Als Einzelstück diente der „Spezialtransporter für Rennwagen“ der Mercedes-Benz Versuchsabteilung ab dem Jahr 1955 zum Transport der Formel 1 Rennwagen und Rennsportwagen. Angetrieben wurde er von dem Drei-Liter Sechszylindermotor aus dem 300 SL Rennsportwagen, der 141 kW (192 PS) leistete. Mit Zuladung brachte er es so auf beachtliche 170 km/h. Damit war das „Blaue Wunder“ prädestiniert, die Konkurrenten zu demoralisieren: Wenn schon der Renntransporter so schnell fuhr, ließ das für die Gegner der transportierten Silberpfeile Schlimmes befürchten.
Das Original-Fahrzeug entsteht 1954 in der Mercedes-Benz Versuchswerkstatt für die folgende Motorsportsaison. Die bei Nutzfahrzeugen übliche Trennung zwischen Fahrerhaus und Ladefläche entfällt dabei. Stattdessen hat der Transporter eine Karosserie wie aus einem Guss. Sportlich ist dabei schon die Silhouette: Niedrig duckt sich die vor der Vorderachse angeordnete Kabine in Richtung Fahrbahn. Und tatsächlich ist auf den hinteren Kotflügeln „Max. Speed 105 m. p. h.“ zu lesen. Das steht für die damals mehr als respektable Höchstgeschwindigkeit von 170 km/h. Auf dem Lack notiert wird das Maximaltempo offenbar zum Ende der Saison 1955 – das dokumentieren auch vorhandene historische Fotos. Wer das Mercedes-Benz Museum besucht, erlebt das „Blaue Wunder“ dabei im Raum Collection 2: Galerie der Lasten. Dort steht der Mercedes-Benz Rennwagen-Schnelltransporter für das Jahr 1955 wie eine Skulptur der Geschwindigkeit vor den Museumsgästen. Es ist eine authentische Rekonstruktion des Originals.
Die Mercedes-Benz Motorsportfans sind 1955 begeistert von dem Transporter. Im Gegensatz zu den bewährten Renntransportern auf Basis von Mercedes-Benz Lastwagen glänzt der Solitär mit seiner Einzigartigkeit, seiner Eleganz und seinem Tempo. Diese Qualitäten tragen dem Fahrzeug zusammen mit der Lackierung im typischen Blau der Mercedes-Benz Servicefahrzeuge den Beinamen „Blaues Wunder“ ein. Der Rennwagen-Schnelltransporter wird für die Motorsportsaison 1955 nur einmal gebaut. Mit den Serienprodukten seiner Zeit ist der Solitär dennoch eng verwandt. Denn die Ingenieure und Designer verwenden viele Komponenten der Mitte der 1950er-Jahre produzierten Personenwagen: Vom hoch exklusiven 300 S (W 188) stammt dabei das Fahrwerk. Die „Ponton“-Limousine (W 120) der oberen Mittelklasse steuert zahlreiche Karosserieteile bei. Und der Sechszylindermotor M 198 mit 2.996 Kubikzentimetern Hubraum stammt aus dem Supersportwagen 300 SL „Flügeltürer“ (W 198). Dort leistet das Aggregat 158 kW (215 PS) bei 5.800/min. Im Rennwagen-Schnelltransporter sind es 141 kW (192 PS) bei 5.500/min. Der Kühlergrill mit Zentralstern erinnert an die Seriensportwagen, Rennsportwagen und Rennwagen der Zeit.
Der Innenraum des Transporters ist auf Langstreckenkomfort ausgerichtet. Der typische Karostoff der damaligen Rennsport- und Sportwagen ziert Sitz- und Rücklehnenflächen sowie Türverkleidungen. Die Armaturentafel ist mit Leder ausgeschlagen, der Mitteltunnel mit Stoff. Hinter dem großen Lenkrad liegen Drehzahlmesser und Tachometer optimal im Blickfeld. Markiertes Maximaltempo: 140 km/h. Der Komfort für die Besatzung endet allerdings beim Be- und Entladen. Denn mechanische Hilfsmittel wie eine Hebebühne gibt es nicht. Stattdessen sind auf dem Fahrzeug zwischen den Führungen für die Rennwagenräder vier Leichtbauschienen verstaut. Diese werden, am Heck eingeklinkt und zum Boden hin abgestützt, zur Rampe für die Wettbewerbsfahrzeuge. Bei großen Straßenrennen ohne eigene Box dienen die Schienen zudem als improvisierte Werkstattbühne – zum Beispiel bei der Targa Florio 1955 auf Sizilien.
Das Original des 6,75 Meter langen Rennwagen-Schnelltransporters mit 2,9 Metern Radstand ist nicht erhalten. Nach dem Rückzug der Marke aus dem Rennsport zum Ende der Saison 1955 wird er im Fahrversuch eingesetzt und 1967 verschrottet. Die damalige Daimler-Benz AG lässt das Unikat nach historischen Unterlagen der Mercedes-Benz Classic Archive als authentische Rekonstruktion jedoch im Jahr 2001 wieder aufbauen. Seither können die Fans der Mercedes-Benz Silberpfeile wieder ihr „Blaues Wunder“ erleben.
Bilder: Mercedes-Benz Group AG