Vom Rennsport auf die Straße und umgekehrt – Synergien zwischen Formel-1- und Mercedes-Benz Serienentwicklung

In der Formel 1 ist Performance alles, aber auch bei Serienfahrzeugen stehen Performance und maximale Effizienz im Fokus. Diesen Herausforderung, stellt sich die Entwicklungsabteilung von Mercedes-Benz Cars – sowohl für die Formel 1 als auch für Mercedes-Benz Pkw.

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Stärker als je zuvor gilt daher bei Mercedes-Benz vom Rennsport auf die Straße und umgekehrt. Doch wo genau nutzen die Ingenieure in Brackley bei Mercedes AMG Petronas und in Stuttgart bei Mercedes-Benz Synergien beider Entwicklungsabteilungen?

F1 Hybride

„Wir werden oft gefragt, ob es überhaupt einen Technologietransfer zwischen der Entwicklung von Renn- und Serienfahrzeugen gibt. Die Antwort ist ein eindeutiges ‚Ja‘. Aber wir schrauben nicht einfach Bauteile von einem Auto an das andere, der Prozess ist viel subtiler”, so Paddy Lowe, Executive Director (Technik) bei MERCEDES AMG PETRONAS. „So gibt es Beispiele für direkten Transfer – etwa die NANOSLIDE Technologie für die Beschichtung von Zylinderlaufflächen. Und dann gibt es indirekten Transfer, bei dem die Formel 1 als Entwicklungslabor fungiert, neue Lösungen entwickelt und der Welt zeigt, was möglich ist.”

„Technologien wie die Benzin-Direkteinspritzung haben über die Silberpfeile der 50er Jahre ihren Weg in die Serienproduktion gefunden”, ergänzt Prof. Thomas Weber, Mitglied des Vorstands der Daimler AG und verantwortlich für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. „Heute ähneln die komplexen Herausforderungen der Formel 1 sehr jenen Anforderungen, die sich uns bei der Konstruktion und Entwicklung wegweisender Straßenfahrzeuge wie dem S 500 PLUG IN HYBRID stellen – Effizienz in überlegene Performance umwandeln.”

Nach dem Einstieg in die Formel 1 als Werksteam 2010 tat Mercedes-Benz, was das Unternehmen am besten kann: hart arbeiten und in Entwicklung investieren. Während das Team auf der Rennstrecke immer wettbewerbsfähiger wurde, begann eine technologische Herausforderung für 2014. Die Entwicklungserfahrung von Mercedes-Benz sollte dabei eine entscheidende Rolle spielen. Eine Entwicklungsschleife schloss sich: von der Serienproduktion zu KERS (2009), dem ersten Hybrid-Vorstoß der Formel 1, zur Serienproduktion (AMG SLS Electric Drive) und schließlich zum F1-Vollhybriden 2014 (W05 Hybrid). Als Folge der Partnerschaften aus Projekten wie KERS stiegen Kompetenz im Unternehmen und Vorsprung auf der Rennstrecke.

Die Entwicklung war sehr schnell: In der ersten Entwicklungsstufe 2007 wog KERS 107 kg und erreichte eine Energieeffizienz von 39 %. 2009 waren 25,3 kg und 70 % Effizienz erreicht. 2012 wog das System weniger als 24 kg und erzielte 80% Effizienz. Als die Saison 2014 näher rückte, intensivierten Mercedes AMG Petronas und Mercedes-Benz Cars ihre Zusammenarbeit.

Die Hauptgebiete der Kooperation sind heute:
Hybrid: Wie die Formel 1, so müssen auch die Serienautos in deutlichen Schritten die Effizienz verbessern. Auf der Suche nach weiteren Effizienzsteigerungen sind die Entwicklungsteams beider Seiten dabei in ständigem Kontakt. Beiden Seiten kommt dabei die große hausinterne Kompetenz bei der Entwicklung von Komponenten wie Elektromotoren, Batterien und Steuerungssystemen zugute – genauso wie den Kundenteams, die den Mercedes-Benz Antrieb erfolgreich in der F1 einsetzen. Der aktuelle Rennwagen W05 Hybrid beispielsweise ist rund 35 Prozent effizienter als sein Vorgänger – ebenso der bald eingeführte S 500 PLUG IN HYBRID: Er bietet eine Leistung von 325 kW und 650 Nm Drehmoment, sprintet in nur 5,2 Sekunden von 0 auf 100 km/h und kann rein elektrisch 33 km weit fahren. Der zertifizierte Verbrauch beträgt 2,8 Liter/100 km, wobei der Praxisverbrauch ebenfalls ausgezeichnet ist. Schlüsselelemente dieser beeindruckenden Leistung sind der Biturbo-V6 und der aufwendige Hybridantrieb.

Der nächste Schritt bei der Hybrid-Entwicklung ist das induktive Laden der Batterie. Diese „unplugged“-Technologie wird bald in einer Testflotte mit dem S 500 PLUG IN HYBRID erprobt und bietet schon in naher Zukunft eine echte S-Klasse Lösung hinsichtlich Komfort und einfacher Bedienung. Das System besteht aus zwei Komponenten: einer Sekundärspule im Fahrzeugboden sowie einer Bodenplatte mit integrierter Primärspule, die unterhalb des Autos – zum Beispiel auf dem Garagenboden – platziert wird. Die elektrische Energie wird berührungslos, ohne Ladekabel, mit einer Leistung von 3,6 kW übertragen. Mit einem Wirkungsgrad von mehr als 90 Prozent lassen sich die Hochvolt-Batterien im Fahrzeug so effizient, komfortabel und sicher aufladen. Daimler und BMW haben sich auf die gemeinsame Entwicklung und den Einsatz einer einheitlichen Technologie zum induktiven Laden von Elektroautos und Plug-In-Hybridfahrzeugen verständigt.

Simulation: Wer im Motorsport erfolgreich abschneiden will, muss wirklichkeitsgetreue Simulationen programmieren und durchführen. Zunächst untersuchten die Formel-1-Ingenieure, wie gut vorhandene Simulationen die Realität abbilden. Grundlegend dabei: Zu verstehen, welche Faktoren entscheidend für die Verbesserung von Rundenzeiten sind. Ergebnis: Die Formel-1-Fachleute mussten neue Simulationen entwickeln, um die richtigen Antworten zu erhalten. Produktion und Montage wurden vorab mit Simulationstools durchgespielt. Am Ende lieferte das Team binnen vier Monaten erfolgreich 5.000 Bauteile und nahezu 15.000 Zeichnungen. Dabei konnte auf die langjährige Erfahrung und die bewährten Methoden der Simulationsexperten von Mercedes-Benz zurückgegriffen werden. Das Formel-1-Team profitierte so beispielsweise von der Daimler Kompetenz bei Fahrsimulationen und der Nachbildung von Reifen und wurde unterstützt bei der Entwicklung der DIL-Simulation (Driver in the Loop). Die Formel 1 treibt Innovationen in diesen Bereichen voran, besonders bei der Frage nach dem richtigen Prozess, also wie und mit welchen Methoden sich relevante Probleme lösen lassen. Beim Technologietransfer geht es daher nicht zwangsläufig darum, was die F1-Ingenieure entwickeln – sondern wie sie es tun, lässt sich übertragen.

Aerodynamik: Auf den ersten Blick hat die aerodynamische Optimierung von Formel-1- und Straßenfahrzeugen nicht viel gemeinsam. Tatsächlich werden ähnliche Werkzeuge und Methoden eingesetzt wie beispielsweise Windkanal und numerische Strömungssimulation CFD (Computational Fluid Dynamics). Gemeinsame Projekte von Mercedes AMG PETRONAS und Mercedes-Benz umfassen die Erforschung neuer Technologien sowie den Informationsaustausch in bestimmten Bereichen, beispielsweise bei CFD-Techniken.

Turboaufladung: Die Entwicklungsreise von Mercedes AMG PETRONAS für die Saison 2014 begann 2011 mit externen Zulieferern, wurde aber nach dem ersten Jahr nach intern verlagert, weil das Inhouse-Knowhow und die Entwicklungsgeschwindigkeit zunahmen. Ambitionierte Vorgaben bezüglich Leistung (und Zeit) führten zu dieser Entscheidung, die durch die Inhouse-Erfahrung von Daimler überhaupt erst möglich war. Entscheidendes Entwicklungsziel war das harmonische Zusammenspiel der Komponenten bei hohen Drehzahlen. Die Daimler Kollegen halfen nicht nur bei besonderen technischen Herausforderungen, sondern auch bei der Auslegung besonderer Entwicklungstools (z.B. Prüfstand in Brixworth).

Tribologie (Schmierung): Soll die innere Reibung im Motor reduziert werden, konzentrieren sich die Bemühungen auf Schmierung und Oberflächen. In der Formel 1 wurden für die Saison 2014 der Verbrennungsmotor und die Schmiermittel parallel entwickelt und sind maßgeschneiderte Lösungen. Der 1,6-Liter-Turbomotor entwickelt höhere Betriebstemperaturen als der bisherige V8 und hat rund zehn Prozent mehr Last pro Zylinder. Öl muss dabei manchmal widersprüchliche Anforderungen erfüllen: als Kühlmittel fungieren und dennoch bei geringer Reibung gut vor Verschleiß schützen. Zusammen mit PETRONAS hat das Formel-1-Team eine Mischung auf Basis von Synthetikölen entwickelt. Dank komplexer Additiv-Pakete ist das Öl ein gutes Schmiermittel, das gleichzeitig vor Verschleiß schützt und geringe Reibung bietet. Seit 2010 wurden zusammen über 50 Motor-, Getriebe und Hydrauliköle entwickelt. Zusätzlich konnte PETRONAS viel auf der Rennstrecke für die Straße lernen – und umgekehrt. Darüber hinaus wurde diese technologische Partnerschaft um eine strategische Geschäftsverbindung mit Mercedes-Benz ergänzt, die die Rennsport-Kooperation auf Serienfahrzeuge ausweitet. Die innovative Technologie, die auf dem Testfeld der Formel 1 entwickelt wurde, führte zu führenden Schmiermitteln für Personenwagen, darunter die leistungsstarken Mercedes AMG Modelle.

Tribologie (Oberflächen): Die Entwicklung von Oberflächen lässt sich in zwei Bereiche unterteilen: Eigenschaften der Oberflächen und Beschichtung. Wenn es um Beschichtung geht, untersuchen Ingenieure, wie sich das Oberflächenmaterial verändern lässt, um seine Reaktion mit der Umgebung zu verbessern. Zum Beispiel hat ein Aluminium-Zylinderblock eine in tribologischer Hinsicht ungünstige Oberfläche, daher wird die Oberfläche mit einer Beschichtung mit den gewünschten Eigenschaften versehen. Darum kommt beim neuen Mercedes F1 V6 Turbomotor die NANOSLIDE Technologie zum Einsatz, denn die Reibung zwischen Kolben und Laufbahn gehört zu den größten Einzelreibungen im Motor – und ist von überragender Bedeutung.

Nanoslide wurde ab dem Jahr 2000 von Daimler entwickelt und ist durch über 90 Patentfamilien und mehr als 40 Patente geschützt. Seit 2006 kam diese innovative Beschichtung bei bisher über 200.000 Motoren zum Einsatz. Ursprünglich beim AMG V8 verwendet, wurde das Einsatzspektrum inzwischen vergrößert, und in der nahen Zukunft wird Mercedes-Benz diese Technologie noch breiter einsetzen.

Leichtbau: In diesem Bereich ist die Formel 1 der Serienentwicklung deutlich voraus. Leichtbau hat im Motorsport eine hohe Priorität und eine lange Tradition – vermutlich seit vor 80 Jahren die Farbe an den Silberpfeilen entfernt wurde, um das Gewichtslimit von maximal 750 kg zu erreichen. Aluminium kommt in Fahrwerk und Monocoque seit über 20 Jahren nicht mehr zum Einsatz und wurde abgelöst von einem intelligenten Werkstoff-Mix, insbesondere Kohlefaserverbundwerkstoffen. Die Verwendung von Aluminium in Serienfahrzeuge setzt auf breiter Front gerade erst ein, dabei ist Mercedes-Benz Vorreiter. Denn quer durch alle Fahrzeugklassen betrachtet, gehört Mercedes-Benz heute zu jenen Automobilproduzenten, die am meisten Aluminium verwenden. Auch den Einsatz von Kohlefaserverbundwerkstoffen beherrscht Mercedes-Benz: 2003 war der Mercedes-Benz SLR McLaren das erste Serienauto der Welt mit einer vorderen Crashstruktur gänzlich aus Kohlefaser .Die Fahrgastzelle bestand ebenso vollständig aus Kohlefaser. Die Heckklappe des SL (dessen Rohbau fast gänzlich aus Aluminium besteht) ist aus Karbon, ebenso zahlreiche Komponenten der Black Series Modelle von AMG. So kann Mercedes-Benz eine Großserienproduktion dieses Materials in einer kleineren Auflage erproben. Ob Rennsport oder Serieneinsatz, grundsätzlich geht es nicht nur darum, welches Material zum Einsatz kommt, sondern wo und wie. Intensive Finite-Elemente-Simulation und zahlreiche Optimierungsschleifen stellen sicher, dass das richtige Material an der richtigen Stelle zum Einsatz kommt.

„Auf jedem einzelnen Schritt auf der Straße zum Erfolg waren die Erfahrung und die Möglichkeiten unserer Daimler Kollegen entscheidend, um den technologischen Wandel zu schaffen, wie er für 2014 verlangt wurde”, sagt Paddy Lowe. „Mercedes-Benz in Stuttgart und in Großbritannien ist gemeinsam auf der Erfolgsstraße unterwegs, was uns neue technologische Pfade eröffnet hat. Diese Pfade sind heute wichtiger denn je, denn unter dem neuen Formel-1-Reglement von 2014 hat sich unser Auftrag angeglichen an jenen der Kollegen der Serienentwicklung. Wir lassen uns dabei von einer Gleichung leiten, die sowohl im Rennen wie auf der Straße gilt: ‘Effizienz = Performance.’”

„Wir alle teilen dieselbe Einstellung. Ihr Kern ist der absolute Wille, die besten Lösungen zu finden, und zwar schnell“, unterstreicht Prof. Thomas Weber. „Das Teamwork zu beobachten, macht mir genauso viel Spaß wie die Leistungen von MERCEDES AMG PETRONAS auf der Rennstrecke.“

„In der Konstruktion von Formel-1- wie Serienfahrzeugen ist es entscheidend, den Antriebsstrang als komplettes System zu entwickeln. Vorausentwicklung und Simulation sind dabei sehr wichtig, um eine integrierte Hightech-Lösung zu erzielen”, erläutert Dr. Joachim Schommers, Leiter des Kompetenzzentrums Motoren, Mercedes-Benz Cars Entwicklung. „Wir werden gerade Zeugen eines Paradigmenwechsels in der Autoindustrie. Lange hat sich die Methode ‚trial and error‘ bewährt, aber jetzt ist ihre Zeit aus mehreren Gründen abgelaufen. Die computerbasierte Simulation wird sie ersetzen. Ich denke, man kann mit Recht sagen, dass Daimler seit Beginn an der Spitze dieses Umdenkens steht. Und am Ende ist die Kombination aus den besten Mitarbeitern und den besten Methoden die Erfolgsformel sowohl auf der Rennstrecke wie auf der Straße.”

Quelle: Daimler AG