Vor 40 Jahren holte ein Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 auf der Kreisbahn von Nardó bei 40 Grad Außentemperatur den Rekord über 50.000 Kilometer. Eines jener Fahrzeuge von damals „hängt“ im Museum in Stuttgart: in der Steilkurve an Position 4 des Raum Mythos 7: „Rennen und Rekorde“.
Topmodell der Baureihe 201
Der Mercedes-Benz 190 E 2.3-16 ist vor 40 Jahren das neue Topmodell der Baureihe W 201. Ein Novum ist sein Vierventilmotor: Je Verbrennungsraum weist das Vierzylinderaggregat zwei Einlass- und zwei Auslassventile auf. Es entwickelt aus einem Hubraum von 2.299 Kubikzentimetern eine Leistung von 136 kW (185 PS). Die Serienausführung dieses sportlichen „Baby-Benz“ beschleunigte in 7,5 Sekunden von null auf 100 km/h und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 235 km/h. Damit ist der Sechzehnventiler ein Star des Jahres 1983.
Mit insgesamt drei Fahrzeugen stellt Mercedes-Benz vom 13. bis 21. August 1983 auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke im süditalienischen Nardò gleich mehrere Weltrekorde auf. Der schnellste 190 E 2.3-16 legt in 201 Stunden, 39 Minuten und 43 Sekunden eine Distanz von 50.000 Kilometern zurück. Die Durchschnittsgeschwindigkeit beträgt dabei 247,9 km/h. Neben dieser Leistung setzt das Trio zwei weitere Weltrekorde über 25.000 Kilometer sowie neun Klassenrekorde.
260 km/h Höchstgeschwindigkeit
Technik und Optik der rund 260 km/h schnellen Rekordfahrzeuge entsprechen dabei weitgehend der Serienversion. Das gilt insbesondere für die Vierzylindermotoren M 102: Es sind Serienaggregate mit zwei oben liegenden Nockenwellen und 16 Ventilen sowie der Serienleistung von 136 kW (185 PS). Nur Einspritzanlage und Zündung sind den besonderen Betriebsbedingungen angepasst, dem Fahren bei konstant hoher Last und einer Drehzahl von rund 6.000/min. Dazu kommen eine „schärfere“ Nockenwelle, ein kleinerer Kühler und der Wegfall des Lüfters, weil bei den hohen Fahrgeschwindigkeiten der normale Fahrtwind für die Durchströmung des Kühlers ausreicht. Die Kühlermaske ist mit einem schnell austauschbaren Insektengitter abgedeckt, um ein Verstopfen der Luftkanäle zu vermeiden. Damit bei den niedrigeren Nachttemperaturen die Betriebstemperatur des Motors nicht absinkt, ist zudem eine Kühlerjalousie montiert, mit der vom Fahrersitz aus der Kühler bis zu zwei Drittel abgedeckt werden kann. Das reduziert auch den Luftwiderstand weiter. Andere Maßnahmen zur Optimierung der Aerodynamik betreffen die geschlossenen Felgen, Tieferlegung um 30 Millimeter sowie Motorraum- und Unterbodenverkleidungen.
Außerdem sind die Fahrzeuge etwas leichter. So haben sie beispielsweise keinen Rückwärtsgang, weil dieser nicht erforderlich ist. Die Lenkung arbeitet mechanisch. Denn auf der überhöhten Kreisbahn wird nahezu seitenkraftfrei gefahren, also praktisch immer „geradeaus“, sodass die für die Serienausführung vorgesehene Servounterstützung nicht notwendig ist.
Ersatzteile statt Rückbank
Anstelle der Rückbank führen die Rekordfahrzeuge reglementbedingt ein Sortiment der wichtigsten Ersatz- und Verschleißteile mit, zum Beispiel Luftfilter, Ölfilter, Zündkerzen, Zündkabel und Lichtmaschine. Nur mit diesen Teilen ist eine Reparatur erlaubt.in Verteilerfinger fehlt im Teilevorrat an Bord, schließlich hält diese Komponente üblicherweise sehr zuverlässig. Beim im Museum ausgestellten Fahrzeug des „grünen“ Teams bricht aber ausgerechnet dieses Bauteil während der Rekordfahrt. Das ist ein Schreckmoment für das Team, das von Gerhard Lepler geleitet wird. Doch mit großem Improvisationsvermögen schaffen es die Techniker und Ingenieure, die Zündung wieder in Gang zu bringen. Auch der Schaden am Unterboden durch die Kollision mit einem Fuchs kann den „grünen“ 190 E 2.3-16 nicht aufhalten. So kommen alle drei Fahrzeuge schließlich erfolgreich ins Ziel. Die Reihenfolge lautet „rot“, „weiß“ und „grün“.
Bereits vorab mehrfache Besuche in Nardó
Für Fahrerteam und Boxenmannschaft des Mercedes-Benz Versuchsbereichs ist der Rundkurs an der Stiefelspitze Italiens damals schon kein unbekanntes Terrain. Sämtliche neuen Modelle müssen auf dem Weg zur Serienreife ähnlich harte und ausgiebige Testfahrten durchstehen, die auch dort ausgeführt werden. In den Jahren 1976, 1978 und 1979 stellt man außerdem in Nardò mit den verschiedenen C 111-Diesel- und Benzin-Versionen zehn Distanz- und zwei Zeit-Weltrekorde auf. Die Bedingungen in Nardò sind 1983 sehr fordernd für Autos und Fahrer. Die Rekordfahrten auf der 12,6 Kilometer langen, kreisrunden Erprobungsbahn finden bei Temperaturen von tagsüber 40 Grad Celsius außen und mehr als 50 Grad Celsius im Fahrzeuginnenraum statt. Rund um die Uhr geht die Fahrt, immer im Kreis herum.
Langstreckendistanz mit wenig Pausen
Auf der Langstreckendistanz kommen die Fahrzeuge immer wieder zum Fahrerwechsel an die Box. Bei dieser Gelegenheit wird auch getankt, und die Scheiben werden geputzt. Alle 17.000 Kilometer erfolgt ein leicht längerer Aufenthalt. Innerhalb von ebenfalls rekordverdächtigen fünf Minuten erhalten die Fahrzeuge mit heißem Motor einen umfassenden Service: Wechsel aller Reifen sowie von Motoröl, Ölfilter und Zündkerzen. Außerdem wird das Ventilspiel eingestellt.
Untersuchungsobjekt: Neben der reinen Materialerprobung nutzt die Forschungsgruppe Berlin der damaligen Daimler-Benz AG diesen Langstreckentest zu verkehrspsychologischen Untersuchungen. So können zum ersten Mal Werte über Fahrerbeanspruchung unter genau definierten Bedingungen und damit aussagefähige Ergebnisse ermittelt werden.
Quelle: Mercedes-Benz Group AG