Wer Mercedes-Benz verstehen will, muss Flosse fahren ? Mit Generationen der E-Klasse im Schwarzwald

Kennen Sie den Spruch: „Wer Mercedes-Benz verstehen will, muss Flosse fahren!“ – nein ? Gut, wir bislang auch nicht – doch zumindest der Begriff „Flosse“ sollte Mercedes-Benz-Fans durchaus ein Begriff sein – was sich u.a. auf die „kleine Heckflosse“ der Baureihe W 110 bezieht, die als Nachfolgegeneration der Ponton-Reihe W 120 bzw. W 121 gilt. Ob man unbedingt eine Heckflosse fahren muss, um die Marke mit Stern zu verstehen, ist durchaus möglich und ja: sicherlich auch nicht schädlich.

E-Klasse Insight

Mit den Vorgänger-Generationen der E-Klasse durch den Schwarzwald
Grund genug, uns nach der Premiere der 10. E-Klassen-Generation der Baureihe 213 einmal einige Gene der Vorgänger anzuschauen, also in die Geschichte der E-Klasse zu blicken. Passend dazu hat uns Mercedes-Benz Classic einige der vielen Vorgänger der E-Klasse zu einer Ausfahrt in den Schwarzwald bereitgestellt. Eben jene Fahrzeuge welche in wenigen Tagen in der Sonderausstellung „Meisterstücke“ zu sehen sein werden.

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Ältestes bereitgestellte Modell: der 170 DS mit 4-Gang Lenkradschaltung
Als ältestes Modell stellte Mercedes-Benz Classic die Baureihe W 191 bereit, die ab dem Jahr 1952 als besonders effiziente Dieselvariante 170 DS als kompakter 4-Zylinder-Dieselmotor mit Vorkammer-Einspritzung erhältlich war. Das Modell verkörperte damals, zusammen mit der Baureihe W 136 als Typ 170 V und 170 S oder 170 D, Attribute, die auch heute noch zu den Stärken der E-Klasse zählen: geräumige Karosserie und hohen Fahrkomfort.

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Als letzte Entwicklungsstufe der Baureihe W 136 kam im Jahre 1953 der Typ 170 S-V und 170 S-D vor, die bis September 1955 produziert worden sind. Die „ADAC Motorwelt“ schreib bereits im Heft 11/1950 über die Fahrleistungen: „Der von uns geprüfte 170 Da kam bis auf 109 km/std. Sein Beschleunigungsvermögen war geradezu frappierend und seine Bergfreudigkeit macht direkt Spaß.“

Ponton: erster Mercedes mit selbsttragender Bauweise
Im August 1953 startete mit der Baureihe W 120 und W 121, der „Ponton“ mit selbsttragender Bauweise, was der Abschied von der Konstruktion aus Chassis und unabhängier Karosserie bedeutete. 1954 folgte die Dieselvariante 180 D, als dritter Typ kam 1956 der 190 ins Programm – der 190 D kam 1958. Insgesamt produzierte die Marke mit Stern weltweit rund 443.000 dieser Generation von Fahrzeugen.

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Erstes Fahrzeug mit getrennt regulierbarer Lüftung
Der Ponton erhielt erstmals eine für Beifahrer und Fahrer getrennt regulierbare Heizung und Lüftung, eine Eingelenk-Pendelachse hinten mit tief liegenden Drehpunkt (ab 1955) sowie ein gepolstertes Armaturenbrett mit elastischen, zum Teil versenkt angeordneten Bedienelementen sowie Lenklad mit Polsterplatte (ab 1959) sowie ein Kielzapfen-Türschloss mit zwei Sicherheitsrasten.

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Die Heckflosse: eine Klasse für sich
Die Heckflosse folgte im Jahre 1961 – mit gestaltfester Fahrgastzelle und Knautschzonen an Front und Heck nach Béla Barényi. Diese setzte damals Maßstäbe in der Sicherheit und gelten auch heute noch als einer der wichtigen Erfindungen im Automobilbau. Zuerst war in der Heckflosse der Typ 190 und 190 D erhältlich, 1962 auch als Automatik – 1965 folgte die verbesserte Technik und Ausstattung im Typ 200 und 200 D, gleichzeitig präsentierte man den Typ 230 als 6-Zylinder-Variante.

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1963 zeigte auch die 2-Kreis-Bremsanlage mit Bremskraftverstärker und vorderer Scheibenbremse den Fortschritt bei der Fahrsicherheit in der Heckflosse, optional war schon Mitte der 1960er Jahre Automatikgetriebe, elektrische Fensterheber (1966), Stahlschiebedach, Klimaanlage (1966), Servolenkung (1964). Im Jahre 1967 folgte die Sicherheitslenkung mit Teleskop-Lenksäule und Prelltopf.

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1968 kommt der „Strich / Acht
Der 1968 vorgestellte „Strich-Acht“ der Baureihe W 115 / W 114 wurde rund 1,8 Millionen mal produziert, zuerst als 4-Zylinder-Variante 200, 220 – sowie 200 D und 220 D (als W115), die 6-Zylinder-Variante 230 und 250 (als W114) folgte ebenso. Der „strich-8“ weist übrigens auf das Erscheinungsjahr 1968 hin und dient im internen Gebrauch zur Unterscheidung von den Vorgängermodellen und führt so zu den populären Beinahmen „Strich-Acht“. Erstmals stand auch eine Coupé-Variante zur Auswahl. 1972 folgen die Typen 280 und 280 E, im 240 D 3.0 feiert im Jahre 1974 der erste 5-Zylinder-Diesel-Motor in einem Serien-PKW seine Weltpremiere, als erster 5-Zylinder im Pkw überhaupt mit 59 kW / 80 PS im Diesel-Motor. Der 250 CE im Jahre 1969 war übrigens der erste Pkw mit Stern mit elektronisch gesteuerter Benzineinspritzung.

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In der Baureihe W 115 / W 114 kam erstmals eine Diagonal-Pendelachse zum Einsatz, optional Zentralverriegelung, 5-Gang Schaltgetriebe für die 6-Zylinder-Varianten ab 1969, Leichtmetallräder für den 280 bzw. 280 E ab 1972 sowie eine Sitzheizung (ab 1974).

W 123 ab 1976 wird bis 1985 produziert
Im Jahr 1976 folgte die Baureihe W 123, die bis in das Jahr 1985 produziert worden ist. Als erste Typen sind 200, 230, 250, 280 und 280 E sowie 200 D, 220 D und 240 D und 300 D erhältlich, 1977 folgt das Coupé als Limousine mit langem Radstand sowie das T-Modell als erste Kombivariante ab Werk. Der 5-Türer folgt im September 1977, das „T“ steht dabei für „Touristik und Transport“. 1980 folgt im T-Modell erstmals ein Pkw mit Turbo-Dieselmotor, sowie das ABS Anti-Blockier-System und 1982 der Fahrer-Airbag – erstmals in dieser Fahrzeugklasse. Von der Baureihe 123 verlassen rund 2.7 Millionen Fahrzeuge das Band, davon rund 200.000 T-Modelle.

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Der W 123 mit Sicherheitslenksäule mit Wellrohr nach Béla Barényi erhielt u.a. auf Wunsch Tempomat, das T-Modell in Serie eine automatische hydropneumatische Niveauregulierung. Die Heckscheibe war in Serie bereits beheizbar, der Kraftststofftank über der Hinterachse – kollisionsgeschützt – angebracht. Ab 1982 war die Servolenkung dann Serienumfang in der Baureihe.

Der W 124 – läuft bis 1996 vom Band
Der allseits bekannte und quasi ein echter Urgestein, derW 124 kommt 1984 und wurde bis 1996 produziert. Die Baureihe – mit einem Luftwiderstandsbeiwert von cW = 0,30 – ist die erste vorgestellte Variante von Mercedes-Benz, die bereits im Jahr 1993 den Namen „E-Klasse“ trägt. Neu ist die innovative Raumlenkerachse, alle Benzinmotoren rüstet Mercedes-Benz ab Herbst 1986 serienmäßig mit der Abgasreinigung per geregeltem 3-Wege-Kat aus.

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Die Modellpalette der Baureihe 124 umfasst die Karosserievariante Limousine, T-Modell, Coupé, sowie Cabrio und eine Limousine mit langem Radstand. Bei der Limousine und beim T-Modell wird der Allradantrieb 4MATIC angeboten, im Jahr 1990 folgt der 500 E, im Juni 1993 erfolgt die Modellpflege der Baureihe 124 – die dann erstmals E-Klasse genannt wird, analog zur C-Klasse und zur S-Klasse. Die Motorisierungen reichten vom 200 D bis zum E 60 AMG.

Der W 124 war ab 1990 im 300 E-24 mit 5-Gang Automatikgetriebe erhältlich, ein automatisches Sperrdifferenzial ASC war ab 1985 optional erhältlich, der Fahrer-Airbag sowie die Zentralverriegelung war ab 1992 Serienausstattung. Ab 1993 waren optional auch Multikontursitze verfügbar.

Unsere Fahreindrücke bei allen von Mercedes-Benz Classic bereitgestellten Fahrzeugen, unabhängig der mitgeführten neuen E-Klasse der Baureihe 213, war dabei sehr überraschend und unterschiedlicher als von uns erwartet. War die Gewöhnung beim „170 DS“ durchaus beeindruckend, hatten wir unsere Mühe mit dessen Lenkrad-H-Schaltung, wo der 1. Gang uns irgendwie zu Nahe am Rückwärtsgang gelegen war und der 2. gang auch nie so wirklich den Weg durch die Schaltkulisse gefunden hat. Die manuelle Sitzverstellung war hier noch das kleinste Problem, die Einfahrt in einen Kreisverkehr war dahingehend – aufgrund des benötigen 1. Ganges – durchaus ein interessantes Erlebnis mit Hoffnung auf Glück den Gang zu finden. Neu war für uns übrigens nicht nur der spezielle Anlasser-Schalter, sondern auch die Stock-Handbremse direkt unterhalb dem Lenkrad.

Mit mehr Fahrpraxis, auch im Hinblick auf dass Alter des 170 DS Fahrzeuges, ist das automobile Schmuckstück aber sicherlich – artgerecht – recht gut zu bewegen. Das „Drehrad“ am Lenkrad für Blinker und Hupe war uns übrigens bereits vorab aus anderen Baureihen bekannt, die anderen Schalter bleiben weiterhin erstmal unbekannt. Die Begeisterung für das Automobil hat uns aber dennoch gepackt und wir freuen uns auf ein Wiedersehen.

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Erstaunlich war das Fahrgefühl in der „kleinen Heckflosse“, welche mit der verbauten Automatik sogar viel besser zu bewegen war, als die später produzierte Baureihe 123. Die Flosse zeigte statt des üblichen Tachos ein Geschwindigkeitsband, welches von gelb oberhalb von 30 km/h auf gelb/rot wechselt, bevor es ab 60 km/h eine rote Farbe zeigt. Die Servolenkung läuft problemlos, die Federung des Fahrzeuges war weich und lud so zum exzellenten cruisen durch den Schwarzwald ein.

Der W114 – mit durchaus geringer Ausstattung – fuhr fühlbar moderner, sein 6-Zylinder hing sehr gut am Gas. Probleme hatten wir hier eher mit der verbauten manuellen 4-Gang Schaltung, die einfach keinen Fahrspaß aufkommen lassen wollte.

Auch wenn der von Mercedes-Benz Classic mitgeführte W 123 in „Sahara-gelb“ und tabak-braunen Innenleben einen überraschend niedrigen Kilometerstand von nur rund 23.000 km hatte, fühlte man sich in der älteren „Flosse“ in der vorhandenen Ausstattung viel bequemer – und auch die vorhandene Automatik dort sorgte dort für einen runderen Gesamteindruck.

Ein Fahrzeug, was man aus der bereitgestellten Flotte übrigens durchaus ebenso gerne fuhr – war der selbsttragende Ponton, welcher ebenso über eine Lenkrad-Handschaltung verfügte, wie der 170 DS. Der Fortschritt in der Entwicklung des Pontons gegenüber dem 170 DS war aber – selbstverständlich – stark spürbar, wo die Schaltung auch viel angenehmer zu bedienen war.

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Würden wir erneut wählen müssen, wäre die kleine Heckflosse wieder unsere erste Wahl, unabhängig davon, dass die Baureihe 123 oder 124 erst später vorgestellt worden ist. Die Heckflosse zeigte sich als angenehmster Begleiter durch die bergige Landschaft des Schwarzwald, die Sitze und die ausklappbare gepolsterte Armlehne sorgte für ein regelrechtes Wohnzimmergefühl bei vorbeiziehender Landschaft. Ob man Flosse fahren muss, um Mercedes zu verstehen? – muss man nicht, aber jetzt verstehen wir auch den schon zu beginn dieses Artikels genannten Satz. Eine kleine Heckflosse der Baureihe W111 vermittelt am deutlichsten die Gene eines echten Mercedes-Benz und natürlich auch einer „E-Klasse“ wie in der heutigen Zeit die gehobene Reiselimousine genannt wird.

Viele der hier von uns gefahrenen Fahrzeuge sind übrigens ab Donnerstag und bis zum 6. November 2016 in der Sonderausstellung der E-Klasse „Meisterstücke“ im Mercedes-Benz Museum in Stuttgart zu besichtigen – und das dann auch inkl. der fehlenden Baureihen 210, 211 sowie 212.

Bilder: MBpassion.de / Philipp Deppe