Mercedes-Benz „TopFit Truck“: Der Mensch am Lenkrad zählt

In Anbetracht der Lkw-Kolonnen auf deutschen Autobahnen scheint es schwer vorstellbar, doch das Gütertransportgewerbe steht im nächsten Jahr­zehnt vor einem Problem, das den Motor des Wirtschaftsfaktors „Transport“ ins Stottern zu bringen droht: Fahrermangel.

TopFit Truck

Von derzeit über 800 000 Berufs­kraftfahrerinnen und –fahrern allein in Deutschland scheiden innerhalb der nächsten 15 Jahre über 300 000 altersbedingt aus dem Beruf aus. Der Welten­bummler-Traum aus den Zeiten der Fernsehserie „Auf Achse“ ist passé, die Berufsgruppe hat in der Öffentlichkeit ein denkbar schlechtes Image und junge Menschen für den immer anspruchsvoller werdenden Job im Lkw zu gewinnen, fällt der Branche mehr als schwer. Eine auch nur annähernd aus­reichende Zahl an Nachwuchskräften ist nicht in Sicht.

TopFit Truck

Als der marktführende Hersteller von Nutzfahrzeugen sieht sich Daimler in der Verantwortung, diesen alarmierenden Entwicklungen aktiv zu begegnen. „Mit dem Projekt TopFit Truck stellt Mercedes-Benz Trucks deshalb Fahrer­innen und Fahrer in den Mittelpunkt seiner Forschungen und Entwicklungen, um dem Fahrermangel durch eine Steigerung der Attraktivität des Berufs entgegen zu wirken“, erklärt Siegfried Rothe, Manager Condition Enhancement. Der Forscher ist der Initiator des Projekts und beschäftigt sich seit 2006 intensiv mit den Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für den Menschen am Lenkrad: „Der Lkw ist das einzige Fahrzeug, das nicht nur ein Fortbewegungs- und Transportmittel ist, sondern obendrein auch Arbeitsplatz, Wohnzimmer und Schlafzimmer.“

Forschungen zu Schlaf, Vitalisierung und Fitness im Lkw
Da ausgeruhte und erholte Fahrer in der Regel sicherer unterwegs sind, war einer der ersten Forschungsgegenstände der Schlaf im Lkw. Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem Schlafmedizinischen Zentrum der Universität Regensburg ergaben, dass die Testpersonen, die in der Fahrerkabine unter realen Bedingungen schliefen, eine deutlich veränderte „Schlafarchitektur“ aufwiesen. So führte die Lärmbelästigung an Autobahnparkplätzen zu signifikant verminderter Tagesfitness. Dies macht Fahrer anfällig für Aufmerk­samkeitsdefizite und den gefürchteten Sekundenschlaf. Das Unfallrisiko steigt. Überdies ergaben weitere Testfahrten, dass selbst werkseigene Profi-Eco-Trainer unter Schlafentzug nicht mehr in der Lage waren, ihr Potential zur wirtschaftlichen Fahrweise voll auszuschöpfen. Ist der Fahrer nicht ausgeruht, steigen also auch Verschleiß am Fahrzeug und vor allem der Kraftstoffverbrauch.


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Doch nicht nur beeinträchtigter Schlaf stellt ein Problem für Fahrerinnen und Fahrer dar. Auch die Monotonie, die sich während stundenlanger Fahrten breit macht, strapaziert den menschlichen Körper und mindert die Leistungs­fähigkeit des Gehirns. Stimulanz und Abwechslung können hier für Abhilfe sorgen. Als vitalisierende Maßnahmen untersuchten Rothe und sein Projekt­team in aufwendigen Versuchen und Studien den Einsatz von Kurzschlaf, Dufttherapie, Massage zur Muskel- und Gelenksaktivierung und verschiedene auditorische Reize, die das Gehirn ansprechen.

Technische Umsetzung in TopFit Truck und dem Neuen Actros
Ab 2009 realisierten die Kundenforscher in einer Actros-Zugmaschine proto­typisch die technischen Innovationen, die aus den Ergebnissen ihrer Unter­suchungen resultierten. In dem Fahrzeug war unter anderem ein elektrisch verstellbarer Massagesitz integriert. Dieser ließ sich in die richtige Position für einen Powernap, einen erholsamen Kurzschlaf, bringen. Ebenfalls an Bord eine Anlage zu Beduftung mit entspannenden oder erfrischenden Düften, sowie ein Musikcomputer, der spezielle von Musikwissenschaftlern ausgewählte Titel vorhielt, welche je nach Situation auf den Fahrer beruhigend oder aktivierend wirkten. Außerdem vorhanden war ein Bildschirm, auf dem sich ein exakt auf die Verhältnisse in der Kabine abgestimmtes Programm aus Fitnessübungen abspielen ließ, welches man während den Pausen mit vorhandenen Seilzügen mittrainieren konnte. Durch im Fahrzeug integrierte medizinische Technik für physiologische Messungen wie Elektroenzephalografie (EEG), Elektrokardiogramm (EKG) oder Elektrookulografie (EOG) ließen sich sämtliche Maßnahmen außerdem auf ihre Wirksamkeit und Akzeptanz beim Fahrer objektiv und wissenschaftlich verwertbar prüfen. Kein anderer Nutz­fahrzeughersteller ist bislang in der Lage, dies während der Fahrt, in den Pausen oder sogar während des Schlafs in Echtzeit zu messen, auszuwerten und zu interpretieren. Der Technologieträger TopFit Truck machte die neuen Möglichkeiten zur Verbesserung der Fahrersituation so test- und erlebbar.

Gleichzeitig flossen die Forschungsergebnisse bereits in Konzeption und Produktion des Neuen Actros mit ein, der 2011 auf den Markt kam. Die Fern­verkehrs-Sattelzugmaschinen der neuesten Generation verfügen nun serien­mäßig über ein breiteres Bett, einen im hohen Maß verbesserten Schallschutz, der Lärmbeeinträchtigungen bei Übernachtungen an Autobahnen minimiert und ein optimiertes Frischluftmanagement. Alle Fahrersitze lassen sich jetzt in den nötigen Neigungswinkel für den Powernap bringen und ein pneumatisch funktionierender Massagesitz steht auf der Sonderausstattungsliste.

Blick in die Zukunft – TopFit Truck Next
Aktuell arbeiten Siegfried Rothe und sein Projektteam mit zwei neuen Actros-Sattelzugmaschinen an weiteren Innovationen und technischen Features. Eines der Fahrzeuge dient dazu, neue Ideen zuerst auf ihre Umsetzbarkeit zu überprüfen. In ihm befindet sich momentan die Versuchsinstallation für ein intelligentes Heizungskonzept. „Durch eine elektrisch gesteuerte Erwärmung der Rück- und der Seitenwand um den Schlafbereich herum, die zusammen­spielt mit einer beheizbaren Matratze, erhoffen wir uns weiteres Einspar­potential in Sachen Verbrauch. Denn die Heizung wird im Gegensatz zur Standheizung nicht aus dem Dieseltank gespeist“, so Rothe. Das Anwärmen des Bettes ermöglicht nicht nur, mit der Kabinenheizung herunterzufahren, sondern hält auch noch eine medizinische Therapiefunktion bereit. Während Fahrer oder Fahrerin 20 Minuten auf der 45 Grad warmen Bettoberfläche ruhen, lösen sich Muskelverspannungen und –verklebungen. Der Körper ist ideal auf nachfolgende Fitnessübungen vorbereitet beziehungsweise erfährt eine Schmerzlinderung ähnlich einer Fangobehandlung. Die Haupterkrank­ungen der Berufsgruppe betreffen den Muskel- und Skelettapparat, weshalb Mittel zur gezielten Gesundheitsprävention ein Hauptaugenmerk der Forscher sind. Weiterhin bietet die Heizung auch die Möglichkeit, durch ein Erhitzen auf bis zu 60 Grad wirksam allgegenwärtige Hausstaubmilben abzutöten und kommt so Allergikern und der allgemeinen Hygiene entgegen. Um Neuerung dieser Art ausführlich zu testen, kann der Actros 1851 auch für einen längeren Zeitraum in der Klimakammer parken oder mit Testfahrern unterwegs sein, ohne dass das Projekt stillstehen muss. In der Zwischenzeit arbeitet und forscht das Team mit der zweiten Sattelzugmaschine.

Dieser Actros 1845 ist der eigentliche neue Technologieträger und damit der Nachfolger des ursprünglichen TopFit Truck. Er dient wie sein Vorgänger dazu, bereits erprobte und ausgereifte Techniken zu visualisieren und bei Messen, Workshops und anderen Events, oder auch bei Zielgruppenbefragungen, zu demonstrieren. Das Fahrzeug verfügt über zwei Computer, von denen einer die komplette Datenerfassung von Testfahrern übernimmt. Via Elektrodenhaube lassen sich EEG, EKG und EOG aufzeichnen. Deckungsgleich dokumentieren drei eingebaute Kameras optisch das Verkehrsgeschehen vor dem Truck sowie den Zustand des Fahrers. Ein Abgleich mit den Fahrdaten aus Bremse, Gas und Lenkung ist ebenfalls möglich. Der zweite Computer hält das ausgefeilte Fitnessprogramm und die unterstützende Musikauswahl bereit. Die tech­nischen Features im Truck ergänzen die Entwickler momentan peu à peu um weitere Funktionen, die vom ursprünglichen TopFit Truck umgerüstet werden. Dazu zählen die Beduftungsanlage und der vollelektronische Massagesitz. Im neuen TopFit Truck ist der Powernap natürlich schon mit manueller Ein­stellung machbar und sämtliche Vorrichtungen, die für das Sportprogramm notwendig sind, sind ebenfalls in der Kabine vorhanden. Bereits realisiert sind überdies die Verwendungsmöglichkeiten für eine so genannte Vibratode. Mit diesem zylinderförmigen Gerät zur biomechanischen Stimulation lassen sich einerseits die Effekte von aktiven Muskelentspannungsübungen verstärken. Andererseits kann es in die Spezialmatratze des Betts eingelegt oder in eine Haltevorrichtung an der Sitzrückseite geklippt mit seinen Schwingungen gezielte Massagen zur passiven Entspannung verschiedener Körperpartien anbieten.

Außerdem arbeiten Rothe und sein Projektteam aktuell zusätzlich an einer Erweiterung des Fitnessprogramms sowie an einem zukünftigen Beleuchtungs­konzept, welches das funktionale Moment um biologische und psychologische Aspekte der Lichttherapie ergänzen soll.

Quelle: Mercedes-Benz Trucks

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martin
10 Jahre zuvor

Zitat: „die Berufsgruppe hat in der Öffentlichkeit ein denkbar schlechtes Image und junge Menschen für den immer anspruchsvoller werdenden Job im Lkw zu gewinnen, fällt der Branche mehr als schwer.“Zitat Ende.
Da sollte sich die Branche mal fragen woran das liegt.
Einerseits sollen Lenk und Ruhezeiten eingehalten werden. dazu werden die Fahrer noch für die komplette Be-und Entladung verantwortlich gemacht. Und das alles bei mieser Bezahlung. Aber solange es wirtschaftlich ist, einen LKW mit nur einem Fahrer maximal 10 h am Tag fahren zu lassen und ansonsten die Parkplätze damit zu blockieren, kann es der Transportbranche so schlecht nicht gehen.

Aber nicht umsonst arbeitet die Industrie ja am autonomen Fahren …warum wohl ?

BenSC
10 Jahre zuvor

Der „schwäbische Fitnesspapst“ hat wieder zugeschlagen 🙂

mehrzehdes
10 Jahre zuvor

autonom fahrende lkw werden wir erleben. denn dahinter stehen enorme einsparmöglichkeiten und man erhöht die verkehrssicherheit. es ist sogar in forschung, mehrere autonome lkw in ultrakurzem abstand hintereinander fahren zu lassen, was den kraftstoffverbrauch in der ebene um 25% senkt. dabei könnte man die autobahnfahrt dem fahrzeug überlassen, der fahrer dürfte derweil ruhen, essen, lesen usw.. entsprechend wären diese zeiten auch keine lenkzeiten. es lassen sich also pro fahrer/fahrzeug eine höhere kilometerleistung pro tag zu geringeren kraftstoffkosten erzielen.

Gottlieb
10 Jahre zuvor

Krasser Gedanke mit den LKW, in kurzem Abstand „gekoppelt“ hintereinander. Da hat man mit den Megaliniern schon Probleme wegen deren Länge, und dann diese „Roadtrains“ auf Autobahnen. Da will das Einfahren auf die Autobahnen gelernt sein wenn 100m LKW vorbeirauschen……

Reply to  Gottlieb
10 Jahre zuvor

Update: Video über den TopFit-Truck hinzugefügt.