Rückblick: Die Mercedes-Benz Landaulets der Nachkriegszeit

In den 1950er Jahren ist der funktionelle Wandel des Landaulets von der vielfältig einzusetzenden Karosserie für den Automobilverkehr in Stadt und Land hin zum fast reinen Repräsentationsfahrzeug weitgehend abgeschlossen. Das spiegelt sich in der äußerst seltenen Erscheinung dieser Aufbauform: In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts baut Mercedes-Benz lediglich 59 Landaulets vom Typ Mercedes-Benz 600 (W 100). Dazu kommt eine Reihe exklusiver Landaulets als Werksaufbauten. Berühmt werden vor allem die als Repräsentationswagen des Papstes realisierten Mercedes-Benz Landaulets.

Am Anfang dieser Tradition steht 1960 ein Mercedes-Benz Typ 300 d Landaulet. Bereits 1930 hat Mercedes-Benz dem Vatikan ein repräsentatives Fahrzeug für den Papst geschenkt. Im Gegensatz zu diesem „Rom-Wagen“, einer Pullman-Limousine des Mercedes-Benz Typ Nürburg 460, hat der neue Wagen ein klappbares Verdeck im Fond. Papst Johannes XXIII. selbst wünscht sich die Landaulet-Karosserie für das neue Automobil aus Stuttgart. Basis der Einzelanfertigung (insgesamt werden von Hand nur zwei Landaulets des W 189 gebaut) ist ein Fahrgestell mit um 45 Zentimeter auf nun 3,6 Meter verlängertem Radstand. Gegenüber der Serie fällt der Wagen außerdem um zehn Zentimeter höher aus.

Der Antrieb, ein Reihensechszylindermotor mit drei Liter Hubraum (160 PS/118 kW), entspricht der Serie. Bei Bedarf schafft der Papstwagen damit 160 km/h Höchstgeschwindigkeit, meist wird er aber in gemessenem Tempo während offizieller Anlässe eingesetzt. Dann können die Seitenscheiben im Fond bei geöffnetem Verdeck komplett herausgenommen und im Kofferraum in eigens eingebauten Halterungen verwahrt werden. Die Trennscheibe zwischen Fond und Vordersitzen sowie die vorderen Fenster haben dagegen elektrische Antriebe und lassen sich auf Knopfdruck versenken.

Die Verschlüsse des Verdeckmechanismus sind vom Fahrersitz aus zu erreichen, das Verdeck selbst lässt sich binnen weniger Sekunden öffnen und schließen. Beim Öffnen der hinteren Türen fahren automatisch Trittbretter aus dem Wagenboden, um dem Papst das Ein- und Aussteigen zu erleichtern. Der Thronsessel des Pontifex Maximus ist mittig im Fond in Fahrtrichtung angeordnet, ihm gegenüber gibt es an der Trennwand zu den Vordersitzen zwei Klappsitze für Begleiter. Der Papstsessel, der sich elektrisch verstellen lässt, ist mit Bedienelementen für Klimaanlage, Sprechfunk und weitere Funktionen umgeben. Während der feierlichen Übergabe des Wagens 1960 zeigt sich der Heilige Vater begeistert von der Ausrüstung des Fahrzeugs.

Landaulet als Kleinserie: Mercedes-Benz 600

Das Landaulet des Typ 300 d sorgt für Aufsehen. Doch Mercedes-Benz prägt die Geschichte dieser Karosserieform in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert vor allem durch die werksseitigen Landaulet-Versionen des Typs 600 (W 100). „ Eine Art Paradekarosse alten Stils, ein Prunkstück ohne gleichen“, so schreibt Heribert Hofer 2001 in seinem Buch „ Mercedes-Benz 600“ über das Landaulet der Baureihe. Und tatsächlich: Staatsoberhäupter wie Königin Elisabeth II., Papst Paul VI. und seine Nachfolger sowie Regierungschefs aus aller Welt lassen sich in Fahrzeugen dieses Typs chauffieren. Auch die deutsche Bundesregierung greift für offizielle Anlässe immer wieder auf ein Landaulet des Mercedes-Benz 600 zurück. Das Fahrzeug befindet sich allerdings nicht im Besitz des Staates, sondern wird im werkseigenen Stuttgarter Fuhrpark für solche Einsätze vorgehalten.

Die Serienfertigung des Typ 600, der in der Tradition der „Großen Mercedes“ steht, beginnt im September 1964. Das Pullman-Landaulet zählt neben verschiedenen Limousinen zu den serienmäßigen Varianten der Pullman-Karosserie mit langem Radstand des W 100. Vier verschiedene Landaulet-Ausführungen bietet Mercedes-Benz auf dieser exklusiven Basis seinen Kunden: Die Standard-Version hat vier Türen, Fondsitze in Vis-à-vis-Anordnung und ein Verdeck, das bis zur Vorderkante der Fondtüren reicht. Als Sonderausführung ist eine sechstürige Version mit Sitzbank im Fond und zusätzlichen Klappsitzen in Fahrtrichtung verfügbar. Bei dieser Variante können, wie bei der sechstürigen Pullman-Limousine, die mittleren Türen auch ohne Türgriffe ausgeführt werden. Beide Landaulets, die viertürige und die sechstürige Variante, werden auf Sonderwunsch auch mit einem langen Verdeck ausgerüstet, das bis zur Mittelwand reicht.

Während all diese Versionen auf dem Fahrgestell des W 100 mit langem Radstand basieren, entsteht als Einzelstück außerdem 1967 ein Landaulet des W 100 mit kurzem Radstand. Auftraggeber des Wagens ist Graf von Berckheim. Bei der Konfiguration seines Mercedes-Benz 600 verbindet der Ex-Rennfahrer das wendige Fahrverhalten des kurzen Fahrgestells mit den klassischen Tugenden des Landaulets. Die aufwändige Einzelanfertigung eines Landaulets mit kurzem Radstand zeigt, dass der Begriff Serienfertigung für die 59 Pullman-Landaulets relativ zu sehen ist. Denn die Vielfalt der Varianten bei Innenausstattung und Sondereinbauten ist wahrscheinlich zu groß, als dass zwei Landaulets des Typs 600 mit genau gleicher Ausstattung zu finden sein dürften. Gemeinsam ist den Landaulets der exklusive Preis: In der offiziellen Preisliste ist diese Karosserieform erst gar nicht angegeben. Der Mercedes-Benz 600 mit hinterem Klappverdeck gilt seinerzeit jedoch als teuerster Serien-Personenwagen der Welt.

Mercedes-Benz 600 Landaulet für den Vatikan

Ein Pullman-Landaulet der Baureihe W 100 ist 1965 Basis für einen neuen Repräsentationswagen, den Mercedes-Benz dem Vatikan schenkt. Die Sonderanfertigung entsteht in Zusammenarbeit von Versuchsabteilung und Produktion in Sindelfingen. Hermann Josef Abs, Aufsichtsratsvorsitzender der Daimler-Benz AG, Generaldirektor Walter Hitzinger, die Vorstandsmitglieder Fritz Nallinger und Arnold Wychodil sowie Karl Wilfert und drei Mitarbeiter des Daimler-Benz Werkes in Sindelfingen übergeben das viertürige Landaulet mit langem Verdeck in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo an Papst Paul VI.
Gegenüber der Serie hat sich die Ausstattung des Landaulets in mehreren Details verändert. So sind die Fondtüren um 25,6 Zentimeter verbreitert und schließen nun direkt an die Mittelwand an. Zugleich erhalten die hinteren Türen neue Bedienelemente, die der Papst aus seinem mittig im Fond angeordneten Einzelsitz leicht erreichen kann. Das Dach des Pullman-Landaulets wird in Sindelfingen um sieben Zentimeter erhöht, um für eine ausreichende Kopffreiheit zu sorgen. Diese Modifikation ist nötig, weil der Boden des W 100 im Fond eben ausgeführt wird. Dazu verschwindet der Kardantunnel unter einer planen Fläche. Zur Sonderausstattung des Fahrzeugs gehören unter anderem eine Klimaanlage, die Gegensprecheinrichtung für den Kontakt zum Fahrer sowie der in mehrere Richtungen verschiebbare Einzelsessel im Fond.

Das hohe technische Niveau des W 100 begeisterte den Heiligen Vater. „Der Name Mercedes ist zu einem Begriff geworden in der ganzen Welt für deutschen Fleiß und deutsche Tüchtigkeit. Darum wissen Wir Ihre heutige Gabe um so mehr zu schätzen“, lobt Paul VI. 1965 die Automobiltechnik aus Stuttgart. Heute wird das Mercedes-Benz 600 Pullman-Landaulet mit dem legendären Nummernschild SCV 1 (für „Stato della Città del Vaticano“) im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart gezeigt.

Landaulets der Baureihen W 109 und V 140 als Werksaufbauten

Nach 1965 bauen die Spezialisten von Mercedes-Benz noch zwei weitere Landaulets für den Vatikan. Beide werden von regulären Limousinen abgeleitet. Bereits 1966 entsteht ein Landaulet der Baureihe W 109. Aus einer Limousine Mercedes-Benz 300 SEL mit normalem Radstand (2,85 Meter) wird ein Papstwagen mit Einzelsitz geschaffen. Der Sitz kann bei Bedarf nach rechts verschoben werden, um einem Beifahrer auf dem Klappsitz an der Zwischenwand Raum zu schaffen. Der Wagen bleibt lange Zeit im Einsatz, er wird parallel zum Landaulet der Baureihe W 100 genutzt. Zwar erhält der 300 SEL keine ganz so luxuriöse Ausstattung wie der Mercedes-Benz 600, beispielsweise kommt das kurze Landaulet ohne Klimaanlage aus. Dafür wird das Fahrzeug aber 1981 nachträglich gepanzert.

1997 folgt ein Landaulet auf Basis des Mercedes-Benz S 500 mit langem Radstand (V 140). Wie schon bei den Vorgängern treffen in dem aufwändig konstruierten Einzelstück würdige Tradition und moderne Technik zusammen. Der Wagen besitzt zahlreiche Sonderausstattungen. Sein elektrohydraulisch betriebenes Verdeck bietet in geschlossenem Zustand fünf Zentimeter mehr Dachhöhe als die Limousine und damit mehr Platz für den Heiligen Vater in seinem Einzelsitz. Johannes Paul II. nimmt den Wagen 1997 persönlich entgegen, lässt sich die technischen Details erklären und lobt den Entwurf.

Erbe einer großen Tradition

Der Typ 600 ist das einzige serienmäßig als Landaulet angebotene Mercedes-Benz Modell der vergangenen 60 Jahre gewesen. Doch die Marke hat sich mit Sonderaufbauten wie jenen für den Papst immer wieder um diese Karosserieform verdient gemacht: Das Bewusstsein für die außerordentliche Kultur des Fahrens, die das Landaulet verkörpert, ist in Stuttgart stark und wach. Und dieses Wissen ist auch die fruchtbare historische Basis, auf der 2007 das Maybach Landaulet aufbaut.

Quelle/Bilder: Daimler AG