Der Mercedes-Benz 280 SL: Ausfahrt mit der „Pagode“ der Baureihe W113

Eher selten gibt es bei Mercedes-Benz Classic die Möglichkeit, eines der Fahrzeuge aus der Werkssammlung selbst fahren zu können. Vor wenigen Tagen hat man uns jedoch einen „280 SL“ aus dem Jahr 1967 bereitgestellt, welcher landläufig als „Pagode“ bekannt ist. Eine Chance, die man sich nicht entgehen lässt und für bleibende Erinnerungen sorgt.

Auch wenn die Mehrzahl unserer Fahrtests meist Neuwagen der jeweils neuesten Generation sind, freuten wir uns auf die „Pagode“ bereits weit im Vorfeld. Passend zur Neuvorstellung der neuen SL Roadsters im September eine bedeutende Generation der Baureihe fahren zu können, ist aber auch etwas Besonderes.

W 113 „Pagode“  – nur mit Sechszylinder-Reihenmotor

Der SL in der Baureihe W 113 sicherte sich den Beinamen „Pagode“ durch das konkav ausgeführte Dach des Coupés, welches man noch Barényi zuschreibt und an asiatische Tempelbauten erinnert. Vorgestellt wurde das Modell erstmals im Jahre 1963 am Genfer Automobilsalon zunächst als 230 SL mit 110 kW / 150 PS (bei 5.500 u/min) mit 2.306 cm³ und 196 Nm (bei 4.200 u/min), den man später auch als 250 SL mit identischer PS-Leistung, jedoch mit 216 Nm (bei 4200 u/min) weiterentwickelte.  Während der 230 SL auf das M 127 II. Triebwerk setzte, nutzte man für den 250 SL den M 129 in seiner dritten Ausbaustufe.

Das Spitzenmodell als 280 SL leistete 125 kW / 170 PS (bei 5.750 u/min, M 130) sowie 240 Nm (bei 4.500 u/min) aus 2.778 cm³ und kam ab Januar 1968 auf den Markt und wurde bis März 1971 produziert. Der 230 SL wurde hingegen von Juli 1963 bis Januar 1967 produziert, der 250 SL sogar noch viel kürzer – von Dezember 1966 bis nur Januar 1968.

Gegenüber dem 230 SL und 250 SL, welche auf eine Produktionsanzahl von 19.831 und 5.186 Einheiten kamen, kam die Spitzenmotorisierung als 280 SL auf eine Stückzahl von 23.885. Eine 8-Zylinder Variante (mit M 100 bzw. M116/M117) gab es nicht, auch wenn dafür Testträger im Versuch aufgebaut worden sind.

In die Baureihe 113 selbst flossen erstmals Elemente der inneren Sicherheit mit ein. So gab es vorne schon eine Knautschzone und die Kanten im Innenraum wurden entschärft. Zusätzlich gab es Sicherheitsgurte.  Noch störend platziert war jedoch z.B. noch der Tank, der sich weiterhin im Aufprallbereich  vor der Hinterachse befindet. Basis der Bodengruppe ist übrigens die Mercedes-Benz „Heckflosse“ Limousinen der Baureihe 111, die weltweit ersten Personenwagen mit Sicherheitskarosserie.

Das Hardtop, welches Mercedes-Benz jedoch „Coupédach“ nennt, entstellt das Modell hingegen keineswegs. Mit der eleganten, sinnlichen Form bezaubert das Modell so auch jüngere Generationen. Hier stört auch nicht der unnötige Hüftknick hinter der Tür oder die doppelte Schwellerzierleiste. Zusammen mit der 108er S-Klasse und den 111er Coupés sowie Cabriolets, die allesamt vom damaligen Chefstylist Paul Bracq kommen, sind die Modelle optisch bis heute ein Hochgenuss.

Fahrtest im SL 280 mit 125 kW / 170 PS – ein Schmuckstück

Mercedes-Benz Classic hat sich mit dem bereitgestellten 280 SL nicht nur die größte Motorisierung für das Archiv gesichert, sondern hält auch noch weitere Fahrzeuge der gleichen Baureihe mit kleineren Triebwerken im fahrfertigen Zustand.

Nach der ersten Einweisung in den Oldtimer durch Mercedes-Benz Classic gab es zuerst keinerlei Besonderheiten zu beachten, zumal wir im Automatikmodell mit 4-Gang-Automatik mit eingelegten „4“ten Gang losfahren konnten: „4. Gang ist D!“ – gut, mehr müssen wir wohl nicht wissen. Alles andere sollte wohl selbsterklärend sein. Kurzer Rundumblick: Lenkrad, Handbremse, Blinker – alles an gewohnter Stelle. Radio – natürlich ein Becker Mexiko mit Kassettendeck. Kurzer Blick noch auf den Tacho überrascht jedoch: nur knapp über 41.000 km auf der Uhr.

So fuhr der Klassiker auch nach gut 60 Jahren problemlos los, zumal sich die Fahrt deutlich unaufgeregter zeigte als zuerst gedacht.  Besondere fahrerische Künste verlangt das Modell von seinem Fahrer im alltäglichen Umgang aber auch nicht ab

Die Lenkung (mit der damaligen optionalen Servolenkung) reagierte recht präzise auf Befehle, das Sitzgefühl war überraschend gut und die Bedienung des Fahrzeuges unproblematisch. Komischerweise saß man (gefühlt) zwar leicht erhöht, aber für uns sogar bequemer als im zuvor gefahren SL der jüngeren Baureihe 129.

Erst ein leicht einsetzender Regen beschäftigte uns überraschend mit der Bedienung des Scheibenwischers, was wir zuerst bei offener Fahrt suchen mussten – schlussendlich am Schalthebel auf der linken Lenkradseite an gewohnter Position vorfinden konnten. Die kleinen Scheibenwischer taten dann umgehend ihr Bestes, schafften es aufgrund des stärkeren Regens aber nicht sofort, das Wasser von der Scheibe zu schieben. Da wir das Verdeck noch geöffnet hatten, entschlossen wir uns zur sofortigen Rückkehr, um nichts von der Mechanik des Dachs zu beschädigen und den Lack und den Innenraum von Nässe zu schützen.

Im direkten Wege zurück nutzten wir so eine kurze Teilstrecke der Autobahn A 81, wobei wir das Fahrzeug kurz auf über 120 km/h beschleunigen mussten. Während die Regentropfen größtenteils nicht mehr in den Innenraum gelangen konnten, zeigte die Pagode die Kraft seines Sechszylinders. Die doch überschaubare PS-Leistung präsentierte hier seine Durchzugskraft und schob das 1.360 kg leichte Fahrzeug überzeugend flott nach vorne. Die Schaltung arbeitet dazu präzise, aber nicht knackig. Das Fahrwerk mutete eher kommod an, als drahtig.

Schnell zeigt sich: wer Pagode fährt, erlebte bereits damals einen ziemlich untypischen Mercedes, sportlich und kernig. Das Modell selbst lief bei der Höchstgeschwindigkeit bis an die 200 km/h Marke.

Sportliches Modell

Der kurzhubige Reihensechszylinder wirkt schon im mittleren Drehzahlbereich akustisch angestrengt, was die kürze Achsübersetzung zusätzlich fördert. Hier wäre ein zusätzlicher Gang sinnvoll, damals in Fahrzeugen aber noch selten vorzufinden. Die Pagode zeigte sich im Fahrtest sportlich und erreicht problemlos auch hohe Kurvengeschwindigkeiten (unter Berücksichtigung der Bauzeit), bevor man überhaupt in den kritischen Grenzbereich kommt. Aber wer Pagode fährt, genießt das gemütliche von A nach B – heutzutage wohl genauso, wie früher.

Versteuerung mit der 1 % Methode

Nur zur Erinnerung: der damalige Neupreis betrug etwa einen Gegenwert von rund vier VW Käfern. Darüber kann heutzutage der lachen, der das Fahrzeug als Privatwagen nach der 1 % Methode versteuert: hier gilt bekanntlich der Bruttolistenpreis in Euro von damals, wobei der Neupreis damals zeitweise bei 20.950 D-Mark lag. Der aktuelle Marktpreis unseres Testfahrzeuges liegt hingegen im sechsstelligen Bereich.

Was uns aufgefallen ist:

O Fahrzeug mit Drehzahlmesser, auf welchen man selbst bei den großen Limousinen noch verzichtete.

O Statt Leder war MB-Tex „Kunstleder“ verfügbar

O damals noch übersichtliche Sonderausstattungsliste

O Servolenkung optional, dann aber als gutes Stadtauto nutzbar

O bereits mit Bremsscheibe an der Hinterachse

O erster SL mit wahlweisem Automatikgetriebe

O 0 – 100 km/h in rund 11 Sekunden

O Knautschzone

O Automatikhebel gut bedienbar für ein Fahrzeug aus den 60er Jahren

Fazit:

Die Pagode begeisterte nicht nur bei der Vorstellung des Fahrzeuges, sondern uns sogar noch heutzutage. Dabei zeigt das Fahrzeug vor allen eine Alltagstauglichkeit, die mittels Hardtops theoretisch auch im Winter vorhanden wäre. Angesichts von Zeitwerten im sechsstelligen Bereich aber keine Option für die Classic-Abteilung von Mercedes-Benz.

Vielen Dank an das Team von Mercedes-Benz Classic für die Bereitstellung des klassischen Fahrzeuges.

Bilder: MBpassion.de / Philipp Deppe