Damit auch ein neuer Mercedes-Benz angenehm riecht, wird er von Olfaktorik-Experten „beschnuppert“. Jedes Material hat dazu seinen ganz eigenen Geruch – wie die Mitarbeiter des „Nasenteams“ von Mercedes-Benz wissen. Eine der Werkstoffprüferinnen – als eine von 4 Frauen und 2 Männern – ist Claudia Schempp, die bereits seit 25 Jahren den störenden Gerüchen auf der Spur ist.
„Wie in der zwischenmenschlichen Beziehung entscheidet auch in einem Fahrzeug der Geruchssinn mit darüber, ob wir uns wohlfühlen“, so Claudia Schempp. Damit ein neuer Mercedes-Benz angenehm riecht, „beschnuppert“ die Olfaktorik-Expertin jedes einzelne Material im Innenraum. Das „Nasen-Team“ entscheidet letztendlich darüber, was ins Auto kommt. Ausgestattet mit dem „Messegerät“ Nase werden so alle Materialen analysiert, aus denen die Bauteile im Innenraum bestehen – – von Kunststoffen über Stoffe, Leder und Hölzer bis hin zu Lacken, Wachsen, Naturfaserstoffen und Gummi.
Jedes Material hat seinen ganz eigenen Geruch – und den kennt die gebürtige Sindelfingerin genau. Sie kann Werkstoffe am Geruch erkennen, sogar unterschiedliche Kunststoffarten. Polyurethan riecht zum Beispiel anders als Polypropylen. „Das ist Begabung, aber kein Naturtalent“, lacht die gelernte chemisch-technische Assistentin. „Man kann die Nase trainieren.“ Jeder Mensch kann bis zu 10.000 Gerüche unterscheiden. „Die Schwierigkeit besteht darin, dass man sie nicht richtig benennen kann und daher nicht bewusst wahrnimmt. Da ich jedes einzelne Material immer wieder berieche, weiß ich genau, wie es riecht.“
Ein neues Fahrzeug darf keinen aufdringlichen, störenden Geruch aufweisen. Denn Gerüche gehen von der Nase direkt ins Gehirn und rufen unmittelbar Emotionen hervor. Der Verstand spielt dabei keine Rolle. „Der Mensch lebt durch die Nase. Daher ist es vor allem der Geruchssinn, der uns wahren Genuss und Wohlgefühl vermittelt“, sagt die „Berufsschnüfflerin“. Wer sich in ein Auto setzt, nimmt unbewusst über das Atmen zuerst Gerüche wahr, noch bevor er sich bewusst umschaut oder etwas befühlt. „Wenn ein Geruch stört, werden alle anderen positiven Sinneseindrücke, und seien sie noch so exklusiv, nicht mehr richtig wahrgenommen. Man fühlt sich unwohl.“ Das ist wissenschaftlich erwiesen. Der Geruch bildet daher bei der Komfort-hierarchie das Fundament, auf dem sich das subjektive Wohlbefinden aufbaut.
Geruchstest seit 1992
Ein Geruchstest wird bei Mercedes-Benz seit 1992 durchgeführt. Der Test wurde im Verband der Automobilindustrie standardisiert und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Von jedem Material, das in einem neuen Fahrzeug eingebaut werden soll, nehmen Claudia Schempp und ihre Olfaktorik-Kollegen eine Probe. Sie legen den Werkstoff in ein normales, geruchsneutrales Einmachglas, das verschlossen zwei Stunden lang bei 80 Grad Celsius erhitzt wird. Diese Temperatur kann im Innenraum eines Fahrzeugs entstehen, wenn es in der prallen Sonne steht. Unter Hitzeeinwirkung ist die Geruchsentwicklung aus physikalischen Gründen stärker. Anschließend lassen die Prüfer die Gläser auf 60 Grad Celsius abkühlen und dann wird „geschnüffelt“.
Jeder Prüfer hebt kurz den Deckel an, riecht ins Glas und schreibt seine Benotung für Stärke und Qualität des Geruchs auf. Der Mittelwert aller Benotungen stellt das Ergebnis dar. Das geht natürlich nicht im Akkord. „Je nach Geruchsintensität braucht die Nase nach sechs bis zehn Gläsern eine Riechpause von ein bis zwei Stunden, sonst ist keine Beurteilung mehr möglich.“
Die Bewertung des Geruchs erfolgt nach dem Schulnotensystem. Note Eins steht für „nicht wahrnehmbar“ (zum Beispiel Glas, Metalle, Steine), die Drei für „deutlich wahrnehmbaren Eigengeruch, aber noch nicht störend“ und die Sechs für „unerträglich“. Alles von Note Eins bis Drei besteht die Prüfung. Werkstoffe, deren Geruch schlechter abschneidet, dürfen nicht ins Fahrzeug eingebaut werden. Dann muss der Lieferant nachbessern. Besteht das Material eine erneute Prüfung, wird das Prüfergebnis verbindlich festgeschrieben. „Der jeweilige Werkstoff muss dann gleichbleibend so riechen. Der Lieferant darf die Materialzusammensetzung oder das Herstellungsverfahren nicht mehr ändern“, erläutert die Geruchsprüferin.
Einsteigen und wohlfühlen
Um das Geruchsniveau im Zusammenspiel aller Materialien zu testen, „stecken“ die Experten vor der Serienproduktion ihre Nase auch ins fertige Fahrzeug. Zu viert nehmen sie Platz, schließen die Türen und schnuppern. „Mit diesem Gesamttest stellen wir zum einen sicher, dass die unauffälligen Gerüche der verschiedenen Bauteile in der Mischung keine unangenehme Note erzeugen. Und zum anderen überprüfen wir, ob kein Einzelgeruch dominant hervortritt und dadurch stört.“ Der einzige Geruch, der in einem Mercedes-Benz bewusst wahrgenommen werden darf, ist der von Leder. Ist ein anderer Geruch zu stark, ermitteln die „Nasen“, von welchem Material er kommt. Dann muss es ausgetauscht werden.
Zusätzlich findet eine olfaktometrische Prüfung mit dem Geruchsteam statt. Dafür wird der Innenraum des Fahrzeugs mit großen Wärmestrahlern aufgeheizt. Mit einem Beutel nehmen die Profis eine Geruchsprobe aus der Raumluft des geschlossenen Fahrzeugs. Der Beutel wird an ein Olfaktometer, ein Spezialgerät für Geruchsmessungen, angeschlossen, mit geruchsneutraler Reinluft verdünnt und von den Probanden berochen. Sobald sie etwas riechen, müssen sie einen Knopf drücken. Während des Testzyklus wird die Beutelluft immer weniger verdünnt. „Mit dieser Prüfmethode erhalten wir einen Messwert darüber, wann und wie stark der Innenraumgeruch wahrgenommen wird“, so Schempp.
Ziel ist es, einen angenehmen, möglichst neutralen Geruch zu schaffen. „Einsteigen und mit dem ersten Atemzug wohlfühlen – das wollen wir unseren Kunden bieten.“ Einen geruchsfreien Innenraum kann es nicht geben. Ebenso wenig einen Einheitsgeruch, denn die Innenausstattung und damit die Materialzusammensetzung ist in jedem Mercedes-Benz Modell anders.
Ohne Parfüm, Deo und Co. zum Dienst
Wenn das „Nasenteam“ Schnuppertag hat, ist Entbehrung angesagt. Geruchsintensive Lebensmittel – wie Knoblauch und Zwiebel – sind dann ebenso tabu, wie Parfüm, Aftershave, Deo oder aromatisierte Duschgels. „Diese Gerüche stören die anderen Teammitglieder und können auch die eigene Wahrnehmung beeinflussen“ , erläutert die Expertin. Raucher kommen deshalb als Geruchsprüfer grundsätzlich nicht infrage, da der Rauch die Geruchsnerven abstumpfen lässt.
Quelle/Bilder: Daimler AG