigt. Ergänzt wird das Verfahren durch energetische Simulationsmodelle, welche über die Messgrößen validiert werden. Somit kann die Energieeffizienz einzelner Aggregate und Komponenten sowie des gesamten Fahrzeugs analysiert und quantifiziert werden.

Haben die Spezialisten eine energetisch unbefriedigende Fahrzeugkomponente lokalisiert, werden in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachbereichen Lösungen erarbeitet. Dabei stehen einerseits Konstruktion oder Materialbeschaffenheit einzelner Fahrzeugkomponenten wie beispielsweise Rad- oder Achslager im Fokus. Andererseits können auch geänderte Regelstrategien zum gewünschten Erfolg führen.

Beim S 400 HYBRID konnte mit Hilfe des EGH beispielsweise die optimale Steuerung der Bremsenergie ermittelt werden: „Die Fragestellung war, wie wir die Bremsleistung am besten aufteilen zwischen der konventionellen hydraulischen Radbremse und der beim Hybrid zusätzlich möglichen elektrischen Bremsleistung des E-Motors im Generatorbetrieb. Dank EGH fanden wir die passende Antwort für eine Vielzahl von Fahrzuständen“, so Lütze. Christoph Müller ergänzt: „Besonders wichtig war uns, die ganze Bandbreite abzudecken, wie Kunden weltweit unterwegs sind – vom schwedischen Winter bis zur amerikanischen Highway-Fahrt bei 35°C. Unser Fokus war dabei immer zu verstehen, welches Fahrzeugbauteil wann welchen Verbrauch verursacht. Also nicht nur der Blick auf den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ)!“

Quelle: Daimler AG