Der Mercedes-Benz 540 K Stromlinienwagen: seiner Zeit voraus

Mercedes-Benz konstruierte – aufgrund den in den 1920er- und 1930er-Jahre zunehmender Reisegeschwindigkeiten – auch Stromlinienfahrzeuge. Der 1938 fertiggestellte 540 K Stromlinienwagen markierte dazu den einstweiligen Höhepunkt und stellte das Spitzenmodell von Mercedes-Benz in den 1930er Jahren da.

Die Stilisten von Mercedes-Benz – der Begriff des Designers im heutigen Sinn existiert noch nicht – entwerfen in den Jahren 1937 und 1938 eine ganze Serie von strömungsgünstigen Karosserien für den 540 K und spiegeln in ihnen das Thema Aerodynamik unterschiedlich stark. Der 1938 fertiggestellte Stromlinienwagen ist nicht nur eine stilistische Meisterleistung, er zeigt auch die konsequenteste Umsetzung der aus den Windkanalversuchen gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse.

Um noch höhere Dauergeschwindigkeiten als die sonst für einen 540 K genannten 140 bis 145 km/h zu erreichen, sind zahlreiche Detailmaßnahmen erforderlich. Mit die wichtigste betrifft die Aerodynamik: Ein 540 K in Serienausführung, karossiert als Coupé, kommt auf einen cW-Wert von 0,57 –zu viel für höhere Dauergeschwindigkeiten. Um diese zu erreichen, ist eine strömungsgünstigere Karosserie mit einem erheblich besseren cW-Wert erforderlich. Der 540 K Stromlinienwagen erfüllt das Kriterium, wie Windkanalmessungen von Mercedes-Benz Classic im Mai 2014 belegen: Er erreicht den vorzüglichen Wert von cW = 0,36. Daraus resultieren eine mögliche Dauergeschwindigkeit von 165 bis 170 km/h und mit Kompressorunterstützung eine Spitzengeschwindigkeit von 185 km/h.

Mit diesen Vorgaben entsteht die Karosserie des 540 K Stromlinienwagens von 1938. Konsequent ist sie nach Vorgaben der Aerodynamik gestaltet: Von vorn bis hinten so modelliert, dass die Luft perfekt strömt und dem Wind den geringstmöglichen Widerstand entgegensetzt. Die Windschutzscheiben sind seitlich gebogen. Die Dachlinie ist niedrig angesetzt, läuft nach hinten in der Mitte spitz aus und geht dort in die horizontale, weich abgerundete Heckpartie über. Die Scheinwerfer sind integriert. Überall, wo die Strömung abreißen könnte, haben die Gestalter die Details optimiert: Beispielsweise über versenkte Türgriffe, fehlende Stoßfänger oder geringe Spaltmaße. Der Unterboden ist vollständig abgedeckt, damit die Luftströmung auch dort geringstmöglich beeinträchtigt wird.

Mit der Vorgabe hoher Dauergeschwindigkeiten erhält sie zudem eine angepasste Übersetzung der Antriebsachse, die von i = 3,08 auf i = 2,90 verlängert ist. Die übrigen technischen Details entsprechen der Serienausführung des 540 K.

Wie ernst die Fahrzeugmacher ihre Aufgabe nahmen, zeigt der Mercedes-Stern: Er ragt nicht auf, sondern ist auflackiert – wie bei den Silberpfeilen, den berühmten Grand-Prix-Rennwagen. Und wie diese erhält der Stromlinien-540 K eine silberne Lackierung. Da wirkt es aus heutiger Sicht wie eine Ironie der Geschichte, dass sich unterhalb der Karosserie nach wie vor der hoch bauende, klassische Mercedes-Benz Spitzkühler befindet und so auch maßgeblich die Auslegung der Frontpartie beeinflusst. Sicherlich spielen dabei auch praktische Aspekte des Wärmehaushalts eine Rolle, doch ein so markenprägendes Gestaltungselement wie der klassische Mercedes-Kühler steht auch unter besonderem Schutz – kein Wunder also, dass dieses Thema seinerzeit sogar bis in die Vorstandsebene diskutiert wird. Dies charakterisiert, wie sehr der Automobilbau zur damaligen Zeit im Umbruch ist und genau zwischen Tradition und Moderne steht.

Insgesamt ergibt sich für den 540 K Stromlinienwagen das Erscheinungsbild eines mächtigen sportlichen Fahrzeugs, dem man das Potenzial für hohe Dauergeschwindigkeiten sofort abnimmt: Sicher hat dieses außergewöhnliche Unikat bei seinem Erscheinen beträchtliches Aufsehen erregt.
Verdienste um das Fahrzeug kommen auch Max Sailer zu. Er ist ab 1935 stellvertretendes Vorstandsmitglied von Daimler-Benz und zuständig für die gesamte Fahrzeugentwicklung der Marke Mercedes-Benz einschließlich der erfolgreichen Renn- und Rekordwagen. Somit ist ihm die Bedeutung der Aerodynamik im Fahrzeugbau sehr bewusst, und er ist eine treibende Kraft entsprechender Projekte auch im Serienwagenbau.

Der außergewöhnliche 540 K wird in der ersten Jahreshälfte 1938 im Sonderwagenbau gebaut. Im Juni liefert ihn die Daimler-Benz Niederlassung Frankfurt am Main dann an die Deutsche Dunlop Gummi Comp. AG in Hanau aus. Das Unternehmen setzt das Hochleistungsfahrzeug gezielt für Reifenversuche ein. Denn die immer höheren Geschwindigkeitsregionen, in denen Automobile unterwegs sind, erfordern neue Pneukonstruktionen und -materialien, um den starken Kräften standzuhalten. Diese müssen in der Praxis erprobt werden. Das betrifft insbesondere starke, schwere und schnelle Automobile.

Der 540 K Stromlinienwagen erhält damit seinen idealen Einsatzzweck. Denn wie kaum ein zweites Fahrzeug der damaligen Zeit eignet er sich aufgrund der aerodynamisch gestalteten Karosserie und des leistungsstarken Antriebs perfekt, um – beispielsweise auf den noch recht leeren Autobahnen – rasch mithilfe des Kompressors auf ein hohes Tempo von bis zu 185 km/h zu kommen. Über einen längeren Zeitraum hält er problemlos 165 bis 170 km/h. Die hohe Konzentration und Anspannung der Versuchsfahrer kann nur erahnt werden: Da sie bei den gefahrenen Geschwindigkeiten jederzeit mit dem Funktionsausfall der Bereifung zu rechnen hatten, waren sie in besonderem Maße auf ein zuverlässiges und berechenbares Fahrzeug angewiesen, das über einen längeren Zeitraum auch im Grenzbereich die Konditionssicherheit der Insassen gewährleistet. Für diese Aufgabe ist der 540 K Stromlinienwagen bestens geeignet.

Daten der Historie

Dunlop bestellt laut Kommissionsbuch am 23. Dezember 1937 bei der Daimler-Benz Niederlassung in Frankfurt am Main einen 540 K, damals einer der schnellsten Personenwagen überhaupt. Mit Datum vom 8. Februar 1938 wird im Sonderwagenbau unter der Leitung von Hermann Ahrens eine Linienrisszeichnung erstellt, die genaue Fertigungsvorgabe für eine zuvor am Modell im Windkanal erprobte Karosserie. In der gleichen Zeit entsteht übrigens auf dem Zeichenbrett ein Entwurf mit einer nahezu identischen Linienführung, allerdings als Cabriolet B.

Für das von Dunlop georderte Fahrzeug befindet sich in den Werksunterlagen mit Datum vom 10. März 1938 der Vermerk „Schl. Si.“: Vier Wochen nach Erstellung der Linienrisszeichnung erfolgt der Versand des Fahrgestells per Sattelschlepper von Untertürkheim in den Sonderwagenbau im Werk Sindelfingen, der es mit der dort aufgebauten Karosserie versieht. Damals erfolgt die Endmontage der meisten Mercedes-Benz Personenwagen im Werk Untertürkheim, und die Karosserien werden üblicherweise von Sindelfingen dorthin gebracht. Beim 540 K geht es den umgekehrten Weg.

Weitere Quellen liefern die nächsten Daten: Am 20. Mai 1938 stellt Daimler-Benz den Kraftfahrzeugbrief aus. Drei Wochen später, am 14. Juni 1938, wird das Fahrzeug in Hanau, dem Sitz der Dunlop-Werke, zugelassen und erhält das Kennzeichen IT-146901. Zehn Tage später erfolgt am 24. Juni 1938 der Eintrag in der „Sammelstelle für Nachrichten über Kraftfahrzeuge“ in Berlin. Das findet alles noch vor der Auslieferung des Stromlinien-540 K an die Daimler-Benz Niederlassung in Frankfurt statt; diese dokumentiert das Kommissionsbuch schließlich für den 25. Juni 1938.

Reifenerprobung bei Dunlop

Bei Dunlop wird das Fahrzeug in den Fuhrpark aufgenommen und von Garagenmeister Karl Hammes betreut. Hammes ist verantwortlich für die Versuchswagen, Dienstwagen der Führungskräfte, Lastwagen sowie den Pferdestall. Nach dem damals aufwendigen und zeitraubenden Einfahrvorgang führt Dunlop das außergewöhnliche und elegante Fahrzeug umgehend seinem vorgesehenen Einsatzzweck zu: der Reifenerprobung im Hochgeschwindigkeitsbereich. Dafür eignet es sich wie kaum ein zweites. Denn aufgrund der Stromlinienkarosserie und des leistungsstarken Antriebs ist es in der Lage, mithilfe der Kompressorunterstützung auf eine Spitzengeschwindigkeit von rund 185 km/h zu beschleunigen. Im Saugmotorbetrieb hält es eine Dauergeschwindigkeit von 165 bis 170 km/h auch über lange Strecken.
In einer Dunlop-Jubiläumsbroschüre aus dem Jahr 1938 heißt es: „Eine Prüfung besonderer Art sind unsere Versuche mit einem schnellen Stromlinien-Kompressor-Wagen auf der Reichsautobahn, um das Verhalten der Bereifung bei schneller Dauerfahrt zu studieren. Hier wird mit Fahrerwechsel gefahren, und zwar mit einer Geschwindigkeit von etwa 170 km pro Stunde. Fahrpausen gibt es nur für Tanken und den erwähnten Fahrerwechsel.“

Um diese damals außergewöhnliche Dauerbelastung im oberen Lastbereich für den Motor erträglich zu halten, sind auf der Oberseite der Motorhaube im Unterdruckbereich zahlreiche Schlitze angebracht, die eine Durchströmung des Motorraums und das Abführen der Kühlluft bei möglichst geringem Luftwiderstand ermöglichen. Die damals neuen Autobahnen bieten ideale Erprobungsbedingungen. Der besondere 540 K ist häufig auf Langstrecken unterwegs, wie sich Gerd Hammes erinnert, der Sohn des Dunlop-Garagenmeisters, etwa nach Berlin oder Hamburg und zurück, auch nachts. Dies wird in der damaligen Zeit und bei einem noch nicht vollständig ausgebauten Autobahnnetz als außergewöhnliche Fahrleistung empfunden. So können intensive Erprobungsprogramme für Hochgeschwindigkeitsreifen leistungsstarker Fahrzeuge vollzogen werden. Als naheliegende Strecke bietet sich die bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs fertiggestellte Autobahnstrecke zwischen Karlsruhe und Göttingen an, die heutigen Autobahnen A 5 und A 7.

Dass der Wagen während seiner Einsatzzeit bei Dunlop nicht geschont wird, zeigen Abnutzungsspuren an den originalen Teilen, die gut 75 Jahre später für den Wiederaufbau zur Verfügung stehen, beispielsweise dort, wo die Lenkung am Fahrgestell montiert ist.

Nach Kriegsausbruch am 1. September 1939 wird im Gebiet des Deutschen Reichs die nicht behördliche Nutzung von Kraftfahrzeugen drastisch eingeschränkt. Darunter leidet auch die Fahrzeug- und Zubehörindustrie. Um einen notwendigen Fahrbetrieb, etwa für die Entwicklung, trotzdem fortsetzen zu können, wird der 540 K auf Flüssiggasbetrieb umgestellt, wie aus der Genehmigung des Polizeidirektors Hanau vom 21. Dezember 1939 als Eintrag im Fahrzeugbrief hervorgeht. Ein weiterer Eintrag im Fahrzeugbrief – vorgenommen von der Technischen Überprüfung des Bezirks 5 in Frankfurt am 10. April 1940 – belegt, dass durch den Umbau auf Flüssiggasbetrieb das Eigengewicht von 2.500 Kilogramm auf 2.580 Kilogramm gestiegen ist. Die zulässige Nutzlast reduziert sich um diese zusätzlichen 80 Kilogramm auf 320 Kilogramm.

Der 540 K übersteht die Jahre 1939 bis 1945 unbeschadet. Nach Kriegsende nutzt ein Soldat der US Army das in den Garagen der Dunlopwerke untergestellte Auto, vermutlich setzt er es auch im Raum Stuttgart ein. Auch lässt er es mit einer den Armeefahrzeugen angepassten Lackierung versehen. Farbreste am originalen Chassis belegen dies. Der damalige Leiter der Dunlop-Niederlassung in Stuttgart, Herr Scheller, wird von einem Mitarbeiter auf das Erscheinen des Wagens aufmerksam gemacht. Vermutlich wird der Wagen an die deutschen Dunlop-Werke zurückgegeben, denn am 21. April 1948 wird er in Hanau bei der dort zuständigen Polizeidienststelle abgemeldet, wie der Vermerk im Fahrzeugbrief besagt: „Das Fahrzeug ist auf Grund des § 3 des Kraftfahrzeugmißbrauchsgesetzes vom 21. November 1947 als stillliegendes Fahrzeug gemeldet.“

Später kommt der Stromlinienwagen wieder in den Besitz von Daimler-Benz. Wann und warum – das lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Dort wird dann die Stromlinienkarosserie vom Chassis entfernt, ebenfalls ohne dass sich heute die Gründe dafür ermitteln und belegen lassen. Der Vermerk im Fahrzeugbrief „Fahrgestell/Programm“ könnte ein Hinweis darauf sein, dass man aufgrund der damaligen Devisenknappheit eventuell vorgehabt hat, das Fahrgestell mit einer anderen Karosserie zu versehen. Solche Umbauten sind für andere Typen dokumentiert, die als Einzelstücke mit moderner gestalteten Karosserien ins Ausland verkauft worden sind. Nicht jedoch der 540 K Stromlinienwagen: Das Fahrgestell inklusive einiger Anbauteile und Hinterachse geht in den Bestand des Museums über und erhält dort Mitte der 1950er-Jahre eine Museums-Listen-Nummer (intern „MuLi-Nummer“ genannt).

Der 540 K Stromlinienwagen und die Fernfahrt „Berlin–Rom“

Die Entwicklung des 540 K Stromlinienwagens geht 1937 ursprünglich von der Absicht aus, ein komfortables Hochleistungsfahrzeug für sehr hohe Dauergeschwindigkeiten bei der für den Spätsommer 1938 geplanten Fernfahrt Berlin–Rom einzusetzen. Im Laufe der Entwicklung kristallisiert sich heraus, dass bis zum geplanten Einsatztermin nicht für alle technischen Herausforderungen Lösungen erarbeitet werden können, die den hohen Ansprüchen der Mercedes-Benz Ingenieure genügen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei beispielsweise die Reifenhaltbarkeit bei den angestrebten und fahrzeugseitig möglichen hohen Dauergeschwindigkeiten.

Die Mercedes-Benz Entwickler ziehen daraus zwei Konsequenzen: Erstens sehen sie für die Fernfahrt Berlin–Rom eine andere bereits fertig entwickelte und erprobte Variante des 540 K vor. Der nunmehr geplante Einsatz eines Sport-Roadsters mit kurzem Radstand kommt allerdings nicht zum Tragen, da die Fernfahrt vom Veranstalter für 1938 abgesagt, auf 1939 verschoben wird und schließlich aufgrund der politischen Lage ausfällt. Zweitens stellen sie den Stromlinienwagen Mitte 1938 den Dunlop-Reifenwerken in Hanau zur Verfügung, die das Fahrzeug für Hochgeschwindigkeits-Reifenversuche einsetzt – also zur Erforschung genau der Sachverhalte, die letztlich zu der Entscheidung geführt hatten, das Fahrzeug nicht bei der Fernfahrt einzusetzen.
Dieser 540 K mit Stromlinienkarosserie stellt einen Meilenstein im Hinblick auf Formgestaltung und Effizienz sowie die Fahrsicherheit bei hohen Geschwindigkeiten dar. Er überzeugt damals wie heute durch äußerste Professionalität des Sindelfinger Sonderwagenbaus bei der Konstruktion und Detailausführung der Karosserie aus Aluminiumblech. Die bis ins Detail durchdachte Konzeption und rundum perfekte Ausführung des Einzelstücks lassen vermuten, dass das Fahrzeug weder als reines Wettbewerbsfahrzeug noch als reines Versuchsfahrzeug gesehen werden kann. Es sollte sicherlich auch als Anschauungsbeispiel für das leistungsstarke Luxus-Automobil der Zukunft dienen.

Quelle: Daimler AG