Die Geschichte des Mercedes-Benz Rennsportprototyps 300 SLR

Die Coupé-Ausführung des 300 SLR Rennsportwagens entstand 1955 in der Absicht, für Langstreckenrennen ein geschlossenes Fahrzeug verfügbar zu haben und damit die Strapazen für die Fahrer zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund wurden zwei Fahrgestelle des 300 SLR mit Coupé-Karosserien versehen.

Gebaut für den Renneinsatz

Zum Renneinsatz der geschlossen 300 SLR Version kam es jedoch nicht mehr, einerseits, weil die sechste Carrera Panamericana, für die das Coupé prädestiniert gewesen wäre, im August 1955 nach einem Einspruch der mexikanischen Regierung abgesagt werden musste. Andererseits machte aber auch der im Oktober 1955 verkündete Ausstieg von Daimler-Benz aus dem Rennsport jede Hoffnung zunichte, 1956 an Sportwagenrennen teilzunehmen. Das der 300 SLR Coupé dennoch keinen Staub ansetzte, lag an Rudolf Uhlenhaut, der diese Fahrmaschine schließlich auch geschaffen hatte. Uhlenhaut, der als exzellenter Fahrer galt, legte mit einem der beiden Exemplare in zahlreichen Fahrten quer durch Europa große Entfernungen zurück. Er demonstrierte damit sehr eindrucksvoll die Zuverlässigkeit und Alltagstauglichkeit dieses hochkarätigen 300 PS starken Rennsportwagens.

Zugeständnis an den Straßenverkehr

Ein Zugeständnis an den Straßenverkehr war der riesige Auspuffschalldämpfer auf der rechten Seite, der die ohrenbetäubende Geräuschkulisse auf ein erträglicheres Maß reduzierte. In dieser Ausführung wurde das „Uhlenhaut-Coupé“, wie der Wagen heute allgemein genannt wird, 1956 von Journalisten der schweizerischen „Automobil Revue“ einem Langsteckentest über 3.500 km unterzogen.

Testbericht aus dem Jahr 1956

In seinem Testbericht, veröffentlicht in der Ausgabe vom 12. Dezember 1956, äußerst sich der Tester geradezu enthusiastisch über die Qualitäten des 300 SLR:

„Wir fahren in einem Wagen, der […] die Fahrzeuge des übrigen Verkehrs in gut einer Sekunde überholt, in dem 200 km/h auf verkehrsarmer Autobahn ein Bummeltempo sind, ein Wagen, dessen Kurvensicherheit den Gesetzen der Fliehkraft zu spotten scheint, ein Wagen, der bei 160 km/h weniger Benzin braucht als manche Limousine bei bescheidenerem Tempo, aber auch ein Wagen, den man nie kaufen kann und den kein Durchschnittsfahrer auch je kaufen würde. […] Schon früher gab es Fahrzeuge mit ähnlicher oder sogar höherer Fahrleistung. Es waren dies Kompressorrennwagen, die auf 100 km ihre 150 Liter Treibstoff fraßen, die nur von einigen Spitzenfahrern gemeistert werden konnten und die nach jedem Rennen kleinere oder größere Instandsetzungsarbeiten verlangten. Der 300 SLR hat nichts von der Empfindlichkeit seiner Vorfahren. Unser Testwagen fuhr im Bummeltempo durch Städte und Dörfer in der Schweiz, in Deutschland und in Italien, stürmte mit Vollgas steile Bergstraßen hinan, ließ schärfste Beschleunigungs- und Bremsmessungen auf der Piste von Monza über sich ergehen, legte lange Autobahnstrecken mit Durchschnitten von gegen 200 km/h zurück, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 284 km/h, einmal sogar von 290 km/h, und diente dazwischen als reines Transportmittel, ohne daß auch nur die geringste Panne aufgetreten wäre. Dass die Daimler-Benz volles Vertrauen in die Dauerhaftigkeit ihres gegenwärtig stärksten Typs besitzt, bewies schon ihre Bereitwilligkeit, der „AR“ einen SLR für einen Langstreckentest zu überlassen. Die 12000 km, die der Tacho bei der Übernahme zeigte und die Rudolf Uhlenhaut bei Fahrten quer durch Europa und bis nach Schweden zurückgelegt hatte, sind ein noch stärkerer Beweis dafür, dass der technisch so ungewöhnliche Wagen, der mit jedem handelsüblichen Superkraftstoff zufrieden ist, eine im Hochleistungsfahrzeugbau ungewöhnliche Zuverlässigkeit verkörpert. […] Etwas weniger Aufregendes als die Höchstgeschwindigkeitsmessung ließ sich kaum denken. Wir warten an einem Septembermorgen um vier Uhr in der Frühe auf der Autobahn München-Eching, bis die Polizei abgesperrt hat. Erst zwei Anwärmfahrten, dann los. […] Wie der Wagen bei 290 km/h lief? Schnurgerade, ohne mit der Wimper zu zucken. Es war unsensationell bis zum Exzess. Denn die Leistung des 300 SLR ist für den Wagen nicht zu hoch, auch nicht für den Fahrer, der sie mit Vernunft auszunützen versteht. Selbst auf unseren schmalen, verstopften Straßen kann man mit einem Wagen von der Leistung und der Sicherheit des 300 SLR unter voller Berücksichtigung der Anstandsregeln Durchschnitte erreichen, die utopisch erscheinen. Die Bedeutung eines solchen Rennsportwagens erschöpft sich weder in seinen Erfolgen noch in der Begeisterung, die er im Freund sportlicher Meisterkonstruktionen erweckt. Er zeigt vielmehr, dass im Automobilbau noch unausgenützte technische Möglichkeiten schlummern.“ Eine bessere Würdigung seiner Produkte kann sich ein Automobilkonstrukteur wohl kaum wünschen. Das „Uhlenhaut-Coupé“ gehört heute zur Fahrzeugsammlung des Mercedes-Benz Museums und zieht bei Veranstaltungen auch heute noch in besonderem Maße das Publikums- und Medieninteresse auf sich.

Interessant ist auch ein Bericht bzw. eine Presseinfo von Mai 1955 zum 300 SLR von John Fitch, den wir hier als pdf bereitgelegt haben.

Technische Daten:

  • Motortyp M 196 S
  • Einlaßventile 1 pro Zylinder, schräg hängend, Desmodromik-Zwangssteuerung
  • Zündfolge 1-2-4-6-8-7-5-3
  • Zylinderzahl / -anordnung 8 / Reihe
  • Auslaßventile 1 pro Zylinder, schräg hängend, Desmodromik-Zwangssteuerung
  • Anordnung im Fahrzeug vorn, längs; 53° nach rechts geneigt
  • Ventilsteuerung je Zylinderblock 2 obenliegende Nockenwellen, Antrieb über Zahnräder
  • Zündverstellung Zündzeitpunkt
  • Arbeitsverfahren Viertakt-Otto (mit Direkteinspritzung)
  • Kurbelwelle 10fach gelagert (Rollenlager), Hirth-Kurbelwelle mit Mittelabtrieb
  • Bohrung x Hub 78 x 78 mm
  • Gemischbildung Direkteinspritzung, mechanisch geregelt (Bosch 8-Stempel-Einspritzpumpe)
  • Hubraum 2982 ccm
  • Zündkerzen 2 pro Zylinder; Bosch W 290 T 17
  • Kraftstoffförderung Zahnrad-Doppelpumpe
  • Verdichtungsverhältnis 9
  • Tankinhalt 155 l
  • Höchstleistung / Dauerleistung 310 PS bei 7400 /min; 276 PS bei 7000 /min
  • Kraftstoffverbrauch ca. 30 l
  • Höchstes Drehmoment 31,7 mkg bei 5950 /min
  • Kühlung Wasserumlaufkühlung
  • Höchstdrehzahl 7800 /min
  • Schmierung Trockensumpf-Druckumlaufschmierung über Zahnradpumpe
  • Zylinder 2 Silumin-Blöcke (à 4 Zylinder) mit chrombeschichteten Aluminium-Laufbüchsen
  • Ölverbrauch 0,5 l
  • Zylinderkopf Silumin, mit Zylindern aus einem Stück gegossen
  • Anlasser elektrisch; Bosch AL 50/8 S5 EED 0,8/12 R
  • Generator Bosch LJ/CEE 150/12/1600
  • Batterie Varta Mipor 6Cx4
  • Zündung Hochspannungs-Magnetzündung
  • Zündanlage Bosch Zwillings-Magnetzünder MZ/ZJ 08 R

Bilder: Mercedes-Benz Group AG

 

16 Kommentare
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barolorot
1 Jahr zuvor

Ist bekannt, ob Rudolf Uhlenhaut später unter Langzeitschäden am Gehör litt? Den Geräuschpegel im Fahrzeug stelle ich mir infernalisch vor.
Und von der äußerst zurückhaltenden Zurschaustellung der Motor- und Fahrleistungen bei der Innen- und Außengestaltung des Fahrzeugs, erhoffe ich mir eine Renaissance für die aktuellen AMG-Modellen – aber die Zeichen der Zeit sprechen wohl immer noch dagegen.

Rudolf Uhlenhaut
Reply to  barolorot
1 Jahr zuvor

WIE BITTE? KÖNNEN SIE LAUTER SPRECHEN?

🙂

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Reply to  Rudolf Uhlenhaut
1 Jahr zuvor

LOL Made my day

David
Reply to  barolorot
1 Jahr zuvor

Die hatte er wohl.. stand mal in einem Porträt. Bereut hatte er die nie…

Pano
1 Jahr zuvor

Ob es Zufall ist, daß ihr den Artikel wenige Wochen nach der offiziellen Bekanntagbe des Verkaufs des einen Coupes bringt? Ist aber auch egal, weil mit diesem Text evtl ein bißchen klarer wird welchen Stellenwert der 300 SLR hat, der sich eben nicht mit einer schnöden Geldsumme beziffern lässt.
Interessant dazu ist auch der kritische Kommentar von Heinrich Lingner in der aktuellen AMS.
Grüße
Pano

David
Reply to  Pano
1 Jahr zuvor

Es gab schon so einige umwerfende Unternehmenskonzepte beim Stern seit inkl. Reuter…
Eines hatten sie alle gemeinsam… sie kosteten sehr viel Geld, Geld welches zentral mit dem PKW Verkauf verdient werden musste…
Ob der die Vorstandskonzepte weiter so finanzieren kann bleibt abzuwarten..
Bei der zunehmenden Distanz zwischen Anspruch & Marketing auf der einen und der nacglassenden Wertigkeit und Qualitaet auf der anderen Seite.
Da mag das Wagener Design oder dieser hilflos peinliche geschichtsvergessene PR Verkauf des SLR U noch so dick auftragen…

Dietmar Johnen
Reply to  Markus Jordan
1 Jahr zuvor

Dann ist es Zeit, das die Aktionäre, die noch auf Tradition setzen und der Aufsichtsrat(Vorsitzender) den jetzt eingeschlagenen Weg des Vorstandes beenden.

Snoubort
Reply to  Dietmar Johnen
1 Jahr zuvor

Wieder dieser quasi als Gnadenbrot ausgewählte Aufsichtsratsvorsitzende nicht tun. Und einen ausreichend starken Anteilseigner gibts auch nicht…

Snoubort
Reply to  Markus Jordan
1 Jahr zuvor

Zu Porsche

Björn
1 Jahr zuvor

155 Liter Tank 🙂 für etwas Reichweite. Da träumt dann jeder AMG One Fahrer von 😀

Pano
Reply to  Björn
1 Jahr zuvor

Der neue Besitzer des Uhlenhaut Coupes hat bestimmt auch einen One erworben. Dann hat er demnächst den direkten Vergleich…
Grüße
Pano

Björn
Reply to  Pano
1 Jahr zuvor

Wahrscheinlich 🙂 Ein Vergleichtest wäre doch etwas tolles 😉

Pano
1 Jahr zuvor

Daß es auch eine andere Sicht der Dinge gibt zeigt der Kommentar der Motor Klassik von letzter Woche: https://www.auto-motor-und-sport.de/oldtimer/mercedes-300-slr-uhlenhaut-coupe/
Überspitzt formuliert hat der neue Besitzer nur 1B-Ware ersteigert 🙂
Grüße
Pano

Zuletzt editiert am 1 Jahr zuvor von Pano
Snoubort
Reply to  Pano
1 Jahr zuvor

Dann hoffen wir mal dass er den Artikel nicht liest und es nicht merkt 😉

David
Reply to  Pano
1 Jahr zuvor

Korrekt . Es ist ja auch „nur“ ein 300SLR verkauft worden … die Medien machen einen Uhlenhaut draus…
So läuft das nunmal.