Mercedes-Benz Unfallforschung gibt es bereits seit 1969

Die Mercedes-Benz Unfallforschung (UFO) ist ein wesentlicher Baustein der Sicherheitsphilosophie „Real Life Safety“ – der Orientierung am realen Unfallgeschehen. Rund 100 Mal im Jahr rücken die Experten in einem Umkreis von etwa 200 Kilometern um Sindelfingen bei Stuttgart aus, um schwere Unfälle zu untersuchen, an denen aktuelle Fahrzeuge von Mercedes-Benz oder smart beteiligt sind. Die Erkenntnisse der akribischen Detektivarbeit fließen in die Verbesserung und die Konstruktion modellgepflegter und neuer Modelle ein.

1969 gegründet, ist die Mercedes-Benz Unfallforschung eine der ältesten derartigen Abteilungen der Automobilindustrie. Seither haben die Mitarbeiter insgesamt mehr als 4.700 Verkehrsunfälle untersucht und rekonstruiert. Die meisten Einsätze liegen in rund 200 Kilometer im Umkreis von Sindelfingen, in Einzelfällen ist die Entfernung auch wesentlich größer.

Dank der Kooperation mit dem Innenministerium des Landes Baden-Württemberg meldet sich die Polizei, wenn sich im Einsatzgebiet ein schwerer Unfall mit Beteiligung eines aktuellen Mercedes-Benz Modells ereignet hat. Rücken die Forscher dann mit ihrem Einsatzfahrzeug (Details siehe nächste Seite) aus, beginnen sie ihre Arbeit meist am Unfallfahrzeug, das oftmals schon in der Werkstatt steht: Wie stark hat sich die Karosserie verformt? Haben die Rückhaltesysteme ausgelöst? Gibt es Auffälligkeiten oder Kontaktstellen im Innenraum des verunglückten Mercedes‑Benz Modells? Das alles auf freiwilliger Basis und mit Zustimmung des Fahrers.

Im nächsten Schritt wird der Unfallort besucht, um den Unfallhergang auch bei Alleinunfällen, also Unfällen ohne Beteiligung eines anderen Fahrzeugs, zu rekonstruieren. Welche Stellung hatte das oder hatten die Fahrzeuge beim Aufprall? Gibt es Brems- oder Schleuderspuren? Diese und viele weitere Fragen werden systematisch beantwortet. Seit gut vier Jahren setzen die Unfallforscher dabei einen Laserscanner ein, mit dem sich die Unfallstelle in einer Punktwolke dreidimensional scannen und automatisch vermessen lässt.

Auf einem Tablet-PC werden die Antworten auf die Fragen strukturiert und elektronisch festgehalten. Hinzu kommen Fotos und Skizzen. Wenn schließlich alle Informationen vorliegen, erfolgt die systematische Rekonstruktion der Kollision.

Dabei hilft den Forschern eine spezielle Software. Sie verwandelt die am Unfallort erhobenen Daten und Messwerte in bewegte Bilder. Dazu kombiniert der Rechner beispielsweise die Länge der jeweiligen Brems- oder Schleuderspuren mit den Konstruktions- und Fahrdynamikdaten des verunglückten Fahrzeugs und rekonstruiert auf diese Weise den Unfallhergang. Am Bildschirm erkennen die Fachleute dann, wie sich das Auto vor, während und nach der Kollision bewegt hat.

Die Ergebnisse werden schließlich mit den Daten anderer Unfälle verglichen, sodass die Automobilingenieure im Laufe der Zeit ein genaues Bild über typische Schadensmuster bekommen und Erkenntnisse für die Entwicklung neuer, noch wirksamerer Schutzsysteme gewinnen. Mit Hilfe der so genannten prospektiven Effizienzanalyse finden die Unfallforscher außerdem heraus, welche Folgen ein Unfall gehabt hätte, wäre eine bestimmte Sicherheitseinrichtung an Bord gewesen.

Die Rückkoppelung in die Fahrzeugentwicklung erfolgt auf verschiedenen Wegen: Bei einzelnen Auffälligkeiten sprechen die Unfallforscher direkt die Verantwortlichen in den Baureihen an. Systematische Verbesserungsvorschläge fließen in die Lastenhefte neuer Baureihen ein. Außerdem wird ein Jahresbericht zusammengestellt, der Trends und Entwicklungen im Bereich der Verkehrssicherheit darstellt. Hier wird auch aktuellen Fragestellungen, beispielsweise der Unfallentwicklung mit Elektrofahrrädern, detailliert nachgegangen. Um ihre Neutralität als Forscher nicht zu gefährden, erstellen die UFO-Experten grundsätzlich keine Gutachten für Unfallbeteiligte oder als Sachverständige für die Justiz.

Werkzeug und Kamera immer an Bord des Einsatzfahrzeugs

Aktuelles Einsatzfahrzeug ist eine auffällig folierte V-Klasse. Mit ihr rücken die Unfallforscher von Mercedes‑Benz seit 2017 aus. Ein Gelblichtbalken wird beim Untersuchen der Unfallstelle eingeschaltet, um diese abzusichern. Zur Ausrüstung gehört Werkzeug für die mögliche Demontage von Bauteilen im Rahmen der Unfallanalyse. Außerdem ein Wagenheber, ein Messrad sowie ein 3D-Laserscanner mit Stativ zum Vermessen der Unfallstelle. Weiterhin noch ein Diagnosetool zum Auslesen der relevanten Steuergeräte des Unfallfahrzeugs, ein Tablet-Computer zur Dokumentation der Schäden am Fahrzeug, Warnwesten, Fotoausrüstung samt Teleskopstangen für Überkopfaufnahmen sowie diverse Mess- und Prüfgeräte für Hochvoltfahrzeuge.

International aufgestellt und mit Digitaltechnologie ausgerüstet

Mit Kollegen in Indien und China ist die Mercedes-Benz Unfallforschung seit einigen Jahren auch international tätig. Die fernöstlichen Unfallforscher profitieren von der Expertise aus Sindelfingen. Mit Hilfe von AR-Brillen[1] können sie sich direkt und in Echtzeit mit den Kollegen austauschen und so gemeinsame Analysen durchführen, obwohl die deutschen UFO-Experten nicht vor Ort sind.

Nutzerverhalten und Unfallgeschehen unterscheiden sich in europäischen und asiatischen Ländern zum Teil erheblich. Ziel der Unfallforschung beispielsweise in Asien ist es auch, Ansätze zu entwickeln, um die im Vergleich zu Europa erheblich höheren Opferzahlen zu verringern.

Unfallforschung auch bei Nutzfahrzeugen

Seit 1972 untersucht auch die Nutzfahrzeug-Unfallforschung bei Daimler deutschlandweit Unfälle von Mercedes-Benz Lkw, um daraus Maßnahmen für die Aktive und Passive Sicherheit abzuleiten. Dokumentiert werden grundsätzlich alle Informationen zum Unfallhergang, zu den beteiligten Fahrzeugen und zu den Schäden. Ebenso suchen die Unfallforscher nach Auffälligkeiten etwa in Bezug auf die Häufigkeit von Unfallarten, die Erkennbarkeit bestimmter Ablaufmuster oder die Verletzungen der Unfallbeteiligten. Auf Basis dieser Analyse leiten die Unfallforscher Änderungsmaßnahmen ab, die in zukünftige Mercedes-Benz Anforderungen münden. So entstand vor einigen Jahren die Idee zum Abbiege-Assistenten, der bei Mercedes-Benz ab Werk für viele Lkw-Modelle auf dem Markt erhältlich ist.

Das innovative System, das dazu beiträgt, Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern zu vermeiden, ist nur eines von vielen Beispielen für die Vorreiterrolle, die Mercedes-Benz Lkw schon seit Jahrzehnten rund um die Entwicklung von Sicherheits- und Assistenzsystemen einnimmt. In den verschiedenen Baureihen waren zahlreiche Systeme schon lange verbaut, bevor sie gesetzlich vorgeschrieben wurden. Das gilt für das Antiblockiersystem (ABS) und die Antriebsschlupfregelung (ASR) ebenso wie für das Elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) und den Notbremsassistenten, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

„Unsere detaillierten Untersuchungen halten wir für unerlässlich, um das Verhalten des Fahrzeugs im realen Unfall bewerten zu können“, betont Kay Morschheuser, Leiter Nutzfahrzeug-Unfallanalysen bei Mercedes-Benz Lkw. Nur so sei es möglich, kontinuierlich weitere Verbesserungen ins Fahrzeug einfließen zu lassen. Im Zentrum der Lkw-Entwicklung von Mercedes-Benz steht dabei stets die Unfallvermeidung – allein schon bedingt durch die große Masse eines Lkw. Eine mindestens genauso wichtige Rolle spielt aber auch die Minderung von Unfallfolgen. Unverzichtbar hierfür sind Crashtests, wie sie Mercedes-Benz Lkw ebenfalls seit vielen Jahren systematisch durchführt. Damit wird die Sicherheitsentwicklung gerade auch der schweren Nutzfahrzeuge nochmals entscheidend vorangetrieben.

Eigene Unfallforschung von Mercedes-Benz Vans

Forschungen mit Fokus auf den Transportern gibt es ebenfalls schon seit den 70er-Jahren. Die verschiedenen Bereiche waren zunächst jedoch anderen Sparten zugeordnet. Die Van-Unfallforschung wurde im Sommer 2015 neu aufgestellt und hat ihr Hauptquartier im Werk Untertürkheim der Daimler AG. Von hier aus untersuchen die Ingenieure ausgewählte Unfälle, in die Transporter von Mercedes-Benz verwickelt waren. Die Ergebnisse fließen direkt in die Fahrzeugentwicklung ein und machen so Mercedes-Benz Vans noch sicherer.

Da zur Untersuchungsroutine die Vermessung des Unfallfahrzeuges und des Unfallortes gehört, steht der Van-Unfallforschung ein Mercedes-Benz Vito Mixto als Einsatzfahrzeug zur Verfügung, der viel Raum für das benötigte Equipment bietet. Im Laderaum, der von den Sitzreihen durch eine Trennwand abgetrennt ist, befindet sich vom Messrad über Sicherheitsweste und Fotokamera bis zum Gefällemesser alles, was zur Unfallanalyse notwendig ist. Stehen in besonderen Fällen Flugreisen an, lassen sich die Regalkomponenten als fertig gepackte Werkzeugkoffer entnehmen und gestapelt als Fluggepäck aufgeben. Im Sinne der Strategie „Mercedes-Benz Vans goes global“ ist angedacht, die Analysen der Unfallforscher zukünftig auf Fahrzeugvarianten und Baumuster anderer Märkte auszudehnen – zum Beispiel auf Rechtslenkerfahrzeuge oder Modelle des nordamerikanischen Marktes.

[1] AR = Augmented Reality, um digitale Inhalte ergänzte Realität

Quelle: Mercedes-Benz Group AG