Vom GTI zum GT: Mein Weg als Ingenieur

Dieser Beitrag von Christian Enderle ist ein Crossposting und erschien am 13.07.2015 auf dem Daimler-Blog.

Wenn man so wie ich im Ruhrgebiet aufwächst, dann kommt man eigentlich automatisch früher oder später dazu, über Autos und deren Antriebe nachzudenken. Ich bin mir gar nicht sicher, ob das an den vielen Autobahnen liegt, die die großen Städte miteinander verknüpfen, oder vielleicht auch an den Industriestandorten und der Nähe zu den Produktionswerken der Automobilhersteller.

Das Automobil ist hier aus dem Alltag nicht wegzudenken – und so kam es, dass es auch für mich ein Bestandteil meiner Kindheit war und schon früh mein Interesse weckte. Als Jugendlicher habe ich bereits an allem, was vier Räder besaß, geschraubt – auch an den Auspuffanlagen: Denn „laut“ galt damals gleichbedeutend mit „schnell“. Ich war ziemlich stolz auf meinen „Einser“ – einen Golf GTI mit 180 km/h Spitzengeschwindigkeit, was in den 70er Jahren wirklich schnell war.

Vom Panzerfahrer zum Ingenieur

Bevor ich nach dem Abitur mit meinem Maschinenbaustudium begann, absolvierte ich zuerst meinen Wehrdienst: Bei der Bundeswehr wurde ich zum Panzerfahrer ausgebildet und beschäftigte mich dadurch auch eingängig mit der Technik des schweren Geräts.

Meine Ausrichtung, beruflich etwas mit Fahrzeugen zu machen, stand spätestens nach dieser Zeit eindeutig fest! Deshalb führte mein Weg mich nach dem Wehrdienst an die Technische Uni in Aachen – dort gab es schon damals ein großes Angebot zu Studiengängen im Bereich Maschinenbau. So begann ich im Jahr 1978, Maschinenbau zu studieren, als Basis für mein Ingenieurwissen.

Unter den acht Vertiefungsrichtungen (darunter zum Beispiel auch Textil- und Produktionstechnik) wählte ich Verbrennungsmotoren und Fertigungstechnik aus – und fand am „VKA“, dem Lehrstuhl für Verbrennungskraftmaschinen, meinen persönlichen Lehrmeister: Prof. Pischinger, der bis heute in Fachkreisen sehr bekannt ist. Pischinger hat mir damals die Motoren im Detail näher gebracht und hatte als Wissenschaftler viele Freiheiten am damaligen Lehrstuhl für „angewandte Thermodynamik“.

Von ihm habe ich damals gelernt, dass ein „feiner“ Motor mehr als vier Zylinder haben sollte…

Faszination Motoren

Je mehr ich lernte, desto größer wurde die Faszination, denn: Aus Sicht eines Ingenieurs sind Motoren ein ideales und sehr faszinierendes Feld für die Entwicklung neuer Ideen. Hier ist wirkliche Kreativarbeit gefragt – und man muss die gesamte Bandbreite der Ingenieurswissenschaften einsetzen.

Bereits in den 80er Jahren beschäftigten sich die Entwickler immer stärker damit, wie der Kraftstoffverbrauch gesenkt und gleichzeitig die Leistung der Motoren gesteigert werden könnte. Das erklärte Ziel war es, die Verbrennung des Kraftstoffs im Motor effizienter zu machen.

Bei mir reifte die Idee von sportlichen Mehrventilmotoren mit mindestens vier Ventilen pro Zylinder. Oder sollten es besser gleich fünf Ventile sein? Kombiniert mit elektromagnetischer Steuerung? Und einer Direkt-Einspritzung? Leichter gezeichnet, als getan: Denn die Haltbarkeit der Motoren war damals ein „Pferdefuß“. Wir lernten aus den technischen Fehlern und konstruierten danach neu. Heute gestaltet sich der Entwicklungsprozess bei Motoren viel schneller und effizienter, auch durch gezielte Versuche und die Möglichkeit, fast alles vorab simulieren zu können.

Diplomarbeit: direkteinspritzender Dieselmotor

Am Ende meines Studiums schrieb ich meine Diplomarbeit bei Mercedes-Benz, mit dem Thema „der direkteinspritzende Dieselmotor mit sensationellem 2000 bar Einspritzdruck“. Zu meiner großen Freude durfte ich anschließend gleich in der Dieselmotorenentwicklung anfangen!

In meiner Anfangszeit wurde bei Mercedes-Benz der Vorentwicklungsbereich für Motoren erheblich aufgestockt – Ingenieure waren gefragt, und das Unternehmen war schon damals sehr innovativ. Eine tolle Zeit, vor allem auch für einen damaligen Berufseinsteiger! Und schließlich gingen bei Mercedes-Benz auch die Vielventil-Motoren und die Direkteinspritzung in Serie… ein kleiner Erfolg auch für mich.

Über Nacht zum Leiter Motorenentwicklung

Ich mache jetzt an dieser Stelle einen Zeitsprung, in das Jahr 2012, als ein Anruf mich zu AMG lockte. Am anderen Ende der Leitung war Ola Källenius, der damalige AMG-Chef – er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, Leiter der Motoren- und Triebstrang-Entwicklung bei AMG zu werden. Für meine Antwort gab er mir genau eine Nacht Bedenkzeit.

In dieser Nacht habe ich natürlich viel überlegt: Ich wusste nicht genau, was mich in dieser Position alles erwartet – aber die Faszination für AMG wischte alle Bedenken beiseite. Ich sagte zu!

Kaum bei AMG angekommen, übernahm ich gleich das erste spannende Projekt: Auch AMG arbeitete gerade an einer neuen sehr innovativen V8-Motorenfamilie – dem M177/M178, der inzwischen im AMG GT mit Trockensumpfschmierung und im neuen C 63 mit Nasssumpf zum Einsatz kommt. Für mich eine tolle Chance, diese spannende Entwicklung direkt von Anfang an zu begleiten!

Affalterbacher Entwicklungsgeist

Wenn wir einen neuen AMG-Motor wie den M177/M78 entwickeln, schauen wir uns zunächst die Vorgänger-Motoren an und erstellen eine Analyse der Eigenschaften. Wir schauen aber natürlich auch nach links und rechts: Was machen die anderen Hersteller, was können die Mitbewerber?

Für uns ist klar: AMG muss technisch ganz vorne sein, etwas anderes kommt nicht in Frage. Wir suchen immer nach einer Lösung, die noch besser ist, noch schneller, noch effizienter, und geben uns mit dem Status Quo nicht zufrieden – das zeichnet die Arbeit mit der AMG-Entwicklungsmannschaft prinzipiell aus.

Im Team entscheiden wir auch, was das neue Aggregat können und noch besser machen soll als der Vorgänger. Die Nachhaltigkeit ist bei der Entwicklung für uns enorm wichtig – aber eben auch eine Herausforderung für unsere Ingenieure. Gemeinsam diskutieren wir, wie wir mit einem neuen Motor noch effizienter, noch verbrauchsärmer werden können.

8,2 Liter – ein Spitzenwert im NEFZ-Zyklus

Und das mit Erfolg: Der C 63 fährt den NEFZ-Zyklus mit 8,2 Litern – ein Spitzenwert in diesem Segment, der für uns Entwickler ein kleiner Sieg bedeutet und uns stolz macht. Bis zu diesem Ergebnis ist es aber ein langer Weg, auf dem wir auch mal Rückschläge einstecken müssen. Die Simulationsmöglichkeiten und die vielen digitalen Werkzeuge, die es heute gibt, helfen uns aber, die Komponenten für die Motoren zu entwickeln – das alles sind Möglichkeiten, von denen ich in meiner Studienzeit nur träumen konnte!

Heute können wir bereits während der Konzeptphase das mögliche Ergebnis simulieren und damit die Grundauslegung des Motors und seiner Leistungsdaten erarbeiten. Ganz besonders freut mich, wenn ich junge Ingenieure mit meiner Begeisterung anstecken kann: Wer weiß, was die nächste Generation der Motoreningenieure so konstruiert. Vielleicht etwas, was es bisher weder bei Mercedes-Benz noch bei AMG gegeben hat – es müssen ja nicht immer fünf Ventile pro Zylinder sein…

Motorensound: Das i-Tüpfelchen bei AMG

Der AMG-Sound eines Motors steht bei jedem Modell mit im Lastenheft: Jeder AMG muss den unverwechselbaren, sonoren Motorensound erzeugen, der uns Entwicklern trotz unserer täglichen Arbeit an den Fahrzeugen immer noch eine Gänsehaut beschert. Doch auch beim Thema Sound gibt es viele gesetzliche Vorschriften, die wir berücksichtigen müssen und die auch die Rahmenbedingungen für unser Soundengineering stellen.

Wir wollen aber keine künstlichen Geräuschquellen, der Motor soll den Sound „natürlich“ produzieren und auch so klingen. Deshalb erzeugen wir den AMG-Sound über bis zu drei Klappen, einer Kombination von Auspuff und seiner Grundauslegung, und natürlich dem Motor selber.

Am Ende entscheidet aber das Bauchgefühl: Wie bei einer Komposition eines Musikstückes entscheidet schlussendlich das menschliche Gehör, wann der Sound zum Auto passt.

Das „heiße Innen-V“

Der 4,0-Liter-V8-Biturbomotor M177, für den AMG C 63 ist ein enger Verwandter des M178, dem Sportwagenherz des neuen Mercedes-AMG GT. Es kommt bei beiden Motoren eine Biturboaufladung zum Einsatz, bei der die beiden Lader nicht außen an den Zylinderbänken, sondern dazwischen im Zylinder-V angeordnet sind – Fachleute sprechen vom „heißen Innen-V“. Das hat Vorteile: kompakte Motor-Bauweise, optimales Ansprechverhalten und geringe Abgasemissionen.

Die Gemischaufbereitung übernimmt eine Piezo-Benzin-Direkteinspritzung. Davon träumte ich als junger Ingenieur vor 30 Jahren. Der 4,0-Liter-V8-Biturbomotor erfüllt dabei auch die Euro-6-Abgasnorm inklusive der erst ab 2016 geltenden Regelung für den maximalen Partikelausstoß – „sauber“ und „sportlich“ sind also heute kein Widerspruch mehr!

Wichtiges Detail: Dynamische Motorenlager

Ein anderes wichtiges Detail sind für mich die dynamischen Motorlager: Der neue C 63 S – wie auch der Mercedes-AMG GT S – sind damit ausgestattet. Sie lösen den uralten technischen Zielkonflikt zwischen Komfort und Fahrdynamik, indem sie Schwingungen der Motor/Getriebe-Einheit reduzieren. Die dynamischen Lager können ihre Steifigkeit stufenlos und blitzschnell an die jeweiligen Fahrbedingungen und das Fahrverhalten anpassen.

Weiche Motorlager verbessern den Komfort, da sie Geräusche und Schwingungen besser entkoppeln. Handling und Agilität profitieren hingegen von tendenziell steifer ausgelegten Lagern. Der Fahrer fühlt sich bei dynamischer Fahrweise besser ans Fahrzeug angebunden, denn er erhält mehr Rückmeldung, zudem ist die Lenkansprache direkter. Insgesamt profitiert er von einem präziseren Fahrgefühl: Durch minimierte Bewegungen der Aggregatmasse entsteht dem Fahrer weniger Korrekturaufwand beim Einlenken. Ich denke, wir können auf diese beiden (Motoren)-Brüder stolz sein!