Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Teststrecke Friedrichsruhe

Ein Auto ist ein sehr komplexes Produkt. Bevor es auf den Markt kommt, wird es intensiv erprobt. Dabei prüfen die Ingenieure sämtliche Eigenschaften und alle Technikkomponenten des Fahrzeugs, gehen mitunter bis an die Belastungsgrenzen der Teile, um das Verhalten des Fahrzeugs in Extremsituationen zu erfahren. Die Ergebnisse dienen dem Feststellen des Erreichten – Basis, um das Auto zur Serienreife zu entwickeln.
Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Fahrwerkserprobung und -abstimmung
Ein Auto muss vor allem beim Fahren seine unterschiedlichen Qualitäten beweisen. Die Fahrwerkserprobung und -abstimmung ist deshalb Kernbestandteil vieler Tests. Sie findet auf unternehmenseigenem Gelände statt, aber auch auf öffentlichen Straßen. Denn das ist das Terrain, auf dem sich die Autos später tagtäglich bewegen. Ideal ist eine Testrunde mit umfassendem Streckenprofil, die auf vergleichsweise kurzer Strecke ein komplettes Bild über das Fahrzeug ermöglicht.Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Dieses Ideal finden die Mercedes-Benz Ingenieure in den 1960er Jahren um den kleinen Ort Friedrichsruhe, knapp 30 Kilometer von Heilbronn und 75 Kilometer von Stuttgart entfernt. Genau 34,5 Kilometer ist die von ihnen dort festgelegte Testrunde lang, und sie bietet alle Möglichkeiten, um das Fahrwerk eines Autos zu erproben und abzustimmen. Zwei kürzere Runden mit 18,9 und 26,5 Kilometern bieten weitere Möglichkeiten, um präzise Erkenntnisse zu erlangen, ohne die große Runde fahren zu müssen. Denn Testfahren erzeugt dichte Ergebnisse: Verbesserungsvorschläge der Ingenieure werden gleich nach der Fahrt versuchsweise umgesetzt und das Fahrzeug umgehend der nächsten Erprobung unterzogen, um die Wirksamkeit der Maßnahmen zu prüfen. So kann es beispielsweise sein, dass eine andere Feder-Stoßdämpfer-Kombination eingebaut wird, um das Fahrverhalten zu verbessern. Für die genaue Evaluierung notwendig ist eine sehr genaue Kenntnis der Rundstrecke – mit ein Grund, warum man über Jahre die Routen beibehält: Die Testingenieure kennen jeden Meter der Tour und damit exakt die Stellen, die ihnen für die jeweilige Fragestellung Informationen liefern. Was auch der Vergleichbarkeit dient: Die eine Seite der Tätigkeit ist das Fahren und Prüfen des Autos; auf der anderen Seite steht das genaue Erkennen des Verbesserungspotentials und das Vorschlagen von Maßnahmen – nur damit lässt sich Automobilentwicklung betreiben.
Die "Neue S-Klasse" auf der Mercedes-Benz-Teststrecke Friedrichsruhe | Teil 1

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Ideale Teststrecke unweit von Heilbronn
Die ideale Teststrecke zur Fahrwerkserprobung bietet verschiedene Fahrbahnoberflächen: Beispielsweise ebenen Asphalt, wellige Verformungen, Unebenheiten rechts oder links, einzelne Schlaglöcher, enge und weite Kurven, lange Geraden für Schnellfahrten – jede mögliche Form ist erwünscht, um das Fahrzeug zu Reaktionen anzuregen, die wiederum Informationen über die vorhandene Fahrwerksauslegung geben. In Friedrichsruhe ist das auf einer Strecke von knapp 35 Kilometern gegeben. Wichtige Baureihen wie beispielsweise die S-Klasse (Baureihen W 116 und W 126) und die SL-Klasse (Baureihen R/C 107 und R 129) sind dort abgestimmt worden.
Weil die Bedingungen in Friedrichsruhe, nur eine Autostunde von Stuttgart entfernt, so ideal sind, veranstaltet die Marke dort auch Presse-Fahrveranstaltungen, um den Journalisten neue Autos zu präsentieren. Etwa das Coupé der Baureihe 126, der Mercedes-Benz 500 E (W 124) oder das Cabriolet der Baureihe 124 werden dort vorgestellt.
Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Über die Jahre ergeben sich freilich Änderungen. So erhält etwa das Autobahnstück, das in die Friedrichsruhe-Runde eingebettet ist, eine Geschwindigkeitsbeschränkung, somit fällt die Möglichkeit weg, die wichtige „vmax-Erprobung“ zu fahren, also mit der Höchstgeschwindigkeit des Fahrzeugs unterwegs zu sein. Nicht um des Rasens willen, sondern um herauszufinden, ob das Auto auch in hohen Geschwindigkeitsbereichen den Anforderungen entspricht, etwa in Bezug auf Fahrstabilität oder Windgeräusche. Bei anderen Steckenabschnitten werden Fahrbahnunebenheiten beseitigt, die vor allem bezüglich Fahrkomfort und Abrollverhalten (Federung, Dämpfung) notwendig sind. Auch der Verkehr nimmt zu.

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Diese Änderungen und andere Gründe, beispielsweise das in südlicheren Gefilden bessere und stabilere Wetter, führen dazu, dass Mercedes-Benz Mitte der 1980er Jahre die Fahrwerkserprobung und Fahrzeugabstimmung auf dem Rundkurs in Friedrichsruhe schrittweise reduziert und schließlich ganz einstellt.
Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Teststrecke existiert in den Grundzügen noch
Aber heute noch lässt sich in Friedrichsruhe im Wortsinn viel erfahren. Denn in ihren Grundzügen existiert die Teststrecke wie damals, und auch immer noch gibt es eine Vielzahl von Stellen, die Rückschlüsse auf das Fahrwerk und das Gesamtfahrverhalten zulassen. Es lohnt sich, die Strecke zu fahren – vielleicht sogar mit einem Klassiker von Mercedes-Benz, dessen Fahrwerk seinerzeit in Friedrichsruhe abgestimmt oder der dort präsentiert worden ist.
Ideales Streckenprofil auf der ehemaligen Mercedes-Benz Teststrecke Friedrichsruhe
Bilder: Mercedes-Benz AG
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Mazun
2 Jahre zuvor

Die Gegend dort ist wirklich ein Traum zum fahren! Ich bin mehrmals im Jahr in der unmittelbaren Nähe und habe früher bei jeder Gelegenheit unsren alten C124 dort spazieren gefahren. Bei schönem Wetter (und das hat es dort wirklich auffällig oft) macht das Cruisen auf der Hohenloher Ebene einfach nur Laune und weil die Landschaft dort so reizvoll ist, hat man auch immer was zu gucken. Für mich hat’s ein bisschen was von Toskana.

Letztes Jahr habe ich dort mit unserem jetzigen All Terrain die entscheidene abschließende Probefahrt gemacht, bevor wir ihn dann gekauft haben.

Mir war ehrlich gesagt gar nicht klar, dass ich dort vermutlich immer auch Teile der alten Teststrecke fahre, ein schöner Zufall das hier zu lesen!
Kann man den genauen Streckenverlauf denn irgendwo auf einer Karte nachvollziehen? Ich vermute es ist zwischen den Abfahrten Öhringen und Neuenstein dann hauptsächlich nördlich von der A6.

Zuletzt editiert am 2 Jahre zuvor von Mazun
Garry
Reply to  Mazun
2 Jahre zuvor

…siehe eingebettetes YouTube-Video bei 03:19 🙂

Mazun
Reply to  Garry
2 Jahre zuvor

Danke, ich schaue bei Gelegenheit mal rein!

Marc W.
Reply to  Mazun
2 Jahre zuvor

Ich habe noch 1991/1992 an der (damaligen Kreuzung, heute Kreisel) nördlich Brettach eine Flotte W140er bei ausgiebigen Reifenwechseln beobachtet. Vielleicht wurden auch später für andere Abteilungen noch „Restfahrten“ dort durchgeführt ?

TOMNIKO
2 Jahre zuvor

Ach immer schön zu sehen den W126/V126 diesmal sogar wenn ich richtig liege in 441 Impala-Metallic so wie mein V126 420SEL.

Mazun
Reply to  TOMNIKO
2 Jahre zuvor

Auf jeden Fall eine tolle und passende Farbe für das stattliche Auto! Nicht zu hell, nicht zu dunkel und auch nicht zu farbig

Franken SL
Reply to  TOMNIKO
2 Jahre zuvor

Nein, das ist 172 anthrazitgrau-metallic. Auf dem zweiten Bild von oben erkennt man es am besten.

Robin
Reply to  Franken SL
2 Jahre zuvor

Sind Sie sicher? Ich kann mich anhand dieser Bilder nicht wirklich festlegen, je nach Lichteinfall würde ich beides für möglich halten, wobei ich ein winzig kleines bisschen mehr zu Impala 441 tendieren würde.

Marc W.
Reply to  Robin
2 Jahre zuvor

Tendiere auch klar zu impala – der Goldstich ist unverkennbar, bei anthrazit würde eher ein Blaustich hervortreten. Impala war lange mein Favorit, vor dolomitbraun, aber nach sepangbraun 🙂

MarkusGLK
2 Jahre zuvor

Schade, dass man von fünfkommasechs seit 2 Jahren nichts mehr hört. Der Beitrag ist , wie allen anderen davor, wunderbar anzuschauen. I want Schlörb / Christiansen back!

Zuletzt editiert am 2 Jahre zuvor von MarkusGLK
Pano
2 Jahre zuvor

Mag mich täuschen, aber sind nicht Teile der Strecke auf dem Testareal in Immendingen nachgebaut worden?
Grüße
Pano

Südhesse
Reply to  Pano
2 Jahre zuvor

Nein, da wurden andere Streckenprofile zu Grunde gelegt. Friedrichsruhe spielt schon seit Jahrzehnten keine Rolle mehr in der Entwicklung.

Onold
2 Jahre zuvor

Ich war schon mehrmals bei AMG bei der Veranstaltung „Spirit of AMG – Emotiontour“ und da wurden auch immer Teile der alten „Teststrecke“ gefahren. Vor allem das Stück durchs Ohrntal ist genial, wenn dann auch noch der Richtige Instucktor (Danke Marco) vorne fährt und „Verkehrsmeldungen“ durch gibt kann man richtig schön die Strasse genießen (und den AMG Sound höhren und fühlen). Mittagspause war dann immer in Schloß Friedrichsruhe und die verschiedenen AMG’s knisterten auf dem Parkplatz…