„reduce to the max“: Erprobungsfahrten in der smart-Entwicklung – von Laredo nach Bemidji

Zur Entwicklung des smart city coupés gehörten auch ausgedehnte Erprobungsfahrten – dazumal, wie heute. Kurz vor der Einführung des smart war Motorjournalist Jürgen Zölltner dazu quer durch die USA unterwegs, ein Roadtrip von Laredo nach Bemidji.

In 6 Tagen von Texas bis fast an die kanadische Grenze lernten Testfahrer nicht nur die Qualitäten des Kompaktautos kennen, sie erlebten dazumal auch die Faszination, die der smart in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen auf die Menschen ausübte. Mit dabei waren auch Automobiljournalisten, wie Jürgen Zöllter, dessen Erlebnisse wir nochmals aus den Archiv gesucht haben.



„Träge zieht der Fluss dahin, schmutzig braun und voller Unrat. Den Rio Grande hatte ich mir anders vorgestellt. Er trennt Nuevo Laredo von Laredo, die Wohnstätten von den ‚Futtertrögen’, die Mexikaner von den Amerikanern, Arm und Reich. Süd-Texas mit Blick auf Mexiko: Unser Hotel liegt an der Brücke über den Grenzfluss. Nach Texas herein strömen mexikanische Tagespendler, eine Lkw-Karawane drängt hinaus. Es ist fünf Uhr morgens, und drückende Schwüle legt sich aufs Gemüt.
Eineinhalb Stunden später fährt ein Rollentor auf. Eine Halle aus Fertigbauteilen, eine einsame Palme am Gebäudeeck. Daneben Rick, der unsere Ausweise kontrolliert: ‚Okay, Ihr dürft rein!’ Drinnen Werkstätten und Büros, ein Telefon für den Draht nach Renningen. John, der ehemalige Mitarbeiter von Mercedes-Benz of North America, hat hier das Sagen. Und dann die smart: Sechs city coupés stehen sauber gewaschen und betankt in Reih und Glied, die Sprechfunkgeräte sind installiert, der Werkstattwagen ist beladen, Wolfgang richtet sich im Führungsfahrzeug ein. Um acht Uhr früh setzen wir uns Bewegung, verlassen den Proving-Ground und biegen ein auf die Interstate 13 North. Einer der härtesten Tests für den smart hat begonnen. Unser Fahrziel heißt Bemidji, liegt hoch im Norden an der kanadischen Grenze, genau 3786 Kilometer entfernt. Errechnete Fahrzeit: 5 Tage, 10 Stunden und 17 Minuten. Kalkulierte Treibstoffkosten pro smart: 81,73 Mark. Das Erprobungsziel lautet: durchhalten.

Sechs smart, aufgereiht zu einer Perlenkette, schnurren zwischen Minivan und Werkstattwagen, biegen wenig später ab auf die US 83 North in Richtung Carrizo Springs. In jedem Erprobungsfahrzeug fahren zwei Techniker, lösen sich regelmäßig am Lenkrad ab, lauschen, wie ihr smart mit ihnen spricht, erfühlen seine Reaktionen und protokollieren. ‚Ein schöner Job’, sagen die Daheimgebliebenen, ‚einmal längs durch Amerika. Herrlich!’ Dann taucht der Truck im Rückspiegel auf, mächtig und bedrohlich. Warum geben wir nicht einfach mehr Gas?

Wolfgang im Führungswagen ist Scout und Teamleader in einer Person. Er gibt das Tempo an und fragt über Funk regelmäßig nach: Drehzahl, Wasser- und Öltemperatur? Wieviel Grad herrschen vor und hinterm Turbolader? Die Beifahrer lesen die Daten aus, den PC auf den Knien. Bernd schreibt alles mit: in seinen PC, gewissermaßen in den Zentralcomputer des Teams.

„Wo steckt der Motor?“
Bis zum Mittag bleibt die Landschaft flach, der Nebel liegt hartnäckig darüber. Wir passieren riesige Felder mit Hunderten von Erdölpumpen, die wie riesige Hämmer über Bohrfeldern auf- und niedergehen. Gleichmäßig und gelassen, so als gäbe es nichts auf dieser Welt außer Texas und Öl. Dazwischen wachsen texanische Steaks auf kargem Boden. Westwärts geht unsere Reise, flussaufwärts am Rio Grande entlang. In Del Rio stoppen wir die Motoren an einer ‚Gas Station’, einer Tankstelle in der texanischen Wüste. Noch sind nicht alle ausgestiegen. Da geht’s schon los: ‚What are those little things?’, ruft der Tankwart herüber. In wenigen Minuten sind wir von amerikanischen Autos umstellt, amüsierte Menschen steigen aus und vergessen, ihre Motoren und Klimaanlagen abzustellen. Ob wir mit diesen Fahrzeugen aus Deutschland herüberkommen sind, wohin wir wollen und warum überhaupt. Dass der smart kein Elektroauto für den kalifornischen Stadtverkehr ist, will erst einmal verstanden sein. Denn schließlich: ‚Wo steckt der Motor?’

Unsere erste Lektion der smart-Erprobungsfahrt lernen wir hier: Amerikaner sind aufgeschlossen für jede Neuigkeit, die sie verblüfft. Dass der smart-Motor mit drei Zylindern auskommt und einem Hubraum von 0,6 Liter ruft Sprachlosigkeit hervor. Dass er ‚55 Horsepowers’ aktivieren kann, die ihn bis auf 81 Meilen pro Stunde oder 130 km/h beschleunigen, erzeugt Bewunderung. Applaus ernten die Autos, als bekannt wird, dass ein smart mit einer einzigen Gallone Treibstoff 65 bis 70 Meilen weit fährt. Für amerikanische Verhältnisse ‚incredible’.

Sheriff hält letztes Fahrzeug an
Wer von uns jemals wieder Sanderson an der US 90 passiert, so schwören wir drei Stunden später, wird niemals hier zum Essen einkehren. Denn verkohlte Steaks mit betonharten French Fries auf Cola verklebten Tischen wünscht man sich nur einmal im Leben. Mit vollem Magen und zugeschnürten Kehlen geht’s weiter Richtung Fort Stockton. Kurz vor dem Ort, in dem die US 285 auf die Interstate 10 trifft, kommt uns ein Sheriff entgegen. Elegant wendet er am Ende unseres Konvois und stoppt den letzten smart. Was es mit diesen Autos auf sich habe, will er wissen. Deutsche? Er sei schon einmal in Deutschland gewesen, bei Verwandten. In welcher Stadt? Stockholm, glaubt er. So genau erinnert er sich nicht mehr. Umso besser kennt er den Weg zum Hotel. Der erste Tag liegt hinter uns. Und beim abendlichen Treffen wird protokolliert:

Viel Spaß gehabt, die Neugierde der Menschen geweckt, die smart oft mit Vollgasfahrt durch texanische Buschsteppen getrieben, gegen Abend in die Ausläufer der Sierra Madre bis auf 1020 Meter über Normalnull. Keine Auffälligkeiten an den Testwagen, die mit unterschiedlichen Pedalmodulen ausgestattet sind. Auch die Abstimmungen des ABS variieren. Wie sich das auswirkt, schreiben wir auf.

Zweiter Tag: 5:30 Uhr Weckruf
Am zweiten Tag ergeht der Weckruf um 5:30 Uhr. Nach dem lausigen ‚Breakfast DeLuxe’ kann der Tag nur besser werden. Wir tauschen die Fahrzeuge untereinander aus. Jedes Zweierteam fährt heute im smart seines gestrigen ‚Hintermanns’: andere Fahrer, andere Eindrücke. Dem Testteam darf nichts entgehen.
Um 7 Uhr hat die US 285 uns wieder. Die smart-Motoren schnurren wie Uhrwerke und treiben sanft ansteigende Landschaften hinauf. Mittags rasten wir in Roswell, der Ufo-Welthauptstadt im Staat New Mexico und parken direkt vorm Museum. Wer aufgrund gesammelter Erfahrungen für heute einen Diät-Tag einlegt, schließt sich dem Museumsführer an und besichtigt Aliens und Ufos und andere Merkwürdigkeiten. Dieter und Gunter bewachen die smart vor außerirdischem Zugriff. Wolfgang freundet sich mit einem Fregattenkapitän an, der nach dem Probesitzen unbedingt einen smart kaufen will. Nur wie, oder besser wo?

Das smart city coupé ist ein Auto für Europa und insbesondere für die dortigen engen Innenstädte, wie zum Beispiel von Neapel, Kopenhagen oder Lissabon. Nur zur Serienabsicherung schickt das neu gegründete Automobilunternehmen MCC (Micro Compact Car AG) den Zweisitzer um die Welt: einmal zur Wintererprobung nach Neu-Seeland und ans Nordkap, ein andermal in den Stadtverkehr nach Barcelona und Chicago. Diesmal auf eine Fahrt vom Sommer in den Winter innerhalb von nur sechs Tagen. Wolfgang versucht dem amerikanischen Technik-Freak in Roswell klarzumachen, dass nur in den USA die Möglichkeit besteht, alle Klimata innerhalb kürzester Zeit zu durchfahren: heiße Wüsten, schwüle Ebenen, Hochgebirge, nasskalte Sümpfe und extreme Kälte. Und sein Gegenüber ist sprachlos. Mehrmals schreitet er die smart-Flanke ab, denn er kann’s nicht glauben: ‚Nur acht Fuß lang? Incredible!’ Dann liegt er plötzlich unterm smart, nimmt anschließend auf dem leicht nach hinten versetzten Beifahrersitz Platz und kommentiert: ‚Mehr Bewegungsfreiheit als in meinem doppelt so langen Town Car. Genial!’

Trucks bremsen, um zu schauen

Die smart brechen in den automobilen Alltag Amerikas ein wie die Vorboten einer völlig neuen Zeit. Da bremsen mächtige Full Size Trucks, wie geländegängige Pick-Ups im Rambo-Design drüben heißen, in freier Wildbahn plötzlich ab. Der Naturbursche unterm Cowboy-Hut muss sich überzeugen: ‚Sind das wirklich von Menschen gelenkte Autos oder ferngesteuerte Wesen?’

Auf der US 60 liegt an den Straßenrändern Schnee. Wir erreichen 2235 Meter über Meereshöhe, seit mehr als einer halben Stunde fährt neben uns die Santa Fé. Ich zähle den 112. Güterwaggon hinter vier mächtigen Dieselloks, als Bernd über Funk nach dem Ladedruck fragt. Dann geht es erneut an die Zapfhähne, und die Protokolle werden komplettiert: Reifendruck, Profilverschleiß, die Splitteinschläge in den Windschutzscheiben werden gezählt. Es gibt kaum etwas, was nicht festgehalten wird. Und zum abendlichen Teamgespräch wird in Moriaty diskutiert, ob das Innenraumklima in allen smart angenehm war, die Wärmeverteilung gleichmäßig, das Scheibenwischerfeld groß genug. Wo dringen Windgeräusche ins Interieur, wie komfortabel wird der Pedaldruck auf langen Strecken empfunden? Als wir todmüde ins Bett fallen, ist es erst 21 Uhr. Wer noch einen Blick auf die blaugraue, schwere Wolkendecke über den Rocky Mountains geworfen hat, glaubt: morgen bekommen wir Schnee.
Doch als wir am dritten Tag die Hochebenen Colorados unter die Räder nehmen, bleiben die gefürchteten Schneestürme aus. Das Thermometer fällt weit unter den Gefrierpunkt, doch die Straße ist trocken. In den kuschelig beheizten smart machen Musik-Empfehlungen die Runde. Der Rock-Sender auf Frequenz 101.5 ist eindeutiger Favorit. Dann mahnt Wolfgang zur Funkdisziplin. Eine Checkliste für den baldigen Kälte-Funktionstest wird erstellt. Per Funk, versteht sich. So verbinden wir das Nützliche mit dem Angenehmen. Auf diese Weise verlieren die nicht endenden Geraden ihre Eintönigkeit. In Colorado Springs holt uns die Dunkelheit ein. Endlich sehen wir die Lichter von Castle Rock.

Am folgenden Tag durchmessen wir Wyoming. Es ist der Tag der Elektroniker. Gestern Nacht hatten sie die ausgelesenen Daten ins ferne Renningen gefaxt. Heute früh lag die Auswertung bereits vor. Mit Hilfe der PC werden Modifikationen an der smart-Elektronik vorgenommen, unterwegs die Ergebnisse ausgelesen, miteinander verglichen und immer wieder diskutiert. Wichtige Parameter für die Serie werden in allen smart-Praxistests gewonnen. Sie gehen als Grundlage für die Qualitätsbewertung auch an die Systempartner. Als wir erneut spät am Abend unser Quartier erreichen, überfrieren die Fensterscheiben im Nu. Gilette heißt das Nest kurz vor der Grenze zu South Dakota. Es gibt Tankstellen und Motels und Rosie, die voller Begeisterung über unsere ‚Wunderautos’ die größten Steaks in die Pfannen wirft.

Fast 1000 Kilometer misst die letzte Etappe, deren Ende niemand so richtig herbeisehnen will. Denn in Bemidji erwarten uns mehr oder weniger monotone Testtage in Eis und Schnee. So beugt sich Wolfgang schließlich dem Wunsch der Rockmusik-Sektion im Test-Team und lässt den ersehnten Abstecher über Mount Rushmore zu. Auf dem Parkplatz unter den Augen der amerikanischen Präsidenten Washington, Jefferson, Lincoln und Roosevelt füllen wir Scheibenwaschwasser nach, prüfen Wischerblätter und gedenken der Musiker von Deep Purple. Sie schickten die in den Fels gemeißelten Präsidenten-Porträts einst auf einer Schallplattenhülle um die Welt. Worauf dieser Ort so berühmt wurde wie der Präsidenten-Arbeitsplatz, das Weiße Haus in Washington, schon immer war. ‚Acht smart waren hier’, schreiben wir ins Gästebuch, schießen ein Erinnerungsfoto und schließen das touristische Kapitel der Reise. Zwei Stunden lang geht’s dann nach Norden. Die Quecksilbersäule fällt mit jeder Meile tiefer. Wir tauchen ein in den kontinentalamerikanischen Winter.

Sechs Stunden durch die eintönigste Gegend der USA. Zwischen Dickinson und Detroit Lakes in North Dakota führt die Interstate 94 fast 550 Kilometer geradeaus. Die smart schnurren durch nahezu arktische Kälte. Unsere einzige Abwechslung: der routinemäßige Datenabgleich über Funk zum Führungsfahrzeug mit Wolfgang und Bernd. Die smart spuren sauber ein, wenn frischer Schnee fällt und verbreiten gute Laune. Wo der vorausfahrende Minivan und der nachkommende Werkstattwagen schon an der Grenze ihrer Traktionsfähigkeit sind, wieseln die smart problemlos durch. Nicht ein einziges Mal denken wir daran, Winterbereifung aufzuziehen. Dann endlich die lang ersehnte Kurve: Wir verlassen die Interstate und schwenken auf die Zielgerade nach Bemidji ein.

Kaum hundert Meilen südlich der kanadischen Grenze sind meistens Allradler unterwegs. Dreißig Grad unter Null gehören hier zu einem gewöhnlichen Wintertag. Wir messen heute nur minus 12 Grad Celsius, Grund genug für Tankwart Bill in Bemidji, hemdsärmelig Schnee zu schaufeln. Bei ihm waschen wir am nächsten Morgen unsere smart. Und auch er misst ungläubig nach: Ein Acht-Fuß-Automobil, das in fünf Tagen ganz Amerika durchmisst? Die müssen verrückt sein, diese Europäer – aber irgendwie erscheint ihm das Konzept doch genial. Denn wenn er einen smart in der Garage hätte, wäre endlich ausreichend Platz für sein Snowmobil, seinen Buggy und das Motorbike.

So beenden wir diese Erprobungsfahrt mit der Gewissheit: Das smart city coupé passt in dichte Verkehrsräume europäischer Großstädte, aber ebenso in die Herzen großmütiger Amerikaner. Fünf Tage frieren wir die smart nun in Bemidji ein. Dann tanken wir voll und fahren zurück nach Texas. Einem smart ist kein Weg zu weit.“

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Bernd
11 Jahre zuvor

Herr Zölltner hat meinen vollen Respekt.
Mit dieser Kiste ( ein Auto ist das nicht) eine solche Strecke zu fahren ist ein Abenteuer.
Mir reicht schon der Weg von meinem Händler ( wenn der E im Kundendienst ist) zur Arbeit, insbesondere das Getriebe ist eine Zumutung. Der Fahrkomfort erinnert an eine Droschkenkutsche. In einer Grosstadt vielleicht noch o.k. ansonsten für mich ein nogo.

Manuel
11 Jahre zuvor

Abgesehen von den Punkten die Markus Jordan schon aufgeführt hat, ist der aktuelle 451er auch noch ein guter Schritt nach vorn im Vergleich zum 450er.
Mal sehen was dann das neue Modell bringt…

Bernd
11 Jahre zuvor

@Markus: ich glaube deine Einstellung ist von meiner nicht weit entfernt. Als urbanes Fahrzeug hat es sicher seine Berechtigung.
Als Daimler Freund wundere ich mich aber, dass die Probleme mit dem Schaltkomfort ( Kopfnicker ) und dem Fahrkomfort ( Federung ) nicht besser gelöst werden können.
Der Artikel ist o.k. Ich bin gern auf dieser homepage.

Frank
11 Jahre zuvor

Ich weiß wirklich nicht, ob ich über die Bezeichnung „Kiste“ und den dummen Spruch „Ein Auto ist das nicht“ lachen oder weinen soll. Ich bin nach 12 Jahren und über 700.000 in verschiedenen smart fortwo zurückgelegten Kilometern etwas anderer Meinung!

Bernd
11 Jahre zuvor

@Frank: weine, du hast mein Mitgefühl. Mit diesem „Auto“ 60000km im Jahr fahren zu dürfen ( das sind um 200km am Tag ) ist aus meiner Sicht eine Herausforderung. Ich hoffe du wirst dafür gut bezahlt.
Aber da du anderer Meinung bist und ich deshalb davon ausgehen kann, dass du Fahrkomfort und Schaltung gut findest, werde mit diesem Auto glücklich, ich kenne da keinen Neid.