Ein mehr als spezielles Gefährt aus der Geschichte von Mercedes-Benz gibt es aktuell bei Mechatronik zu erwerben: einen Mercedes-Benz W06 710 SS aus dem Jahr 1929 – eines der außergewöhnlichsten Vorkriegsmodelle von Mercedes mit einer Sonderkarosserie von Fernandez & Darrin.
Glanz der frühen dreißiger Jahre
Der Glanz, der in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren auf die Produkte der Daimler-Benz AG fiel, ist in erheblichem Maß auf die Erfolge der legendären Kompressor-Sportwagen S, SS und SSK zurückzuführen. Noch heute profitiert die Marke Mercedes-Benz in erheblichem Maße von der Strahlkraft dieser einmaligen Boliden, die in der Geschichte des Automobils nur wenige Parallelen findet.
1927 wurde mit dem Typ „S“ – das „S“ stand für „Sport“ – ein neuer leistungsfähiger Sportwagen geschaffen, der sich auch für den Einsatz bei Rennsportveranstaltungen eignete. Ausgehend vom Fahrgestell des Modells „K“, dessen Abmessungen man dazu übernahm, wurde ein neues Chassis entwickelt. Durch stärker gewölbte Kröpfungen an Vorder- und Hinterachse wurde der Rahmen deutlich tiefer gelegt.
Dadurch, dass man den Motor 30 cm nach hinten versetzte, verbesserte sich die Achslastverteilung, und der großvolumige Sechszylinder konnte außerdem deutlich tiefer eingebaut werden. Die Bestrebungen, ein möglichst niedriges Fahrzeug zu bauen, machten auch vor der Silhouette des Spitzkühlers nicht halt. Der Kühler wies statt acht Blöcken wie beim Typ „K“ nur noch sieben Blöcke übereinander auf. Auch der Motor wurde grundlegend überarbeitet und erhielt bei dieser Gelegenheit gleich eine Konstruktionsnummer, die der nach der Fusion eingeführten internen Nomenklatur entsprach. Er hieß jetzt M 06.
Zur Erhöhung des Hubraums auf 6,8 l wurde die Bohrung um 4 mm vergrößert. Dafür mussten im Motorblock umfangreiche Änderungen vorgenommen werden. Um den für die größeren Laufbüchsen erforderlichen Platz zu schaffen, wurde gleichzeitig von trockenen auf nasse Zylinderlaufbüchsen umgestellt. Wie das Modell „K“ verfügte auch der Typ „S“ über Doppelzündung und zwei Zündkerzen pro Zylinder, von denen je eine über die klassische Hochspannungs-Magnetzündung und die andere über Batteriezündung versorgt wurde. In Verbindung mit einer Zwei-Vergaseranlage leistete der neue Sportmotor offiziell 180 PS mit Kompressor. Werksmotoren mit höherer Verdichtung kamen bei Betrieb mit Benzolgemisch auf bis zu 220 PS.
Seinen ersten Einsatz hatte der Typ „S“ beim Eröffnungsrennen auf dem Nürburgring im Juni 1927, wo er Rudolf Caracciola und Adolf Rosenberger zu den Plätzen 1 und 2 verhalf. Caracciola, der später zum erfolgreichsten Rennfahrer der Daimler-Benz AG werden sollte, erreichte über knapp 360 km eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 101,1 km/h. Fast auf den Tag genau drei Monate später erzielte Rudolf Caracciola bei einem Sprintrennen in Antwerpen einen Schnitt von 194,6 km/h. Damit hatte der Typ „S“ seine Klassifizierung als schneller Sportwagen deutlich unter Beweis gestellt. Bereits im April 1927 war er, zusammen mit dem Modell „K“, offiziell ins Verkaufsprogramm aufgenommen worden. Unter der neuen Rubrik „Spezial-Sportwagen“ enthielt die Preisliste beide Typen in der Ausführung als Viersitzer zu Preisen von RM 26.000,- bzw. RM 30.000,-.
Der Typ „S“ war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Erscheinung getreten und wurde in der Preisliste als „Modell 1927“ geführt. Dies änderte sich erst im Oktober 1927, als neben den Sportviersitzern zusätzlich auch die reinen Fahrgestelle angeboten wurden – zu einem Preis von RM 20.750,- für das Modell „K“ und RM 26.000,- für das Modell „S“. 1928 ging man nun daran, die Leistung weiter zu erhöhen. Mit der Umstellung auf nasse Zylinderlaufbüchsen hatte man genügend Raum gewonnen, um die Bohrung um weitere 2 auf 100 mm zu erhöhen. Daraus resultierte ein Hubraum von 7,1 l. Den neuen Motor gab es in zwei Leistungsstufen. Die zahmere Variante mit einer Verdichtung von 4,7 leistete 140/200 PS. Die mit 5,2 höherverdichtete Ausführung hatte offiziell eine Leistung von 160/200 PS.
Für den Renneinsatz wurde eine Renn-Nockenwelle entwickelt, die die Leistung auf 170/225 PS erhöhte. Darüber hinaus hatte man auch stärkere Kompressoren mit größeren Drehflügeln parat. Mit dem kleineren der beiden Rennkompressoren wurde eine Leistung von 275 PS erreicht. Diese Kompressorausführung stand ebenso wie die Renn-Nockenwelle auch Privatfahrern zur Verfügung. Das 7,1-l-Aggregat war Mitte 1928 einsatzbereit und wurde in das Fahrgestell des Typ „S“ eingebaut. Der mit dem neuen Motor ausgerüstete Rennsportwagen erhielt die Bezeichnung „SS“ – für Super-Sport.
Der Typ „S“, dessen Chassis-Produktion im September 1928 nach 146 gebauten Einheiten auslief, war noch bis Anfang 1930 in der Preisliste verzeichnet. Während bei der Konzeption des Typ „S“ vor allem die Rennsporttauglichkeit im Vordergrund gestanden hatte, war der „SS“ trotz seines leistungsgesteigerten Motors in erster Linie als Gran-Tourismo heutiger Prägung gedacht. Deutlich wird dies z.B. am Kühler, der mit acht Blöcken wieder die gleiche Höhe wie beim „K“ aufwies und damit eine höhere Karosserielinie als beim „S“ ermöglichte. Unterstrichen wurde dies, wenn auch nicht von Anfang an, durch die angebotene Karosserieauswahl. Zunächst gab es außer dem Fahrgestell zwar nur den Sportviersitzer, Ende 1929 ergänzte jedoch ein 4-sitziges Spezial-Cabriolet für RM 44.000,- das Angebot. Im September 1932 kam noch ein 2-sitziges Spezial-Cabriolet hinzu, das auch als Roadster ausgeführt wurde. Der Typ „SS“ entstand ab November 1928 in insgesamt 111 Exemplaren, von denen der Löwenanteil mit 101 Einheiten bis Ende 1930 fertiggestellt wurde. Bis September 1933 folgten weitere 10 Fahrzeuge. In den Preislisten war der „SS“ bis Juli 1935 enthalten.
Chassis Nummer 36223 am 28. April 1929 bestellt
Bei dem hier angebotenen Fahrzeug handelt es sich um Chassis Nummer 36223, welches durch die Mercedes-Benz Vertretung in New York bestellt und am 28. April 1929 in den Büchern des Herstellers vermerkt wurde. Einige Monate später, am 30. Oktober 1929, wurde der Wagen als rollendes Fahrgestell an die Mercedes-Benz Company in New York ausgeliefert, um auf dem Mercedes-Benz Messestand auf der New York National Automobile Show ausgestellt zu werden. Im Anschluss an die New Yorker Automesse wurde der Wagen einmal mehr verladen und zurück nach Europa verschifft, um schlussendlich bei dem legendären Karosseriebauer Fernandez & Darrin seine Karosserie zu erhalten. Wenn man das spektakuläre und einzigartige Design der Kotflügel betrachtet, ist klar, dass diese Karosserie Darrins Handschrift trägt, die ebenfalls auf den exklusivsten Hispano-Suizas und Duesenbergs weltbekannt wurde.
Der Mercedes erhielt in Folge eine betörend schöne Sport Tourer Karosserie mit umhüllenden Kotflügeln, welche an den „Trossi SSK“ erinnern. Ausgeliefert wurde dieser Mercedes 710 SS in der Farbe Weiß, in Kombination mit einer roter Lederausstattung. Die schlussendliche Auslieferung an seinen Erstbesitzer erfolgte in Washington DC an den erfolgreichen Geschäftsmann Mr. Martin. In den folgenden Jahrzehnten wechselt der Mercedes mehrfach den Besitzer und wanderte unter anderem durch die Hände von leidenschaftlichen Mercedes Sammlern wie zB. Mr. Meritt, der den 710 SS wiederum an Dr. Scher weiterverkaufte.
Im August 1956 erworb schließlich Mr. Pitcairn den Wagen und beschloss diesen einer Restaurierung zu unterziehen. Er nutzte diese Gelegenheit, um die Farbe des 710 SS zu ändern und entschied sich für die Farbe schwarz. Nach Abschluss der Arbeiten im Jahr 1957 nahm Mr. Pitcairn in den folgenden Jahren an verschiedenen amerikanischen Concours d’Elégance-Veranstaltungen teil und so verblieb dieser Wagen bis in die späten Achtziger Jahre in dessen Sammlung.
Im Jahr 1987 erschien der Mercedes 710 SS auf einem Foto für einen Artikel über Mercedes aus der Vorkriegs-zeit, der in dem Automobile Quarterly Magazin veröffentlicht wurde. Abgesehen von der zwischenzeitlich veränderten Farbe ist der Wagen hier noch immer identisch mit seinem Auslieferungszustand. Im Frühjahr 1993 verlässt der Mercedes die Sammlung von Mr. Pitcairn und wird zum Verkauf angeboten. Und so erscheint in der Mai Ausgabe 1993 des Classic & Sports Car Magazins eine Verkaufsanzeige von dem Händler William Kontes aus New Jersey, welcher exakt diesen Wagen zum Verkauf anbietet. Die Fotos zeigen deutlich eben diesen Mercedes 710 SS mit seiner unverwechselbaren Karosserie. Ebenfalls in der Anzeige vermerkt ist die Fahrgestellnummer 36223 und Motornummer 72182.
In Folge des Verkaufs gelangte der 710 SS zurück nach Europa und wurde im Jahr 2009 von einem deutschen Käufer erworben und umgehend in das Mercedes-Benz Classic Center in Stuttgart eingeliefert, um eine Expertise erstellen zu lassen. Die detaillierte Zertifizierung durch Mercedes-Benz Classic bestätigte, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen originalen Mercedes 710 SS handelt und sämtliche Komponenten denen eines 710 SS entsprechen. Im Jahr 2016 wurde zudem der Motor komplett überholt um die volle Funktionsfähigkeit zu gewährleisten.
Das Fahrzeug hat aktuell 19.240 km auf dem Tacho, wobei der Motor 2016/2017 überholt wurde und seitdem nur wenige Kilometer zurückgelegt hat. Den Preis gibt es hierzu nur auf Anfrage – zwischen 6-8 Millionen wird man für das Modell jedoch wohl auf alle Fälle auf den Tisch legen müssen.
Bilder: Mechatronik