Es kommt wohl eher selten vor, dass man bei Mercedes-Benz einen Testträger als externe Person selbst fahren kann. Bei der vor wenigen Wochen vorgestellte VISION EQXX war dies anders. Wir konnten des neue Technologiekonzept für die Serienproduktion selbst am Steuer erfahren & erleben.
VISION EQXX: 1.755 kg Fahrgewicht mit Bestwerten beim Verbrauch
Mit der VISION EQXX hat Mercedes-Benz bereits vorab in digitalen Simulationen ermittelt, das man mit einer einzigen Batterieladung über 1.000 km weit kommen sollte – und das im realen Straßenverkehr. Von der Theorie hat man dies aber auch in Form von zweier Testfahrten (inkl. aktivierter Klimaanlage) schon in der Praxis bewiesen.
In einer ersten Testfahrt von Stuttgart nach Cassis ging es dazu über die Schweizer Alpen und Norditalien an die Côte d’Azur. Hier betrug der Durchschnittsverbrauch nur 8,7 kWh pro 100 Kilometer und hatte dazu noch eine Restreichweite von rund 140 km zur Verfügung. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bei 1.008 km Wegstrecke lag dabei bei 87,4 km/h. Die zweite Testfahrt nach Silverstone über 1.202 km konnte diese Werte sogar noch toppen – hier lag die Durchschnittsgeschwindigkeit mit 83.0 km/h unwesentlich unterhalb des ersten Roadtrips, der Verbrauch mit 8.3 kW/h auf 100 km war jedoch mehr als beachtlich.
Die Batterie im EQXX besteht aus Silizium-Anoden, die Mercedes gemeinsam mit CATL entwickelt hat und dessen Zellchemie bislang noch nicht preisgegeben wurde. Die Batterie hat mit 100 kWh rund acht kWh weniger Speicherplatz, als man es vom EQS her kennt, benötigt aber 50 Prozent weniger Volumen und 30 Prozent weniger Gewicht. So kommt der Akkupack auf 495 Kilogramm, das gesamte Fahrzeug 1.755 kg.
Viel Aerodynamik & Benchmark beim cW-Wert
Bei der Vision EQXX macht Mercedes-Benz zahlreiche Punkte anders, als man es sonst gewohnt ist. Angefangen bei der Verbesserung aller Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs sowie der Verwendung von Leichtbauwerkstoffen und nachhaltigen Materialien, wie auch Effizienzmaßnahmen, speziell entwickelte und extrem rollwiderstandsarme Reifen oder der Aerodynamik mit einen cW-Wert von 0,17. Auch bei der Software wurde Hand angelegt. Teile des Technologieprogrammes wird man in naher Zukunft in zukünftigen Serienmodellen vorfinden können.
Optisch fällt das Modell vor allen durch sein Design auf. Doch besitzt das Modell auch viele weniger auffällige Details, wie z.B. aktive und passive aerodynamische Elemente. Hinzu kommt eine sehr kleine Stirnfläche, die sogar kleiner ist als im aktuellen CLA oder den smart-Modellen. Die hintere Spur ist sogar 50 Millimeter schmaler, als die Vordere und sorgt dafür, dass die Hinterräder ideal im Windschatten der Vorderräder stehen können. Der „Air Curtain“ als Luftvorhang vor und hinter den Luftausströmern hinter den vorderen Radhäusern sorgt zusätzlich in Verbindung mit den Aero-Rädern und Reifen dazu, das der aerodynamische „Bruch“ komplett geschlossen wird. Falls die Kühlplatte nicht ausreicht und sich die Kühlluftklappen im Bug öffnen, leiten Luftkanäle die zusätzliche Kühlluft über die Motorhaube und lassen den perfekten Flow im Bereich Räder und Unterboden unangetastet.
Der VISION EQXX kommt eine strömungsförmige Grundform zugute, die auf der einen Seite den Luftwiderstand verringert, man aber auch die Designphilosophie beibehalten konnte. Die Flächen der Karosserie verlaufen harmonisch von der Front bis zum Heck und zeigen oberhalb der hinteren Radhäusern eine kraftvolle Schulter. Am Heck zeigt sich aber auch eine aerodynamisch perfekt wirksame Abschlussleiste mit integrierten Heckleuchten, die optisch auf alle Fälle zuerst ungewohnt erscheint.
Das Dach sowie die Heckscheibe nutzt Mercedes-Benz für die Unterbringung von 117 Solarzellen, die für eine zusätzliche Reichweite von bis zu 25 Kilometern pro Tag sorgen kann. Einen Rückspiegel sucht man deshalb vergeblich.
Fahrtest in der Vision EQXX
Vorab des Fahrtests konnten wir den Antriebsstrang bereits mittels Testträger selbst auf der Teststrecke „erfahren“. Hierzu nutzt Mercedes-Benz einen eher unauffälligen EQB, den man intern als „eMMA“ bezeichnet und hier wohl nicht nur versehentlich einen kleinen Hinweis auf die kommende MMA-Plattform gibt. Als Fahrstrecke nutzten wir eine Distanz von knapp 16 km am Standort Immendingen mit zahlreichen Steigungen und Gefälle. Im (EQB)-Testfahrzeug konnten wir dazu einen Durchschnittsverbrauch von 10.2 kWh / 100 km erreichen, wobei die Durchschnittsgeschwindigkeit noch bei rund 45 km/h lag.
Deutlich tiefer sitzend machten wir uns danach auf unsere Testrunde mit der VISION EQXX über die identische Distanz. Dazu war das Fahrzeug deutlich aufgeräumter im Innenraum, als man es von Serienfahrzeugen gewohnt ist. Auffällig dabei war das 47,5″ Zoll 8k Touchdisplay, welches anders als beim bereits bekannten Hyperscreen durchgängig im leichten Curved-Design sich über die beiden A-Säulen erstreckt. Neuartig war auch – neben der kompletten Menüführung der Benutzeroberfläche mit dessen Echtzeitgrafiken – ein „Star Cloud“-Avatar als virtueller Reiseleiter sowie die Darstellung der Routenführung der Navigation.
Das Einzelstück VISION EQXX zeigt vor allen im Interieur einen ersten Einblick auf einen kommenden puristischen Designstil ohne komplexe Volumenkörper mit Schwerpunkt auf nur wenige Module.
Einzelstück mit Alltagstauglichkeit
Den EQXX bewegten wir zuerst zögerlich über die ersten Meter des Testgeländes, das vor Ort von zahlreichen typischen Erlkönigen befahren wurde. Angedacht war dazu eine Stecke über das Gelände mit Steigungen und Gefällstrecken als übliche Überlandfahrt per Landstraße.
Da wir die Seitenplastikscheiben möglichst nicht öffnen sollten, um Kratzer zu vermeiden, nutzten wir die Klimaanlage im normal üblichen Umfang. Normalerweise ein zusätzlicher Energieverbraucher schlechthin.
Bereits nach einigen Metern Fahrt zeigte sich die Leichtgängigkeit des Fahrzeuges mit geringen Rollwiderstand. Dabei wurde das Fahrzeug auf ebener Stecke auch kaum langsamer, sobald man vom Fahrpedal geht. Auf leicht abfallender Strecke schalteten wir die Rekuperation auf „D – – „, wo der mitfahrende Ingenieur uns eher „Rollenlassen“ empfohlen hatte. Geübte Fahrer passen Ihre Fahrweise sicherlich auch noch die angezeigten Werte von Windrichtung, Windstärke oder Luftströmung an, mit dessen Informationen wir noch wenig anzufangen wussten. In Anbetracht dessen, dass wir ein Einzelstück mit Millionenwert über die Strecke bewegen durften, konzentrierten wir uns lieber auf die eigentliche Fahrt. „Semislicks-Bereifung haben wir aber da“ – so hieß es vom Beifahrerplatz aus. Ein dezenter Hinweis, dass man das Teil durchaus auch sportlich bewegen könnte.
Das der EQXX eher selten zu sehen ist, bemerkten wir spätestens dann, als kurzerhand ein Erlkönigfahrer sein Handy auspackte, um uns spontan abzulichten. Unfair eigentlich, zumal auch wir gerne die zahlreichen Testträger im Immendingen fotografiert hätten.
Flotte Kurvenfahrten möglich
Das Fahrwerk des VISION EQXX ist komfortabel, lässt aber auch reine recht flotte Kurvenfahrt vor. Wir begrenzten uns auf eine reine Fahrt von A nach B unter Berücksichtigung des Fahrzeuges und eben nur dann das Fahrpedal zu betätigen, sobald dieses überhaupt notwendig war. Auch wenn auf dem Testgelände wenig Verkehr vorhanden war, wollten wir trotzdem nicht langsam unterwegs sein. Das Fahrzeug selbst fuhr dazu nahezu schon wie ein Serienmodell, ohne das die Plastikscheiben des Fahrzeuges uns irgendwie störten.
Die Fahrstrecke auf dem Testgelände am ehemaligen Übungsplatz der Bundeswehr in Immendingen ging über mehrere nachgebaute Straßenabschnitte der USA sowie über die sogenannte „China-Gerade“, wobei wir uns noch viel mit der idealen Rekuperation beschäftigten. Nach der Testrunde hätten wir gerne die gleiche Strecke nochmals absolviert, um unsere Werte weiter zu optimieren. Aber auch Lust, mit dem Fahrzeug auf direkte Langstrecke zu gehen, wäre vorhanden. Die Begeisterung ist groß.
Fahrauswertung der VISION EQXX Probefahrt
Unsere Fahrauswertung zeigte am Ende eine gefahrene Distanz von 16 km mit einer Durchschnitts-geschwindigkeit von 40.2 km/h sowie einen Durchschnittsverbrauch von 7.0 kWh auf 100 km. Vergleicht man die von Mercedes-Benz vergebenen Referenzwerte eines Werksfahrers, wäre hier durchaus noch Verbesserung bei den Werten möglich – vor allen bei der gefahrenen Geschwindigkeit, wie auch bei der Energierückgewinnung. So war der Werksfahrer deutlich flotter unterwegs, hatte aber auch schon mehr Erfahrung im Fahrzeug. Wäre das Fahrzeug ein in Serie produziertes Modell mit entsprechender Verfügbarkeit von Ersatzteilen, wären wir wohl auch mal ein wenig beherzter in die Kurve gegangen.
Nachhaltiger Fahreindruck
Im Vergleich mit „eMMA“ mit identischem Antriebsstrang – aber ohne weiteren Optimierungen – zeigt die Vision EQXX eine mehr als deutliche Effizienzsteigerung. Das ungeübt ein Verbrauch von 7 kWh auf 100 km/h mit aktivierter Klimaanlage überhaupt erreichbar wäre, hätten wir vorab aber nicht gedacht. Flotter bewegt, würden der Verbrauch aber kaum über 9 kW/h steigen, selbst auf Autobahnabschnitten mit teils bis zu 140 km/h. Dabei ist der Antriebsstrang nur ein Teil aller Maßnahmen des Einzelstücks.
Mehr als deutlich war unser erzielte Verbrauch, als wir später im EQE 350+ Testwagen über die Autobahn A 81 zurück nach Stuttgart fuhren. Mit einem Blick auf dessen Durchschnittsverbrauch wurde uns die Effizienz des EQXX nochmals vor Augen geführt. Der „next big step“ hinsichtlich Verbrauch und Effizienz wird wohl größer, als gedacht. Die Vorfreude ist bereits jetzt groß, wenn erste Teile des Entwicklungsprogramms EQXX in Serie gehen.
Was uns aufgefallen ist:
- bereits als ungeübter Fahrer geringer Verbrauch möglich
- keinerlei Komfortverlust während der Fahrt (inkl. Nebenverbraucher)
- Interieur mit tierfreien uns nachwachsenden Rohstoffen (z.B. Teppich aus Bambusfaser)
- kein Rückspiegel und keine Rückfahrkamera verbaut
- hoher Wirkungsgrad von 95 Prozent des Elektromotors zu den Rädern
- über 900 Volt Bordsystem
- hintere Türen nur angezeichnet und nicht zu öffnen
Bilder: Dirk Weyhenmeyer / Grafik :Mercedes-Benz Group AG