Dieser Beitrag von Dan von Appen ist ein Crossposting und erschien am 05.10.2015 auf dem Daimler-Blog.
Selten eine so coole Kaffeefahrt gesehen. Nein – das wäre jetzt despektierlich und irreführend. Und doch: Da sitzen zwei Herren am Freitagvormittag in einem Mercedes-Benz Actros, der 40-Tonner rollt auf der A8 im öffentlichen Verkehr und der eine, Wolfgang Bernhard, reicht dem anderen, Winfried Kretschmann, einen Kaffee.
Ums Fahren kümmert sich der „Highway Pilot“. Das ist so ganz nebenbei eine Weltpremiere. Aber warum diese autonome, total normale Fahrt von Daimler-Trucks Vorstand, Actros und grünem Ministerpräsident?
Erster Test auf deutschen Straßen
Die heutige Premiere ist ein Schritt hin zur Marktreife autonom fahrender Lkw. Das strategische Ziel dabei: Ein sicherer, nachhaltiger Straßengüterverkehr für die Zukunft. Bei der Weltpremiere des Freightliner Inspiration Trucks im Mai in den USA hatte Daimler verkündet, den Highway Pilot, also das intelligente, radargestützte Assistenzsystem, das den Actros selbst steuern lässt zeitnah auch auf deutschen Straßen zu testen. Fünf Monate später ist jetzt soweit.
Kretschmann findet’s klasse
„Klasse“ findet Kretschmann die Jungfernfahrt. Anfangs sei es ihm etwas merkwürdig vorgekommen, dass der Fahrer die Hände vom Lenkrad genommen habe. „Nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, das ist alles normal“, sagt der Grünen-Politiker nach der Fahrt. Er habe unterwegs „ein absolut sicheres Gefühl“ gehabt.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann nach der autonomen Fahrt im Actros: "Ich hatte ein absolut sicheres Gefühl." pic.twitter.com/P4j6dSzbq3
— Daimler Truck AG (@DaimlerTruck) October 2, 2015
Gut so, denn für diese und weitere öffentliche Versuchsfahrten brauchen die Ingenieure von Daimler Trucks eben auch die Unterstützung von offizieller Seite.
Der serienmäßige Truck mit „Sonderausstattung“ Highway Pilot ist als Versuchsfahrzeug zugelassen. Der TÜV Rheinland hatte zuvor das Fahrzeug überprüft und eine gutachterliche Stellungnahme erstellt. Und auf dieser Grundlage erteilte das Regierungspräsidium Baden-Württemberg höchstselbst eine Ausnahmegenehmigung. Beruhigend für den Ministerpräsidenten zum Einstieg. Einen festen Glauben (in diesem Fall an die Technik) sagt man ihm ja sowie so nach.
Die vier Stufen
Der Highway Pilot, der in diesem Actros eingebaut ist, ermöglicht teil-autonomes Fahren. Das bedeutet: Das System kann den Lkw auf Autobahnen zwar selbst steuern – der Fahrer bleibt aber voll verantwortlich, muss den Verkehr jederzeit überwachen und auch jederzeit eingreifen können. Der Highway Pilot ist also vergleichbar mit einem Autopiloten, wie er in Flugzeugen üblich und ganz normal ist.
Das System besitzt dazu ein Frontradar und eine Stereokamera sowie bekannte Assistenzsysteme wie den Abstands-Regeltempomat. Die Technologie wurde für den Einsatz auf öffentlichen Straßen angepasst. Zuvor wurde das reibungslose Zusammenspiel der Komponenten ausgiebig erprobt. Der Highway Pilot hat etwa 20.000 Kilometer auf Teststrecken in Deutschland und in den USA absolviert.
Kleiner Exkurs: Das: automatisierte Fahren kann man grundsätzlich in vier Kategorien einteilen: Assistiertes Fahren, teilautomatisiertes und hochautomatisiertes Fahren bis zum vollautomatisiertem Fahren. Assistiertes Fahren lässt die Ingenieure heute schon gähnen, wenn über Adaptive Cruise Control oder Parkassistent gesprochen wird. Merkmale sind Längsführung und in geringem Umfang Querführung. Der nächste Level ist das teilautomatisierte Fahren. Es umfasst Längs- und Querführung in spezifischen Situationen wie der Autobahnfahrt.
Dabei muss der Fahrer das System weiterhin überwachen und bei Bedarf eingreifen. Eine Stufe weiter: Das Hochautomatisierte Fahren, wobei das Fahrzeug über einen längeren Zeitraum die Führung übernimmt. Hier muss der Fahrer überhaupt nicht mehr die Hand am Lenker haben und darf bei einer Übernahmeaufforderung durch das System mit einem gewissen Zeitverzug reagieren. Tut er dies nicht, dann überführt der Computer das Auto in einen „risikominimalen Zustand“- sprich, das Auto fährt, noch autonom, einfach rechts ran und hält.
Die Zukunftsvision der Mobilität schlechthin ist das vollautomatisierte Fahren. Kein Fahrer muss das System mehr überwachen, es gibt eigentlich nur noch Passagiere und alle können es sich auf dem Rücksitz bequem machen. Das wird hoffentlich für einen Mercedes-Benz-Pkw „alternativlos“ so nie geplant sein, denn dafür fahren die einfach „nicht autonom“ zu gut. Für den Truck- sprich Logistikbereich zählen aber auch andere Argumente.
Mehr Sicherheit, weniger Stress und Sprit
Im Straßengüterverkehr könnte durch autonomes Fahren die Sicherheit gesteigert werden: Das Highway-Pilot-System wird nie müde oder unaufmerksam, sondern ist immer aktiv. Eine Studie ergab, dass die Ermüdung von Fahrern um 25 Prozent sinkt, wenn sie vom monotonen Spurhalten entlastet werden und anderweitige Aufgaben übernehmen können.
Durch optimales Schalten, Beschleunigen und Bremsen verbrauchen autonom fahrende Trucks weniger Diesel – und senken so auch die CO2-Emissionen. Daimler Trucks geht Einsparungen von bis zu fünf Prozent aus. Autonom fahrende Lkw könnten auch einen attraktiveren Arbeitsplatz bieten: Dass der Fahrer einen großen Teil der Strecke dem Highway Pilot überlassen kann, reduziert den Stress im Cockpit.
Voll autonom fahrend, kann sich der Trucker sich wichtigen Nebentätigkeiten zuwenden – etwa Dokumentationsaufgaben an einem Tablet-PC. Logistikplanung statt Langeweile am Steuer. Diese Vorteile könnten sich gerade dann auszahlen, wenn die Laufleistung von Lkw sehr hoch ist: Im Fernverkehr legen deutsche Trucks pro Jahr durchschnittlich 130.000 Kilometer zurück – Pkw erreichen im Schnitt „nur“ 14.000 Kilometer.
Können alles, auch autonom
Tausende von Kilometern sind Ralf Oberfell und Enrico Wohlfahrth als Autonome (Trucker) auch schon für das Projekt gefahren. Schon bei der ersten Fahrt des Future Truck 2025 in Magdeburg waren sie involviert. Oberfell hat große Teile der Software programmiert und Wohlfarth arbeitet als technischer Projektleiter der Testfahrten. Lächelnd stehen sie vor dem schwarzen Actros. Erste Fahrt auf öffentlichen Straßen, alles hat gepasst, „Chef“ und „MP“ zufrieden. Tags zuvor hatten sie mit Wolfgang Bernhard die Strecke auf dem Actros zur Probe einmal abgefahren.
Wohlfahrth ist stolz, im Kopf aber schon weiter:
Jetzt haben wir die für uns wichtige Möglichkeit, auf öffentlichen Straßen weiter zu testen, Messdaten aus dem realen Verkehr zu bekommen:Unsere Arbeit beginnt jetzt.
Wir drei finden abschließend aber schon ziemlich mutig, was Wolfgang Bernhard mit seiner Demonstrationsfahrt gemacht hat: Mal eben, übertragen von einem Livestream und vor tausenden von Zuschauern und versammelter Presse, eine autonome Runde mit Winfried Kretschmann gedreht. Ich denke, er wird gewusst haben, dass er sich auf Kollegen wie Oberfell und Wohlfahrt zu 100 Prozent verlassen kann. So wie wir andere Verkehrsteilnehmer auch.
Selbstversuch als Beifahrer
Zeit für mich, auch einmal mitzufahren. An Bord auch ein Fernsehteam samt Kameramann, Tonmann und Reporterin mit gezücktem Mikro. Wenn jetzt eine Kleinigkeit nicht funktioniert, weiß es JEDER, es wäre DIE STORY. Aber nö. Der Fahrer aktiviert nach der Autobahnauffahrt den Highway Pilot, nimmt die Hände vom Lenkrad und der Actros gleitet auf der rechten Spur mit 80 km/h vor sich hin.
Hält den Sicherheitsabstand, macht auf die Baustelle aufmerksam, fordert schließlich auf, wieder zu übernehmen. Rückfahrt, gleiches Spiel, scheinbar spielerisch leicht. Keinem der anderen Verkehrsteilnehmer ist aufgefallen, wer hier eigentlich gesteuert hat.
Die Reporterin versucht es nochmal beim Fahrer mit einer investigativen Killerfrage: „Haben Sie keine Angst?“ Ich frage mich: Wo war eigentlich mein Kaffee? Egal. Heute gab es für autonomes Fahren von Daimler Truck „grünes Licht“ von ganz oben.